Hälfte der Herzinfarkte bei Typ 2 Diabetes verläuft stumm – „Fremantle Diabetes Study“
(03.05.2004) Ein stummer Herzinfarkt ist ein Herzinfarkt, der ohne Schmerzen abläuft oder sogar vom Patienten unbemerkt bleiben kann. Einmal kann der Herzinfarkt nur sehr klein sein. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Herzinfarkt von einem Menschen mit Diabetes nicht wahrgenommen wird, auch wenn er groß ist. Man fühlt sich dann sehr erschöpft, müde und schwach. Die Schmerzwahrnehmung des Infarktes kann gestört sein, wenn eine diabetische Nervenerkrankung vorliegt. Solche abgelaufenen Herzinfarkte werden dann manchmal im Nachhinein durch die Auswertung eines EKG's festgestellt.
Der stumme Herzinfarkt ist mit 15-40% aller im EKG nachgewiesenen Infarkte relativ häufig. Über die Prognose wurde kontrovers berichtet, die Gruppe der Diabetiker diesbezüglich ungenügend untersucht. Eine gesteigerte, Diabetikern zugeschriebene Neigung zu stummen Herzinfarkten wurde bisher nicht nachgewiesen.
Australische Wissenschaftler haben Daten der großen prospektiven Beobachtungsstudie „Fremantle Diabetes Study“ analysiert, um Vorkommen, Risikofaktoren und Prognose stummer Herzinfarkte bei Typ 2 Diabetikern zu beurteilen. Aus der Kohorte von 120.097 Bürgern aus definierten Postleitzahlenbereichen in Freemantle, West-Australien, wurden 1296 Typ 2 Diabetiker aus den Jahren 1993 bis 1996 einbezogen. Neben der Protokollierung von Daten und Untersuchungsergebnissen wurden die Ruhe-EKG´s vom Studienbeginn unabhängig bewertet. Ein stummer Herzinfarkt wurde durch eindeutige oder wahrscheinliche Q-Wellen im EKG ohne vorherige typische Symptome einer koronaren Herzerkrankung definiert. Das Regierungsregister von West-Australien lieferte die Todesursachen.
Die Teilnehmer wurden in 4 Gruppen eingeteilt: 1. keine bekannte koronaren Herzerkrankung (Erkrankung der Herzkranzgefäße), kein EKG-Nachweis eines Herzinfarktes, 2. stummer Herzinfarkt, 3. selbstberichtete koronare Herzerkrankung ohne EKG-Nachweis eines Herzinfarktes, 4. selbstberichtete koronare Herzerkrankung und EKG-Nachweis eines Herzinfarktes. Von den Studienteilnehmern (Durchschnittsalter 64,1 Jahre; mittlere Diabetesdauer 4 Jahre) hatten im EKG 114 Teilnehmer (9%) eindeutige oder wahrscheinliche Q-Wellen-Herzinfarkte, von denen 50 (43,9%) stumm waren (insgesamt 3,9% der Teilnehmer). Es starben 24,6% der Teilnehmer, davon 42,3% aufgrund einer koronaren Herzerkrankung. Die vier Gruppen unterschieden sich hinsichtlich verschiedener Parameter.
Für Gesamtsterblichkeit und KHK-bedingte Sterblichkeit zeigte sich Folgendes: Typ 2 Diabetiker mit stummem Herzinfarkt (Gr.2) hatten ein ähnliches bzw. höheres Mortalitätsrisiko als Typ 2 Diabetiker ohne koronare Herzerkrankung und ohne Infarkt-Nachweis im EKG (Gr.1), jedoch statistisch nicht bedeutend. Typ 2 Diabetiker mit selbstberichteter koronarer Herzerkrankung ohne (Gr.3) oder mit (Gr.4) EKG-Nachweis eines Herzinfarktes hatten ein statistisch bedeutend zweimal beziehungsweise vier mal höheres Mortalitätsrisiko als Typ 2 Diabetiker ohne koronare Herzerkrankung und ohne Herzinfarkt-Nachweis im EKG (Gr. 1). Wie in kleineren Studien gezeigt, verliefen die Herzinfarkte vermehrt bei Frauen und Teilnehmern mit Bluthochdruck sowie bei Nichtrauchern und Diabetikern mit günstigen Blutfettwerten stumm.
Bei fast der Hälfte des Kollektivs aus Typ 2 Diabetikern mit EKG-Nachweis eines Herzinfarktes verlief dieser - deutlich häufiger als in der Normalbevölkerung - stumm. In der Allgemeinbevölkerung ist das relative Mortalitätsrisiko bei stummem Herzinfarkt 1,5 bis 4 mal höher als bei klinisch erkennbarem Herzinfarkt und wird damit sehr unterschiedlich angegeben. Die bisher nicht untersuchte Prognose der Diabetiker mit stummen Herzinfarkten war in dieser Analyse auch noch nach statistischer Korrektur konventioneller Risikofaktoren für koronare Herzerkrankung und Tod signifikant besser als die für Typ 2 Diabetiker mit und vergleichbar mit der Prognose von Diabetikern ohne bekannte koronare Herzerkrankung und ohne EKG-Nachweis eines Herzinfarktes. Dies weist auf eine überraschend gute Prognose der von stummen Herzinfarkten betroffenen Typ 2 Diabetiker hin. Allerdings sind von den Autoren teils selbst angegebene mögliche Fehlerquellen, die das Ergebnis beeinflusst haben könnten, zu nennen: Wegen inkompletter Ermittlung der Basisdaten wurden 29% der Kohorten-Todesfälle vor der Analyse ausgeschlossen, was das Ergebnis nicht beeinflusst haben soll. Auch könnten die statistisch bedeutsamen Unterschiede der vier Gruppen Auswirkungen auf das Ergebnis haben. Des weiteren ist die Definition eines Herzinfarktes allein nur durch große Q-Wellen im Ruhe-EKG ohne Hinzuziehung weiterer diagnostischer Kriterien nicht unproblematisch und die qualitative Beurteilung der EKG´s mit Gruppenzuteilung fehleranfällig.
Daher bleiben weitere Studien zu stummen Herzinfarkten im Kollektiv der Typ 2 Diabetiker abzuwarten, um die Prognose besser beurteilen zu können. Die genaue Ursache für stumme Herzinfarkte – diskutiert wird die autonome Neuropathie - bleibt auch durch die Ergebnisse dieser Studie weiter ungeklärt. Die Studienautoren selbst vermuten ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren.
Dr. med. Melanie Stapperfend, Prof. Dr. med. Werner Scherbaum, Deutsches Diabetes-Forschungsinstitut Düsseldorf
T. M. E. Davis, P. Fortun, J. Mulder, et al.: Silent myocardial infarction and its prognosis in a community-based cohort of Type 2 diabetic patients: the Fremantle Diabetes Study. Diabetologia 2004;47(3):395-399 |