Die meisten Mütter mit Typ 1 Diabetes stillen ihre Kinder
(23.06.2006) Die Zeiten, in denen das Stillen bei Frauen mit Diabetes noch problematisch gesehen wurde, sind lange vorbei. Heutzutage wird Diabetikerinnen das Stillen über einen längeren Zeitraum sogar ausdrücklich empfohlen. Muttermilch ist die beste Form der Säuglingsernährung. Unter anderem fördert sie die Entwicklung der kindlichen Immunabwehr und verringert die Wahrscheinlichkeit einer späteren Diabetes-Erkrankung.
Stillen ist wertvoll für Mutter und Kind – auch bei Diabetes Foto: Techniker Krankenkasse
Im Vergleich zu Kindern, die mit Flaschennahrung gefüttert werden, haben gestillte Kinder auch ein geringeres Risiko für späteres Übergewicht. Für die Mutter hat das Stillen ebenfalls Vorteile: Die niedrigen Östrogenspiegel während der Stillzeit wirken sich günstig auf den Glukose- und Fettstoffwechsel aus. Hierdurch sinkt oft der Insulinbedarf der Mutter.
Ein Studienteam um Elisabeth Mathiesen vom Universitäts-Hospital in Kopenhagen ist der Frage nachgegangen, wie viele Diabetikerinnen heutzutage ihre Kinder stillen. Hierfür interviewten die Wissenschaftler 102 Frauen mit Typ 1 Diabetes. Die Interviews wurden jeweils am fünften Tag und vier Monate nach der Geburt geführt.
Mehr als die Hälfte der Kinder wiesen direkt nach der Geburt Komplikationen auf wie Gelbsucht durch eine Unreife der Leber, Atemschwierigkeiten durch eine Unreife der Lunge oder Infektionen. Trotzdem begannen fast alle Diabetikerinnen (insgesamt 86 Prozent), ihre Kinder zu stillen. Vier Monate nach der Geburt lag die Stillrate immerhin noch bei 54 Prozent. Von den restlichen Müttern ernährten 14 Prozent ihre Kinder teilweise mit Muttermilch, 32 Prozent stillten gar nicht. Das interessante Resultat: Diese Ergebnisse sind in etwa vergleichbar mit den Stillraten in der Allgemeinbevölkerung. Die Hauptgründe für das Abstillen waren allgemeine Probleme wie z. B. ungenügender Milchfluss. Die Tatsache, dass die Mutter Diabetikerin war, spielte keine Rolle.
Bei Müttern mit Diabetes „gewöhnt“ sich das noch ungeborene Kind während der Schwangerschaft an die zu hohen Blutzuckerspiegel und reagiert mit einem Anstieg der Insulinherstellung. Nach der Geburt – wenn der Glukosespiegel wieder normal, aber der Insulinspiegel noch erhöht ist – können Unterzuckerungen auftreten. Eine weitere aufschlussreiche Beobachtung der vorliegenden Studie war, dass es bei den gestillten Kinder weniger häufig zu Unterzuckerungen kam. Insgesamt hatten 22 Prozent der Kinder aus dieser Gruppe schwere Unterzuckerungen, die mit einer intravenösen Glukosegabe behandelt werden mussten. Bei den Kindern, die nicht gestillt wurden, lag der Anteil mit 40 Prozent deutlich höher.
Frauen mit Typ 1 Diabetes stillen ihre Kinder heutzutage genauso häufig wie Nicht-Diabetikerinnen. Die Möglichkeit zum Stillen ist durch den Diabetes nicht eingeschränkt. Auch die Qualität der Muttermilch, die nach wie vor die beste Säuglingsnahrung ist, wird nicht beeinflusst. Diabetikerinnen können und sollten stillen – davon profitieren sowohl das Kind als auch die Mutter.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin der Deutschen Diabetes-Klinik des Deutschen Diabetes-Zentrums an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung
Quelle: Stage E, Nørgård H, Damm P et al. Long-Term Breast-Feeding in Women With Type 1 Diabetes. Diabetes Care 2006; 29:771-774 |