Vorbeugung von Gehirnschäden durch Unterzuckerung
(29.06.2005) Obwohl eine Unterzuckerung (Hypoglykämie) vom geschulten Patienten meist rechtzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen ergriffen werden, ist die Angst vor einer Hypoglykämie für viele Patienten mit Diabetes ein echtes Problem. Die Ursachen für eine Unterzuckerung können vielfältig sein.
Quelle: G. Löffler; P.E. Petrides: Biochemie und Pathobiochemie, 1997
Am häufigsten sind das Auslassen einer Mahlzeit, körperliche Anstrengung und zu hohe Dosen Insulin. Aber auch Alkohol in größeren Mengen und Erbrechen und/oder Durchfall können zu Hypoglykämien führen.
Der Körper reagiert auf einen zu niedrigen Blutzuckerspiegel normalerweise mit der Ausschüttung von Hormonen zur Gegenregulation: Typische Warnzeichen sind Nervosität, Schweißausbruch, Zittern, Blässe, Hungergefühl und Herzrasen. Diese Beschwerden können schon bei milden Hypoglykämien auftreten. Fällt der Blutzucker jedoch weiter ab, machen sich die Folgen der Minderversorgung des Gehirns mit Glukose bemerkbar: Der Betroffene nimmt Sehstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen, Sprachstörungen oder Parästhesien (z. B. Kribbeln oder Taubheitsgefühl) wahr. Eine solche schwere Unterzuckerung, die auch das Gehirn betrifft, kann gefährlich werden: Wird der Mangel nicht durch die Gabe von Glukose behoben, fallen die Betroffenen ins Koma und tragen unter Umständen dauerhafte Gehirnschäden davon.
Wissenschaftler von der Universität in San Francisco, USA, sind seit kurzem einem neuen Behandlungsansatz auf der Spur, der möglicherweise helfen könnte, das Gehirn vor Schäden durch Unterzuckerung zu bewahren. Bei der Entdeckung geht es um Pyruvat – einem Salz der Brenztraubensäure, dass als natürliches „Nebenprodukt“ bei der Verstoffwechselung von Glukose im Körper anfällt. Die Forscher fanden heraus, dass Pyruvat den Untergang von Gehirnzellen bei schwerer Hypoglykämie aufhalten und somit einem Verlust der Gehirnfunktion vorbeugen kann.
Für ihre Untersuchungen verabreichten die Wissenschaftler hypoglykämischen Tieren, die bereits 30 Minuten im diabetischen Koma lagen, eine Infusion mit Pyruvat und Glukose. Durch die Zugabe von Pyruvat konnten schwerwiegende Gehirnschäden vermieden werden: Die Denkprozesse verliefen nach der lang anhaltenden, schweren Unterzuckerung sehr viel reibungsloser und es gingen 70 bis 90 Prozent weniger Nervenzellen zugrunde als bei Vergleichstieren. Die beste Wirkung wurde erzielt, wenn das Pyruvat innerhalb der ersten ein bis zwei Stunden nach Beginn der Unterzuckerung verabreicht wurde.
Es ist bekannt, dass bei einer Unterzuckerung im Gehirn das Enzym PARP-1 besonders aktiviert wird. Als Enzyme werden Eiweiße bezeichnet, die eine bestimmte biochemische Reaktion im Körper steuern. PARP-1 hindert die Nervenzellen daran, Glukose in Pyruvat umzuwandeln. Hierdurch entsteht ein Pyruvatmangel, der dazu führt, dass Nervenzellen absterben und untergehen. Wird dem Körper in diesem Fall eine „Extraportion“ Pyruvat von außen zugeführt, können die Nervenzellen am Leben erhalten werden.
In einem nächsten Schritt muss nun geprüft werden, ob und inwieweit diese positiven Ergebnisse zur Vorbeugung von Gehirnschäden bei Unterzuckerung auch auf den Menschen übertragbar sind.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin der Deutschen Diabetes-Klinik des Deutschen Diabetes-Zentrums an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung
Quelle: Suh SW, Aoyama K, Matsumori Y et al. Pyruvate Administered After Severe Hypoglycemia Reduces Neuronal Death and Cognitive Impairment. Diabetes 2005; 54: 1452-1458 |