Diabetische Neuropathie (Teil 1)
Diabetische Neuropathie - Kurzinformation
Erkrankungen des Nervensystems im Rahmen eines Diabetes mellitus werden sehr häufig beobachtet. Grundsätzlich muss zwischen Erkrankungen des peripheren und des zentralen Nervensystems unterschieden werden. Das zentrale Nervensystem ist vorwiegend im Rahmen akuter Diabeteskomplikationen (hypoglykämischer Schock, diabetisches Koma, Schlaganfälle) betroffen. Unter den chronisch verlaufenden Erkrankungen des Nervensystems dominieren bei Diabetikern die Störungen am peripheren Nervensystem (diabetische Neuropathie).
Diabetische Neuropathien sind häufig und kommen sowohl beim Typ 1 als auch beim Typ 2 Diabetes vor. Das Risiko für das Auftreten verschiedener Neuropathieformen hängt von der Diabetesdauer und der Stoffwechsellage ab. Je länger ein Diabetes besteht und je schlechter der Blutzucker eingestellt ist, desto höher ist das Risiko an einer diabetischen Neuropathie zu erkranken. Als erstes Symptom treten häufig Missempfindungen an den Füßen (Burning-Feet-Syndrom) in Erscheinung. Besondere diagnostische Schwierigkeiten stellen die fokalen und multifokalen Neuropathien dar, die jedoch nur selten auftreten. Wichtigste Therapie ist stets eine optimale Diabeteseinstellung. Zwar gibt es noch keine Möglichkeit die Neuropathie zu heilen jedoch sind viele effektive pharmakologische, physiotherapeutische und andere Hilfen möglich.
Was ist eine diabetische Polyneuropathie? - Definition
Die diabetische Polyneuropathie ist eine Erkrankung der peripheren Nerven, die infolge eines Diabetes mellitus auftritt. Sie kann sowohl den willentlich gesteuerten Teil des peripheren Nervensystems (somatisches Nervensystem) als auch das autonome Nervensystem (z. B. Regulation von Atmung, Herzfrequenz, Darmbewegungen) betreffen. Die Polyneuropathie ist mehr als die Erkrankung vieler einzelner Nerven; Sie ist eine Erkrankung, die das periphere Nervensystem im Ganzen als Organ befällt. Sie betrifft nur periphere Nerven, d.h. alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks, können geschädigt werden (sensomotorische Polyneuropathie). Sowohl der Tastsinn (Sensibilität) an den entsprechenden Hautpartien, als auch die Bewegungsfähigkeit (Motorik) der entsprechenden Muskeln können durch die Schädigung des versorgenden Nerven beeinträchtigt werden.
In der Regel sind ganze Körperpartien (Beine, Rumpf, innere Organe) gleichzeitig betroffen. Bei der selteneren autonomen diabetische Neuropathie sind die Nerven der inneren Organe (autonomes oder vegetatives Nervensystem) geschädigt. Die Regulation der Herzfrequenz und der Magen-Darmbewegungen (Peristaltik) werden am häufigsten gestört. Eher selten tritt die diabetische Schädigung nur einzelner Nerven in Erscheinung. Die Schädigung einzelner Hirnnerven z.B. kommt ganz überwiegend bei älteren Diabetikern vor. Zumeist sind die Augenmuskeln (Nervus Occulomotorius oder N. Abducens ) betroffen. Lähmungen der mimischen Muskulatur (Versorgungsgebiet des Gesichtsnerven (N. Facialis) kommen sehr selten im Rahmen eines Diabetes mellitus vor. Schmerzen und Sensibilitätsstörungen an der Bauchwand sind klinische Anzeichen für die seltene Mononeuropathie von Rumpfnerven (Radikulopathie). Die diabetische Neuropathie spielt außerdem eine wichtige Rolle in der Entstehung des Diabetischen Fußsyndroms.
Wie ist das Nervensystem des menschlichen Körpers aufgebaut? -Anatomie
Jede unserer Bewegungen - ein unbewusstes Zwinkern mit dem Auge, oder das Steuern eines Autos - hängen vom Funktionieren des Nervensystems ab. Dieses hochkomplizierte Netzwerk von Nervenverbindungen, erstreckt sich durch den ganzen Körper. Es nimmt ständig Informationen auf und leitet Befehle weiter, so dass Muskeln, und Organe in Aktion treten können. Im Gegensatz zu Blut- oder Lymphsystem bilden die Nerven kein einheitliches System. Es handelt sich vielmehr um verschiedene, in Verbindung stehende Systeme. Das übergeordnete Kontrollzentrum (Gehirn) und seine wichtigsten Leitungsbahnen. (Rückenmark) bilden das zentrale Nervensystem.
Höhere Funktionen, Gedächtnisleistungen etwa, Vergleiche und Entschlüsse, werden im Gehirn vollzogen. Die peripheren Nerven, bilden ein weitverzweigtes Netzwerk, dessen Fasern ins Rückenmark hinein und hinaus führen. Wird ein Tastkörperchen oder ein Temperaturfühler am Finger, eine Sinneszelle an Augen, Ohren, Nasen oder Zunge durch Reize aus der Umwelt erregt, so pflanzt sich der Reiz in Form einer elektrischen Erregung auf Zellfortsätze der Nervenzellen (Dendriten) fort.
Für jene Körperfunktionen, die nicht der bewussten Steuerung unterliegen, ist das autonome Nervensystem verantwortlich. Eingeweide, Blutgefäße und Drüsen werden vom autonomen Teil des Nervensystems innerviert. Es gliedert sich wiederum in zwei Teile: Die Gegenspieler Sympathikus und Parasympathikus kontrollieren sich gegenseitig. Der Sympathikus wird wirksam, wenn es zu gesteigerter körperlicher Aktivität kommt, um mit Stress und Notsituationen fertig zu werden. Er bewirkt den Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Der Parasympathikus blendet Aktivitäten aus, seine Nerven neigen dazu für Entspannung zu sorgen. Er senkt die Herzfrequenz und regt in Phasen der körperlichen Ruhe die Verdauung an. So wird die Arbeit der Organsysteme des Körpers ausgewogen reguliert.
Jeder einzelne Nerv besteht aus Bündeln von Nervenzellen (Neuronen). Eine Nervenzelle besteht, wie jede andere Zelle des Körpers, aus einer Zellmembran die einen Kern und Zellflüssigkeit (Zytoplasma) umschließt. Das Nervensystem bedient sich schwacher oder Reize, die über die Nervenzellen und ihre Fortsätze (Dendriten und Axone) weitergeleitet werden. Reize, in Form von elektrischen Impulsen werden in Bruchteilen von Sekunden mit hoher Geschwindigkeit (400 km/Stunde) weitergeleitet. Rund um die Nervenzelle herum münden Zellfortsätze in die Nervenzelle (Dendriten). Sie dienen als Eintrittspforten für elektrische Reize... Jedes Neuron besitzt allerdings nur einen Zellfortsatz (Axon), der Informationen von der Zelle wegleitet. Das Axon dient als Ausgang für elektrische Reize und kann sich wiederum bis zu 150 mal verzweigen um mit anderen Nervenzellen in Kontakt treten. Der "lange Arm" der Nervenzelle (Axon) kann eine Länge von mehr als einem Meter erreichen. Axone der peripheren Nerven sind von einer Isolationsschicht umgeben, die aus den sog. Schwannschen Zellen besteht.
Die Übertragung der Reize von einer auf die andere Nervenzelle geschieht mit Hilfe chemischer Botenstoffe an den sog. Synapsen. Dies sind kleine knotige Verdickungen am Ende der Axone. Sobald ein elektrisches Nervensignal die Synapse erreicht hat, wird aus kleinen Depotbläschen eine chemische Substanz (Neurotransmitter) freigesetzt, die sich rasch über den Zwischenraum zischen den beiden Zellen (Synapsenspalt) verteilt und an den Dendriten der nächsten Zelle eine erneutes elektrisches Signal erzeugt. Synapsen haben wichtige Kontroll- und Filterfunktionen über die Impulsverteilung in unserem Nervensystem. Sie erlauben den Erregungsfluss in nur eine Richtung. Außerdem werden schwache Reize, die eine bestimmte Impulsstärke unterschreiten gar nicht erst weitergeleitet. Mit Hilfe dieser Kontrollfunktionen kann das Nervensystem schnell und präzise funktionieren.
Die Hirnnerven sind 12 Paare von peripheren Nerven, deren Nervenzellleiber/Nervenzellen im Stammhirn liegen. Ihr Ursprung liegt also im zentralen Nervensystem, nach ihrem Austritt durch die Schädelbasis und durch ihren weiteren peripheren Verlauf zählen sie allerdings zum peripheren Nervensystem. Zu den Hirnnerven, die jeweils paarig angelegt sind, zählen u.a. der Riechnerv (N. olfactorius), der Sehnerv (N. opticus), die Augenmuskelnerven (N. occulomotorius, N. trochlearis und N. abducens), der Gesichtsnerv (N. Trigeminus), der Nerv für die mimische Muskulatur (N. facialis) und der Hör- und Gleichgewichtsnerv (N. vestibulocochlearis).
Auch die Rumpfnerven gehören dem peripheren Nervensystem an. Jeder der zwölf paarig angelegten Nerven entspringt als Spinalnerv aus dem Rückenmark und verzweigt sich nach ca. 2-3cm in einen vorderen und einen hinteren Ast, um jeweils die Rumpfvorder- und Rückseite zu versorgen. Jeder Nerv kann einem bestimmten Wirbelsäulenabschnitt zugeordnet werden und versorgt ganz klar definierte Abschnitte der Bauch- und Rückenwand (Haut und Muskulatur) und der inneren Organe.
Wie häufig treten Nervenerkrankungen bei Diabetikern auf? - Häufigkeiten
Die periphere sensomotorische Polyneuropathie wird am häufigsten beobachtet. Sie betrifft nur periphere Nerven, d.h. alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks, können geschädigt werden. Sensomotorisch bedeutet, dass sowohl der Tastsinn (Sensibilität) an den entsprechenden Hautpartien, als auch die Bewegungsfähigkeit (Motorik) der entsprechenden Muskeln durch die Schädigung des versorgenden Nerven beeinträchtigt wird. Ca. 30% aller Typ1 und Typ 2 Diabetiker erkranken an dieser Form der Nervenerkrankung. Bei etwa 30% der Diabetiker liegen bereits neurologische Beschwerden und Ausfälle vor, wenn die Stoffwechselstörung festgestellt wird. Meist wird sie jenseits des 50 Lebensjahres beobachtet. Die Lebensqualität der Betroffenen ist durch Schmerzerlebnisse, Bewegungseinschränkung und Medikamente wesentlich herabgesetzt. Mit dem Auftreten der sensomotorischen Polyneuropathie ist das Risiko an einem diabetischen Fuß zu erkranken deutlich erhöht. Die sensomotorische Polyneuropathie stellt den wichtigsten Risikofaktor für Nicht-traumatische (nicht durch einen Unfall verursachte) Amputationen an den unteren Extremitäten dar. Das Risiko einer Fußamputation eines Diabetikers mit Polyneuropathie ist gegenüber der Normalbevölkerung 10 bis 22-fach erhöht. Die Anzahl nicht-traumatischer Amputationen bei Diabetikern wird in Deutschland auf über 20.000 geschätzt. Als Risikofaktoren für Diabetiker mit der Entstehung der Polyneuropathie assoziiert sind Diabetesdauer, Blutzuckereinstellungen, diabetischer Retinopathie, arterielle Hypertonie, Kardiovaskuläre autonome Neuropathie, diabetische Nephropathie, Hyperlipidämie. Diskutiert werden Alkohol und Nikotin.
Die autonome diabetische Neuropathie mit Beteiligung des Herzens ist die zweit häufigste Neuropathie.10-20% haben bereits bei Diagnosestellung , über 50% nach 20 Jahren Diabetes eine autonome diabetische Neuropathie mit Arrhythmien. Das Risiko an einen plötzlichen Herztod zu versterben ist gegenüber der Normalbevölkerung 4-fach erhöht. Die diabetische Schwerpunktpolyneuropathie mit Beteiligung der Hirnnerven tritt nur selten in Erscheinung. Sexuelle Störungen im Rahmen des Diabetes mellitus sind keine Seltenheit, werden allerdings sowohl vom Arzt als auch von den Diabetikern tabuisiert. Von den männlichen Diabetikern haben etwa 50 %, von den Diabetikerinnen etwa 30% sexuelle Störungen. Polyneuropathien könne auch andere Ursachen haben, allerdings sind ca. 30% aller Polyneuropathien durch einen Diabetes mellitus entstanden.
An der Entstehung der diabetischen Neuropathie sind wahrscheinlich viele verschiedene Faktoren gleichzeitig beteiligt. Bei der sensomotorischen und der autonomen Polyneuropathie spielen sowohl Stoffwechselveränderungen (metabolische) als auch gefäßbedingte (vaskuläre) Faktoren eine Rolle.
Der wichtigste, durch erhöhte Blutzuckerspiegel induzierte, Faktor ist die Aktivierung einer spezifischen Subfamilie der Proteinkinase C. Die Hyperaktivität dieses Enzyms führt zu Zerstörung des Gleichgewichtes vieler verschiedener zellulärer Steuerungsmechanismen und spielt damit eine zentrale Rolle bei der Entstehung diabetischer Schäden an den Blutgefäßen (Mikro- und Makroangiopathie). Der Gerinnungsprozess, die Regulation des Stoffaustausches über die Blutgefäßwände und Reparaturmechanismen innerhalb der Zelle sind von der Hyperaktivität der Proteinkinase C betroffen.
Hyperglykämien führen auf Dauer zu einer Reihe von Veränderungen in der Zusammensetzung der Eiweiße im Blut und Gewebe. Glukose bindet sich im Blut an zirkulierende Eiweiße (Hämoglobin HbA1c, Lipoproteine). Diese Art der Bindung bezeichnet man als nichtenzymatische Glykosilierung. Sie beeinträchtigt die Funktion.der Proteine. Die glykosilierten Proteine unterliegen im Gewebe zusätzlichen chemischen Umwandlungsprozessen, die zur Entstehung schädlichen Nebenprodukten (Advanced Glyosylation End Products) führen. Wichtige Reparationsmechanismen im Gewebe werden durch AGEs blockiert. Oxidativer Stress begünstigt die Entstehung von AGEs. Oxidativer Stress entsteht durch ein Überangebot von oxidierten Stoffwechselprodukten aus chemischen Redox-Reaktionen. Oxidative Lipoproteine (z.B. Lowdensity Lipoproteins) häufen sich an der Gefäßwand und verursachen dort die Entstehung arteriosklerotischer Veränderungen. Die arteriosklerotische Schädigung der Blutgefäße im Rahmen des Diabetes mellitus ist seit langem bekannt (Makroangiopathie). Auch an den Nerven hat man im Sinne einer Schädigung der kleinen Blutgefäße (Mikroangiopathie) Verdickungen der Gefäßwände und Verstopfungen beobachtet. Die verdickten und verbreiterten Membranen der Blutgefäße führen zu einer Minderversorgung der Nerven mit Sauerstoff und beeinträchtigen ihre Funktion. Innerhalb der Nervenzellen werden durch hohe Blutzuckerspiegel ebenfalls wichtige Reparationsmechanismen und Wachstumsprozesse (axonaler Transport von neurotropen Wachstumsfaktoren) in ihrem Ablauf gestört. Die Bildung von Autoantikörpern gegen Nervenzellen (z.B. des Nervus vagus) und Zellen des Nebennierenmarks mit entzündlichen Veränderungen wurden ebenfalls beobachtet und mit der Entstehung der diabetischen Neuropathie in Verbindung gebracht.
Wie macht sich die diabetische Neuropathie bemerkbar? - Krankheitszeichen, Symptome
Die häufigste Form der diabetischen Polyneuropathie (periphere sensomotorische Polyneuropathie) beginnt mit symmetrisch, an beiden Füßen auftretenden sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen. Die sensiblen Ausfallerscheinungen betreffen vorwiegend die sog. Oberflächenqualitäten, wie z.B. das Vibrations- und Berührungsempfinden, Schmerz- und Temperaturempfinden. Charakteristisch ist auch ein Dehnungs- und Druckschmerz an den Nervenendpunkten in den Muskeln, sowie Missempfindungen (Parästhesien). Kribbeln und Schmerzen in den Füßen und Unterschenkeln werden auch als "burning feet-Syndrom" bezeichnet. Später kann es zu motorischen Ausfällen, z.B. zum Verlust der Muskel- und Sehnenreflexe und schließlich zu schlaffen Lähmungen der Muskulatur kommen.
Schädigungen der autonomen oder vegetativen Innervation betreffen ganz verschiedene Organsysteme. Den Blutgefäßen z. B. geht die Fähigkeit zur reflektorischen Verengung der Blutgefäße und damit eine wichtige Kontrollfunktion über den Blutdruck und die Durchblutung der einzelnen Organe verloren. Außerdem ist der Abkühlungsmechanismus durch die reflektorische Schweißsekretion vermindert. Die betroffenen Diabetiker haben warme, rote Füße. An anderen Körperstellen wiederum kommt es im Sinne eines Kompensationsversuchs des Körpers zu einer gesteigerten Schweißsekretion. Farbveränderungen der Haut (Pigmentierungsstörungen) werden gelegentlich beobachtet.
Schädigungen der Nerven am Herzen können schwerwiegende Folgen für den Diabetiker haben. Die Regulation der Herzfrequenz durch Sympathikus und Parasympathikus (die beiden antagonisierenden Teile des autonomen Nervensystems) wird dabei oft beeinträchtigt. Ein arrhythmischer Herzschlag kann in ein Kammerflimmern übergehen. Die Pumpleistung des Herzens ist vermindert und das Risiko für einen plötzlichen Herztod erhöht. Es kann auch zur sog. Frequenzstarre kommen, d.h. Herzfrequenz und Blutdruck können nicht mehr an die jeweilige Lebens- und Belastungssituation des Körpers angepasst werden. Die Schädigung der schmerzleitenden Nerven führt zum Auftreten von klinisch "stummen", schmerzlosen Herzinfarkten.
Auch der Magen-Darm-Trakt kann von der autonomen diabetischen Polyneuropathie betroffen sein. Durch Bewegungsstörungen der Speiseröhre können Schluckstörungen hervorgerufen werden. Eine Lähmung des Magens (Gastroparese) macht sich durch Völlegefühl, Übelkeit, Aufstoßen und Druck im Oberbauch bemerkbar. Durch die unkontrollierte Nahrungsabgabe in den Darm und die damit unkalkulierbare Resorption von Nährstoffen kann es zu schweren Hypoglykämien kommen. Die Schwäche der Darmmuskulatur macht sich mit Durchfällen und Verstopfung im Wechsel bemerkbar. Der Pupillenreflex kann ebenfalls gestört sein und durch eine herabgesetzte Geschwindigkeit der Weitstellung der Pupille (Mydriasis) auffallen. In seltenen Fällen kommt es auch zu Blasen- und Mastdarmlähmungen mit unwillentlichem Abgang von Harn oder Kot (Inkontinenz). Sexuelle Störungen im Rahmen des Diabetes mellitus sind keine Seltenheit, werden allerdings sowohl vom Arzt als auch von den Diabetikern häufig tabuisiert. Von den männlichen Diabetikern haben etwa 50 %, von den Diabetikerinnen etwa 30% sexuelle Störungen. Durch Affektion des Parasympathikus und Sympathikus im Rahmen der autonomen diabetischen Neuropathie kommt es bei Männern zu Erektions- und Ejakulationsstörungen. Bei den Frauen ist die Fähigkeit zur Vaginalsekretion vermindert und es treten vermehrt Orgasmusprobleme auf.
Der Befall eines einzelnen Nerven (diabetische Mononeuropathie) tritt eher selten auf. Hirnnerven-Mononeuropathien kommen ganz überwiegend beim älteren Diabetiker vor. In den meisten Fällen ist der N. occulomotorius oder N. Abducens betroffen. Dabei kommt es zu Lähmungen der Augenmuskeln mit Doppelbildern. Charakteristisch sind eine plötzliche einseitigen Blickstarre (Unfähigkeit in verschiedene Richtungen zu Blicken), die oft mit heftigen neuralgischen Gesichtsschmerzen auf der entsprechenden Gesichtsseite vergesellschaftet sind. Lähmungen des Gesichtsnerven (N. Facialis) durch einen Diabetes mellitus werden ebenfalls gelegentlich beobachtet. Dabei kommt es zum Ausfall der mimischen Muskulatur auf einer Gesichtshälfte mit hängendem Unterlid und Mundwinkel. Die Stirn kann nicht mehr in Falten gelegt ("gerunzelt") werden. Mononeuropathien von Rumpfnerven fallen durch Ausbeulungen des Rumpfes oder des Bauches auf (vgl. abdominelle Hernie).
Gleichzeitig können auch segmentäre Schmerzen, Sensiilitätsstörungen und Schwitzen auftreten. Es können auch mehrere Segmente betroffen sein, oder das gleiche Segment der anderen Seite. Auch isolierte Nerven an den Armen und Beinen können von dieser Sonderform der diabetischen Neuropathie betroffen sein (N. femoralis N. medianus) Auch hier ist der plötzliche Beginn und der neuralgische Schmerz der sicherste Hinweis auf die Folgeerkrankung eines Diabetes mellitus. Häufig liegt ein Engpasssyndrom zu Grunde (z.B. Karpaltunnelsyndrom mit Einklemmung des N. medianus am Handgelenk), für welches die diabetische Neuropathie wohl eine zusätzliche Disposition darstellt.
Anja Neufang-Sahr, Prof. Dr. med. Werner Scherbaum, Deutsches Diabetes-Forschungsinstitut Düsseldorf
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