(16.05.2003) Eine häufige Folgeerkrankung des Diabetes mellitus ist die diabetische Retinopathie, die Erkrankung der Netzhautgefäße bei Diabetes, die zur Erblindung führen kann. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Qualität der Blutzuckereinstellung und Auftreten sowie Schweregrad einer diabetischen Retinopathie.
Aufgrund einiger Studien wird ein Zusammenhang zwischen der diabetischen Retinopathie und der Pubertät oder dem Alter bei Diabetesbeginn vermutet. Eine schwedische Forschergruppe hat dieses kürzlich anhand von Aufnahmen des Augenhintergrundes untersucht.
Zur Beurteilung des Effektes der Blutzucker-Langzeitkontrolle auf die Entwicklung einer diabetischen Retinopathie wertete die Gruppe Daten der VISS-Studie (Vascular complications in South-East Sweden) aus, einer Studie zur Erfassung von Gefäßkomplikationen bei Typ 1 Diabetes.
Studienaufbau und Ergebnisse:
Die 440 Studienteilnehmer hatten zwischen 1983 und 1987 einen Typ 1 Diabetes vor dem 36 Lebensjahr entwickelt. Da in Schweden nahezu alle Typ 1 Diabetiker bis zum 35. Lebensjahr in Kliniken behandelt werden, beteiligten sich alle entsprechenden Abteilungen an der Studie. Letztlich wurden Daten von 390 Teilnehmern, deren Aufnahmen des Augenhintergrundes vorlagen, in die statistische Auswertung einbezogen. Zwei Augenärzte stuften die Retinopathie anhand der Augenhintergrundaufnahmen abhängig von der Art der Veränderungen (Mikroaneurysmen bzw. andere Schädigungen) in 4 Stadien ein. Blutdruck, Insulinbedarf, Albuminurie (Eiweiß im Urin zur Beurteilung der Nierenfunktion), Körpergewicht und Körpergröße wurden wie der HbA1c-Wert (Blutzucker-Langzeitwert) aus den Behandlungsberichten entnommen.
Die Diabetesdauer lag bei allen Teilnehmern zwischen 6 und 13 Jahren. Bei 123 Teilnehmern (29%) trat eine Retinopathie auf. Beim Vergleich der in 5-Jahresschritten gestaffelten Altersgruppen zeigten sich Unterschiede: Die bei Diabetesbeginn unter 5-Jährigen entwickelten in 11% der Fälle eine Retinopathie. Am häufigsten entwickelte sich die Retinopathie mit 48% kurz nach der Pubertät bei den bei Diabetesbeginn 15-19-Jährigen. Das Auftreten einer Retinopathie sank wieder bei den 30-35-Jährigen (30% der Fälle).
Weiterhin zeigte sich eine Abhängigkeit des Auftretens einer Retinopathie vom mittleren HbA1c-Wert. Das Risiko für alle Retinopathie-Stadien war bei den höchsten HbA1c-Werten (>8,3%) 2,4mal höher als bei niedrigeren HbA1c-Werten und 5,2mal höher als bei den niedrigsten HbA1c-Werten (<6,5%). Das Risiko für schwerere Augenhintergrundveränderungen (andere als Mikroaneurysmen) war in der Gruppe mit den höchsten HbA1c-Werten (>8,3%) sogar 7,2mal höher als bei niedrigeren HbA1c-Werten. Bei einem durchschnittlichen HbA1c-Wert von 8% war das Risiko für eine Retinopathie 5,1mal höher als bei einem HbA1c-Wert von 7% und 26mal höher als bei einem HbA1c-Wert von 6%.
Zusammenfassend zeigte sich bei Typ 1 Diabetikern mit einer Diabetesdauer zwischen 6 und 13 Jahren eine Abhängigkeit der Retinopathie-Entwicklung von der Blutzuckerkontrolle (HbA1c-Wert). Unabhängig von Diabetesdauer und Blutzuckerkontrolle hing das Risiko für die Entwicklung einer diabetischen Retinopathie auch vom Alter bei Diabetesbeginn ab.
Interessanterweise wiesen zeitbezogene Faktoren wie das Alter bei Beginn des Typ 1 Diabetes und die Diabetesdauer bei den bei Diabetesbeginn jünger als 20-Jährigen die größte Vorhersagekraft für das Auftreten einer Retinopathie auf. Bei den Älteren beeinflussten Stoffwechselfaktoren wie der Insulinbedarf die Entwicklung einer Retinopathie stärker.
Eine Erklärung der Autoren für den Einfluss des Alters bei Diagnosestellung des Typ 1 Diabetes auf das Auftreten einer Retinopathie wäre die Änderung der Insulinsensitivität während des Älterwerdens. Die Autoren vermuten auch, dass die in verschiedenen Altersgruppen sich unterscheidenden Hormone und deren Abbaustoffe neben einem erhöhten Blutzucker die Entwicklung einer Retinopathie direkt ungünstig beeinflussen könnten. Längere Zeitspannen mit stärker erhöhtem Blutzucker sollen einen stärkeren Einfluss auf die Entwicklung einer Retinopathie haben als längerfristig eher normale Blutzuckerwerte. Dies wurde hier nicht deutlich, was die Autoren auf die recht kleine Teilnehmerzahl zurückführen. Auch war der Einfluss des Blutdrucks auf die Entwicklung einer Retinopathie relativ gering, was an den verhältnismäßig jungen Teilnehmern liegen könnte. Von den 35 Teilnehmern (9%), die einen erhöhten Blutdruck aufwiesen, entwickelten jedoch 20 eine Retinopathie.
Weiterführende Studien mit einer wesentlich höheren Teilnehmerzahl müssen nun klären, ob und wie stark das Alter zu Beginn des Typ 1 Diabetes und die Blutzuckereinstellung (HbA1c-Wert) tatsächlich die Entwicklung einer Retinopathie beeinflussen. Auch muss erst geklärt werden, ob Zeitspannen mit schlechterer Blutzuckereinstellung die Entwicklung einer Retinopathie stärker beeinflussen als dies bei gleichmäßig eingestelltem Blutzucker der Fall ist.
Dr. med. Melanie Stapperfend, Deutsches Diabetes Forschungsinstitut Düsseldorf
Quelle:
Kullberg CE, Abrahamsson M, Arnqvist HJ, Finnström K, Ludvigsson J: Precvalence of retinopathy differs with age at onset of diabetes in a population of patients with Type 1 diabetes. Diabet. Med. 19, 924-931 (2002)