Syndrom X und die Mitochondrien
(31.01.2005) Ein Viertel der amerikanischen Erwachsenen sind vom Metabolischen Syndrom (syndrome X) betroffen. Arterieller Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, starkes Übergewicht und Insulinresistenz, die Bestandteile des Syndrom X, sind wichtige Risikofaktoren für Diabetes mellitus und viele bekannte Herzkreislauferkrankungen inkl. Herzinfarkt, Schlaganfall und chronische Herzinsuffizienz.
Mit der Entstehung des metabolischen Syndroms wurden bereits verschiedene Gen-Defekte in Verbindung gebracht. Nun konnte ein weiterer nachgewiesen werden, der allerdings einige Besonderheiten aufweist. Das defekte Gen befindet sich nicht wie üblich in der DNA des Zellkerns, sondern in den Mitochondrien. Dies sind kleine Zellorganellen, die für die Energiegewinnung in jeder einzelnen Zelle unseres Körpers zuständig sind.
Die kleinen Zellkraftwerke sind nicht nur Energielieferanten sondern auch Träger einer kleinen Menge von Erbmaterial. Man nimmt an, dass sich die Mitochondrien im Laufe der Evolution aus Bakterien entwickelt haben, die in den Organismus eingewandert sind. Statt ihn zu zerstören sind die kleinen Einzeller im Laufe von Millionen von Jahren eine Symbiose mit ihrem Wirt, der Zelle eingegangen. Sie sind nun für die Energielieferung einer jeden Körperzelle zuständig und haben auf diese Weise gleichzeitig ihr eigenes Genmaterial in den Organismus einbringen können. Während sich in der DNA im Zellkern ca. 30.000 Gene befinden, beinhalten die Mitochondrien einen kleinen kreisförmigen DNA-Doppel-Strang mit 37 Genen, die Proteine der Atmungskette kodieren.
Der Verlust der Mitochondrienfunktion und dadurch entstehende Defekte im Genmaterial, werden auf das Altern der Mitochondrien zurückgeführt. Man vermutet sogar, dass in Zellen, die einen besonders hohen Energieverbrauch und damit einen besonders hohe Mitochondrienaktivität haben, die Zellalterung schneller voranschreitet und es damit vermehrt zu Gen-Defekten kommt. So verhält es sich zum Beispiel mit bestimmten Zellen im Röhrensystem (Tubulussystem) der Nieren, die für die Rückgewinnung von Mineralstoffen aus dem Harn zuständig sind und deren Fehlfunktion zum Verlust von für den Körper wichtigen Mineralstoffen führt.
Auf diese wichtige Rolle der Mitochondrien bei der Entstehung des Metabolischen Syndroms wurde in einer amerikanischen Studie hingewiesen, die eine New Yorker Großfamilie untersuchte. 142 Mitglieder der Familie wurden klinisch und genetisch untersucht. Magnesiummangel (Hypomagnesieämie), Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen (Hypercholesterinämie) traten besonders häufig bei den Verwandten auf, die aus einer mütterlichen Linie stammten. Betroffene Männer aus dieser Linie vererbten in späteren Generationen die zugrunde liegenden genetischen Eigenschaften nicht an ihre Nachkommen weiter, betroffene Frauen jedoch in hohem Maße. Dieses Vererbungsmuster ist typisch für die Vererbung mitochondrialer Gene, welche immer über die weibliche Eizelle vererbt werden. Die defekten Mitochondrien-Gene führten bei den untersuchten Personen unter noch unbekannten Umständen zu Elektrolytverschiebungen (Magnesium- oder Kaliumverlust) zu Bluthochdruck, und zur Erhöhung der Blutfette. Bei den meisten Personen war zumindest ein Symptom ausgeprägt, bei über der Hälfte der Personen waren zwei der genannten Symptome ausgeprägt. Klinische Symptome wie Migräne, Innenohrschwerhörigkeit oder chronische Herzinsuffizienz, die auch schon in früheren Studien mit mitochondrialen Störungen in Verbindung gebracht wurden, waren bei den untersuchten Personen der betroffenen mütterlichen Linie ebenfalls vorhanden. Die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2, einer Insulinresistenz oder starkes Übergewicht konnte nicht gehäuft festgestellt werden. Allerdings gab es Hinweise auf zelluläre Störungen, die diese Erkrankungen später einmal zum Ausbruch bringen könnten.
Diese interessante Studie eröffnet den Blickwinkel auf eine neu Art von Studien, in welchen komplette Familien sowohl klinisch als auch genetisch in komplexer Weise untersucht werden. Die Studie bestätigt Kenntnisse, die auch schon in früheren Studien über die Rolle der mitochondrialen Gene gewonnen werden konnten.
Dr. med. Anja Neufang-Sahr, Deutsches Diabetes Zentrum an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Deutsche Diabetes-Klinik
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