Der wunde Punkt bei Diabetes
(08.09.2003) Schätzungsweise jeder zweite Diabetiker hier zu Lande ist ein Risikopatient für die Entwicklung eines diabetischen Fußes mit schlecht heilenden Druckgeschwüren und offenen Wunden. Wie man solche Wunden versorgt und ihnen vorbeugt, beantwortet im Folgenden Professor Dr. med. Werner A. Scherbaum, Ärztlicher Direktor der Deutschen Diabetes-Klinik in Düsseldorf.
Prof. Dr. med. Werner Scherbaum, Ärztlicher Direktor an der Deut- schen Diabetes-Klinik des Deutschen Diabetes- Zentrums Düsseldorf; Herausgeber: diabetes-deutschland.de Herr Professor Scherbaum, wie entstehen bei Diabetikern schlecht heilende Druckgeschwüre oder Wunden?
Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum: Nach langjährigem Diabetes kann es zu einer Schädigung der Nerven (Polyneuropathie) in den Füßen kommen, mit der Folge, dass Schmerz- und Druckempfindlichkeit herabgesetzt, sind. Außerdem bildet sich übermäßig Hornhaut - begünstigt durch falsches Schuhwerk - sowie trockene, rissig Haut. Hieraus können Druckstellen und offene Wunden entstehen, die häufig, wegen der herabgesetzten Schmerzempfindlichkeit nicht bemerkt werden und daher auch nicht heilen. Arterielle Durchblutungsstörungen, die bei Diabetikern häufig auftreten, verzögern die Heilung und können zum Absterben von Gewebe führen.
Weiche Warnzeichen gibt es?
Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum: Trockene, rissige Haut, übermäßige Hornhautbildung und herabgesetztes Empfindungsvermögen, aber auch Taubheitsgefühl, Kribbeln und Brennen - vor allem in Ruhe und nachts - sind Hinweise auf eine Nervenschädigung. Bläulich marmorierte Haut und Schmerzen beim Gehen deuten auf arterielle Durchblutungsstörungen hin. Beides sollte vom Arzt abgeklärt werden.
Wann empfiehlt sich ein Arztbesuch?
Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum: Grundsätzlich sollte jeder Diabetiker seine Füße regelmäßig vom Arzt kontrollieren lassen. Zeichen einer Nervenschädigung oder einer arteriellen Durchblutungsstörung muss der Arzt abklären. Ein sofortiger Arztbesuch ist ratsam, wenn offene Wunden, blutende, nässende oder eiternde Stellen neu auftreten oder bereits behandelte Wunden sich verschlimmern. Ebenso empfiehlt sich ein Arztbesuch, wenn am Fuß Zeichen einer Entzündung auftreten, also Rötung und Schwellung, gegebenenfalls auch Überwärmung und Schmerzen, wobei Schmerzen wegen der Nervenschädigung ganz fehlen können. Auch Schwarzverfärbungen der Haut am Fuß muss man sofort dem Arzt zeigen.
Wie sollten Druckgeschwüre und offene Wunde behandelt werden, was kann man selbst tun?
Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum: Bei Diabetikern sollte jede offene Stelle oder blase an den Füßen durch den Arzt behandelt werden. Am wichtigsten ist meist, jeglichen Druck auf die betroffenen Stellen zu vermeiden, so dass oft spezielle entlastende Schuhe getragen werden müssen und die betroffenen Patienten möglichst wenig gehen sollte.
Jede Wunde muss regelmäßig steril verbunden werden, wobei der Arzt in Abhängigkeit vom Stadium der Wundheilung über die Art des Verbandes entscheidet. Infektionen sollten nach Anweisung des Arztes mit Antibiotika behandelt werden, Durchblutungsstörungen können oft behoben werden.
Welche verbände sind am geeignetsten?
Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum: Bei überwiegend neuropathischen Wundgeschwüren, bei denen sich Gewebe gut bildet und die nicht infiziert sind, kann man am besten feuchte Verbände anwenden, zum Beispiel Hydrokolloidverbände. Wundgeschwüre im Rahmen einer arteriellen Verschlusskrankheit, die von sich aus nicht nässen, sollten am besten desinfiziert und trocken verbunden werden.
Wie sollte man den Verband wechseln und womit sollte man desinfizieren?
Scherbaum: Normalerweise sollte alle ein bis zwei Tage ein steriler Verbandwechsel nach Anweisungen des Arztes erfolgen, oft können Patienten dies auch zu Hause selbst durchführen. Ist kein Arzt erreichbar, so kann man Wunden zunächst mit Jodlösung desinfizieren und dann verbinden, wenn keine Jod-Unverträglichkeit oder bestimmte Schilddrüsenerkrankungen vorliegen. Zum Verbinden sterile Mullbinden verwenden.
Was kann man vorsorglich gegen die Wunden und Druckgeschwüre tun?
Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum: Wegen der herabgesetzten Schmerzempfindung ist es wichtig, sich die Füße täglich gut anzusehen, hier kann ein Spiegel hilfreich sein. Verdächtige Veränderungen sollten dem Arzt gezeigt werden. Diabetiker sollten Schuhe tragen, die gut passen und weit genug sind, aus weichem Leder bestehen, keine harten Kappen oder nach innen hervorstehenden Nähte haben. Eventuell verordnet der behandelnde Arztspezielle Schuhe. Wegen der oft trockenen Haut sollten die Füße täglich eingecremt werden, zum Beispiel mit Cremes, die Harnstoff enthalten.
Hornhaut kann vorsichtig mit einem Bimsstein abgetragen werden. Bei der Fußpflege sollte man keine scharfen Gegenstände wie Hornhauthobel oder Scheren verwenden, da man Verletzungen damit möglicherweise nicht bemerkt. Nägel sollten nur gefeilt werden. Unter Umständen ist eine spezielle medizinische Fußpflege durch besonders qualifiziertes Personal zu empfehlen, so etwa bei Schwielen, Hühneraugen oder Blasen. Heiße Fußbäder, Wärmflaschen oder -kissen sind nicht zu empfehlen, da häufig das Temperaturempfinden herabgesetzt und damit die Verbrennungsgefahr erhöht ist. Zur Fußpflege empfehlen sich kurze Fußbäder mit lauwarmem Wasser, die Füße müssen gut abgetrocknet werden. Strümpfe sollten einem hohen Baumwollanteil haben.
Um Diabetes-Folgeerkrankungen zu vermeiden, ist natürlich eine gute Stoffwechseleinstellung wichtig, außerdem eine gute Einstellung des Blutdrucks. Die Blutfettwerte dürfen ebenfalls nicht zu hoch sein, auf Nikotinkonsum sollte verzichtet werden.
Was raten Sie Diabetikern, denen auf Grund von nicht heilenden Verletzungen ein chirurgischer Eingriff empfohlen wird?
Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum: Vor einem chirurgischen Eingriff empfehle ich dringend, sich in einem Diabetischen Fußzentrum vorzustellen, insbesondere weil gerade bei Diabetes viele Amputationen vermieden werden können.
Welche Rolle spielt die Nährstoffversorgung?
Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum: Mangelernährung kann zu Wundheilungsstörungen führen. Bei einer gesunden Mischkost sind solche Mangelerscheinungen selten. Eine Einnahme von Vitamin- oder Mineralpräparaten ist nur bei nachgewiesenem Mangel erforderlich. Quelle: Neue Apotheken Illustrierte/Gesundheit Die Fragen stellte Dr. Frank Schäfer. |