USA: Sinkende Lebenserwartung durch Übergewicht?
(13.05.2005) In den westlichen Industrienationen hat sich die Lebenserwartung in den letzten 130 Jahren mehr als verdoppelt. Laut einer aktuellen Hochrechnung amerikanischer Bevölkerungs- wissenschaftler wird diesem Trend in naher Zukunft aber möglicherweise ein Ende gesetzt: Der dramatische Anstieg von Übergewicht und Adipositas (= starkes Übergewicht bzw. Fettleibigkeit) könnte die Lebenserwartungs-Kurve zumindest für die USA schon bald nach unten korrigieren.
Die Wissenschaftler prognostizieren, dass die Lebenserwartung der US-Bevölkerung aufgrund der Zunahme übergewichtiger Personen bereits bis zum Jahr 2050 um zwei bis fünf Jahre abnehmen wird. Schon jetzt stellt das „Zuviel an Pfunden“ in den USA die zweithäufigste, durch Vorbeugung vermeidbare Todesursache dar.
Studien belegen eine massive Zunahme von Fettleibigkeit unter Kindern und Jugend- lichen
Die Wissenschaftler um Professor Jay Olshansky von der Universität in Illinois, Chicago, stützen ihre Prognose auf Zahlen der letzten 30 Jahre, die eine massive Zunahme von Fettleibigkeit unter Kindern und Jugendlichen belegen. Aus diesen Daten errechnete das Epidemiologen-Team eine Sterblichkeitsprognose für die nächsten 50 Jahre. Wenn sich der Trend zur Fettleibigkeit in der amerikanischen Bevölkerung fortsetzt – so das Ergebnis der Hochrechnungen – wird das Problem Übergewicht mit all seinen gesundheitlichen Folgen in spätestens 50 Jahren einen ähnlich großen Einfluss auf die Reduktion der Gesamt-Lebenserwartung haben wie heutzutage die Krebserkrankungen.
Andere Wissenschaftler sehen das Szenario allerdings nicht ganz so schwarz. Der Demograph Professor Samuel Preston von der Universität Pennsylvania, Philadelphia, betont in einem Kommentar zu o. g. Arbeit, dass die Durchschnitts-Lebenserwartung einer Bevölkerung durch verschiedenste Faktoren beeinflusst wird und dass sich voraussichtlich auch in den nächsten Jahren an dem Trend der steigenden Lebenserwartung kaum etwas ändern wird. Ein Beispiel: Während das Problem der Fettleibigkeit in den letzten Jahren massiv zugenommen hat, konnte in den USA parallel eine Abnahme bei der Zahl der Raucher dokumentiert werden. Auch die Anzahl der Personen mit einem erhöhten Cholesterinspiegel – einem Risikofaktor für Herz-Kreislaufkrankheiten – oder die Anzahl der alkoholbedingten tödlichen Verkehrsunfälle ging in der amerikanischen Bevölkerung zurück. Einen wesentlichen Beitrag an diesen Positivbeispielen haben nach Einschätzung des Demographen nationale Aufklärungs-Kampagnen, in denen ausdrücklich vor den bedrohlichen Folgen bestimmter Lebensstil-Verhaltensweisen gewarnt wurde. Übergewicht hat sich in den westlichen Industrienationen zu einem dramatisch zunehmenden Gesundheits-Problem entwickelt. Ob dies – wie am Beispiel USA extrapoliert – in näherer Zukunft auch zu einer Abnahme der Gesamt-Lebenserwartung führen könnte, bleibt zunächst Spekulation. Hier sind im Gegenzug eine Vielzahl anderer Einflussfaktoren zu berücksichtigen, wie zum Beispiel Trendwenden zu einem gesünderen Lebensstil und natürlich auch weitere medizinische und technische Fortschritte. Völlig einig sind sich die Experten allerdings in folgendem Punkt: Die wachsende Zahl übergewichtiger Menschen ist eine ernst zu nehmende Herausforderung, die dringenden Handlungsbedarf erfordert. Nur wenn sich das Bewusstsein für dieses Problem in der Bevölkerung durchsetzt und daraus (zumindest geringfügige) Lebensstil-Verhaltensänderungen resultieren, kann in der Zukunft ein gesundheitliches Desaster vermieden werden.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin der Deutschen Diabetes-Klinik des Deutschen Diabetes-Zentrums an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung
Quellen: Olshansky SJ, Passaro DG, Hershow RC et al.: A Potential Decline in Life Expectancy in the United States in the 21st Century. NEJM 2005; 352: 1138-1145 Preston SH: Deadweight? The Influence of Obesity on Longevity. NEJM 2005; 352: 1135-1137
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