Die Insulintherapie im Umbruch
Die Behandlung des Typ 1 Diabetes, wie er vornehmlich bei Kindern und Jugendlichen auftritt, muß mit Insulin erfolgen, aber auch beim Typ 2 Diabetes wird in der Regel früher oder später eine Insulingabe erforderlich.
Prof. Dr. med. Helmut Schatz, emeritierter Direktor der Med. Klinik und Poliklinik Bergmannsheil, jetzt niedergelassener Internist in Bochum
Hier ein Überblick über diesen Beitrag:
Die Behandlung des Typ-1-Diabetes, wie er vornehmlich bei Kindern und Jugendlichen auftritt, muß mit Insulin erfolgen, aber auch beim Typ-2-Diabetes wird in der Regel früher oder später eine Insulingabe erforderlich. Die Gentechnologie hat es möglich gemacht, nicht nur Human-Insulin einfach herzustellen, sondern auch das Insulin-Molekül so abzuändern, daß damit eine Behandlung zuckerkranker Menschen durch Insulin-Injektion möglich wird, welche das natürliche Sekretionsverhalten dieses Hormons beim Stoffwechselgesunden weitgehend nachahmt. Heute werden in Deutschland über 99 % aller Insulin-Präparate als Human-Insulin oder Insulin-Analoga verwendet, die tierischen Insuline machen nur mehr einen verschwindend kleinen Anteil aus. Nur mehr etwas ein Drittel aller Insulin-Präparate sind Mischinsuline, die aus 2 Insulinarten, einem kürzer und einem länger wirkenden Insulin zusammengesetzt sind. Der Trend geht eindeutig zur Verwendung von sehr lange wirkenden, echten "Basal-Insulinen" zur Versorgung des Grundbedarfs des Menschen zur Stoffwechselkontrolle, insbesondere zur Bremsung der Fetteinschmelzung, sowie zur Gabe von besonders rasch und kurz wirkenden Insulinen vor jeder Mahlzeit, um den essensbedingten Blutzuckeranstieg abzufangen und den Zucker besser verwerten zu können. Mit den bis vor einigen Jahren verfügbaren Insulin-Präparaten war eine echte Basal-Insulin-Versorgung nur durch 2-, 3- oder sogar 4-mal tägliche Injektion eines länger wirkenden, in der Regel durch Protamin verzögerten Insulins (NPH-Insulins) möglich, wenn man nicht eine Insulinpumpe verwenden wollte. Andererseits mußte vor den Mahlzeiten das Insulin mit einem gewissen Abstand ("Spritz-Eß-Abstand") gespritzt werden, zumeist 20 bis 40 Minuten, da es diese Zeit brauchte, bis das Insulin aus dem Unterhautfettgewebe so richtig in das Blut gelangt war. Beim Gesunden steigt nämlich das Insulin sofort, "mit dem ersten Bissen", steil an, wodurch eine gute Verwertung der zugeführten Nahrung möglich ist und Blutzuckerspitzen verhindert werden, welche potentiell die Gefäße schädigen.
Hier dominiert nach wie vor das "Altinsulin", so genannt, weil es das erste verfügbare Insulin nach dessen Entdeckung im Jahre 1921 war. Heute bezeichnet man es besser als "Normalinsulin" oder "reguläres Insulin". In das Unterhautfettgewebe injiziert, liegt es in Form von "Hexameren" vor, d.h. in Konglomeraten von je sechs Molekülen, welche sich erst wieder auflösen müssen, um als Mono- oder Dimere (bestehend aus ein oder zwei Molekülen) in die Blutbahn aufgenommen zu werden. Durch gentechnologische Abänderung des Insulin-Moleküls gelingt es, derartige Zusammenballungen zu festen Hexameren mit verzögerter Resorption aus dem Unterhautfettgewebe etwas zu lockern. Die Präparate Lispro (Humalog, Firma Lilly), Insulin Aspart (Novorapid, Firma Novo Nordisk) und Glulisin (Apidra, Firma Sanofi-Aventis) gehören zu diesen rasch und kurzwirkenden Insulinanaloga, welche zunehmende Verwendung bei den Diabetes-kranken Menschen finden.
Eine sehr lange Verzögerung der Wirkung kann man durch Zusatz von Zink in größerer Menge erzielen. Die Wirkung ist jedoch recht inkonstant, so daß sich damit eine gleichmäßige Therapie nur dann durchführen läßt, wenn man die Insulin-Präparate, welche Insulin-Zink-Kristalle enthalten, vor der Injektion sehr lange und gründlich, mehrere Minuten lang, durchmischt, was in der Regel von den Patienten nicht gemacht wird und auch schwer zumutbar wäre. Besser und konstanter in der Wirkung sind Insuline, die durch Zusatz von Protamin, einem Fischeiweiß aus dem Kabeljau, in ihrer Wirkung verzögert sind und welche ebenfalls als Suspension trüb sind und gut gemischt werden müssen, jedoch nicht so lange wie die zinkverzögerten Insuline. Ihre Wirkungsdauer ist freilich nur mittellang, weshalb man es zur "Basalinsulin-Versorgung" zweimal pro Tag spritzen muß, manchmal auch drei- oder viermal täglich. Hier ist es jetzt der Firma Aventis gelungen, durch gentechnologische Molekülveränderung ein klares, leicht saures Insulinpräparat mit besonders langer Wirkung herzustellen, Glargin-Insulin (Handelsname Lantus), welches nur einmal täglich injiziert werden muß und einen guten, recht gleichmäßigen Insulinspiegel im Blut gewährleistet. Von der Firma Novo Nordisk wurde wiederum ein fettsäuresubstituiertes Insulin entwickelt, das Insulin detemir (Handelsname Levemir), das ebenfalls länger als NPH-Insulin wirkt und eine konstante Pharmakokinetik zeigt. Es muss etwas vier mal höher dosiert werden , um eine gleich starke Wirkung zu erzielen.
Bei Typ-1-Diabetikern ist heute, abgesehen von Sonderfällen im (Klein-)Kindesalter, die intensiviert-konventionelle Therapie (ICT) mit lang- und kurzwirkendem Insulin durchzuführen. Diese hatte nämlich in einer großen, nordamerikanischen Studie (DCCT), ebenso wie die Insulinpumpentherapie (siehe unten), das Auftreten von diabetischen Folgeerkrankungen am besten verhindert.
Die dem Natürlichen am nächsten kommende Form der Insulinzufuhr stellt die Therapie mit einer Insulin-Pumpe dar, welche eine programmierbare Basalrate abzugeben im Stande ist. Vor jedem Essen ist dann ein der Nahrungsmenge angepaßter, sogenannter Insulin-Bolus durch den Patienten abzurufen. Freilich müssen diese Pumpen am Körper getragen werden, was nicht von Jedermann akzeptiert wird. Umgekehrt gibt es viele Patienten, welche "auf ihre Insulin-Pumpe schwören" und diese keinesfalls wieder abgeben möchten. Sinnvoll erscheint eine Insulinpumpentherapie bei Diabetikerinnen dann, wenn sie schwanger werden möchten, der Blutzucker also sehr gut eingestellt sein muß, damit ein gesundes Kind zur Welt kommt, und diese sehr gute Einstellung durch die sogenannte "intensivierte konventionelle Insulintherapie" durch mehrmaliges Spritzen von lang- und kurzwirkenden Insulinen nicht zu erzielen ist. Es gibt auch noch andere Sondersituationen, wo man eine Pumpe versuchen kann. Eine "zwingende" Indikation zur Verwendung einer Insulin-Pumpe gibt es nicht (sieht man vom Sonderfall der intravenösen oder "intraperitonealen" (d.h. in die Bauchhöhle hinein) Insulin-Abgabe durch eine Pumpe bei Fällen von subcutaner Insulinresistenz ab, deren Häufigkeit in Deutschland man jedoch an einer Hand abzählen kann).
Heute gibt man bei Typ-2-Diabetikern, wenn sie mit Insulin behandelt werden müssen, zunächst Insulin zusätzlich zu den Tabletten entweder ein oder auch zweimal täglich (Basalunterstützte orale Therapie (B.O.T.). Bei alleiniger Insulintherapie eines Typ-2-Diabetes tritt die bisherige, klassische "Konventionelle Insulintherapie" durch zwei mal tägliche Gabe eines Mischinsulins zunehmend gegenüber differenzierteren Formen wie einer modifiziert-intensivierten Insulintherapie in den Hintergrund. Liegt ein Typ-2-Diabetes mit besonders hohen Blutzuckerspitzen nach dem Essen vor, während der Nüchternblutzucker noch weitgehend im Normbereich liegt, so kann hier die "supplementäre" Insulintherapie (S.I.T.) versucht werden, das heißt die Gabe von kleinen Dosen eines rasch wirkenden Insulins vor der Mahlzeit. Eine Restsekretion von Insulin ist bei den Typ-2-Diabetikern dann meist noch vorhanden, wodurch die Versorgung mit "Basal-Insulin" entfallen kann oder einfacher wird. Die Auswahl der richtigen Insulintherapie sollte der Patient jeweils mit seinem Arzt sorgfältig besprechen, wobei auch persönliche Lebensumstände, wie Beruf, Tagesablauf etc. des Typ-2-Diabetikers zu berücksichtigen sind.
Prof. Dr. med. Helmut Schatz; emeritierter Direktor der Med. Klinik und Poliklinik Bergmannsheil, jetzt niedergelassener Internist in Bochum; Fachbeirat www.diabetes-deutschland.de
Erstellt: Juli 2002
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