Insulinsensitizer Pioglitazon: Antiatherogener unabhängig von antidiabetischem Effekt
(14.01.2004) Typ 2 Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko für die Atherosklerose, die sogenannte "Gefäßverkalkung", und deren Komplikationen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Daher sollte nicht nur eine optimale Einstellung des Zuckerstoffwechsels angestrebt, sondern ebenso die Atherosklerose als Ursache für die Herz-Kreislauf-Komplikationen behandelt werden.
Thiazolidindione - das sind Medikamente aus der Gruppe der Insulinsensitizer, die die Insulinempfindlichkeit des Gewebes verbessern - zeigten neben der Senkung des Blutzuckerspiegels in Studien auch einen positiven Effekt auf die Atherosklerose. In einer klinischen Studie in Japan wurde jetzt erstmals bei Typ 2 Diabetikern auch die wahrscheinliche Unabhängigkeit dieser beiden Wirkungen bei einem Thiazolidindion, dem Pioglitazon, gezeigt.
Studienaufbau und Durchführung:
In die Studie eingeschlossen wurden 136 Typ 2 Diabetiker mit einem Durchschnittsalter von ca. 60 Jahren. Alle hatten zu Studienbeginn einen stabilen und relativ hohen Blutzuckerspiegel (HbA1c-Wert 7.0-9.0%). Die 64 Männer und 72 Frauen wurden abwechselnd zwei Gruppen zugeteilt: 70 Teilnehmer nahmen täglich 30 mg Pioglitazon über 3 Monate ein; 66 Teilnehmer der Kontrollgruppe blieben unbehandelt. In der Pioglitazon-Gruppe wurde außerdem zwischen sogenannten Respondern, die auf Thiazolidindione mit einer Verbesserung der Blutzucker- und Insulinspiegel reagieren (HbA1c-Senkung um mehr als 1%) und Non-Respondern, bei denen Pioglitazon keine Blutzuckerwirkungen zeigte (HbA1c- Senkung um weniger als 1%), unterschieden.
Vor und nach der dreimonatigen Beobachtungsphase wurden verschiedene Werte bestimmt: Zuckerstoffwechsel (HbA1c, Plasmaglukose, Plasma-Insulinspiegel, Insulinresistenz), Fettstoffwechsel (Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin, HDL-Cholesterin, Triglyzeride), hochsensitives CRP (hsCRP), Adiponectin und Leptin, BMI, Alter und Geschlecht. Ebenso erfolgte die Messung des Blutdrucks sowie der Pulswellengeschwindigkeit.
Ergebnisse:
Zu Studienbeginn bestanden keine Unterschiede zwischen Kontroll- und Pioglitazon-Gruppe hinsichtlich Alter, Geschlecht, BMI-Index, Blutdruck, Nüchternblutzucker, HbA1c, Insulin, Gesamtcholesterin und Triglyzeriden.
Während der dreimonatigen Behandlung mit Pioglitazon sanken im Vergleich zum Studienbeginn und auch zur Kontrollgruppe erhöhte Blutzuckerwerte, Insulinresistenz sowie HbA1c-Wert. Die Konzentration von Adiponectin im Blutplasma stieg. Das LDL-Cholesterin sank im Vergleich zum Studienbeginn. Bei Non-Respondern wie Respondern sank der Entzündungsmarker hochsensitives CRP (hsCRP) und die Pulswellengeschwindigkeit, ein direkter Parameter der Dehnbarkeit der Arterien.
Schlussfolgerungen:
Beide Parameter (hsCRP und Pulswellengeschwindigkeit) werden als Risikomarker für Gefäßschädigungen angesehen. Die Verringerung beider Marker war sowohl bei Respondern als auch bei Non-Respondern unabhängig von Änderungen des Nüchternblutzuckerwertes, des Plasma-Insulins, des HbA1c und der Insulinresistenz. Daraus folgern die Studienautoren, dass der Effekt von Pioglitazon gegen die Atherosklerose unabhängig vom blutzuckersenkenden Effekt ist. Dass hsCRP bei den Respondern jedoch stärker gesenkt wurde als bei den Non-Respondern lässt vermuten, dass ein Teil des Effektes gegen die Atherosklerose dennoch mit den Verbesserungen des Blutzuckerstoffwechsels in Verbindung steht. Die Autoren vermuten weiter, dass der Effekt gegen Atherosklerose jedoch vorrangig über einen vom blutzuckersenkenden Effekt unabhängigen Mechanismus durch direktes Angreifen an der Gefäßmuskulatur vermittelt wird.
Die Ausschlag gebende Beobachtung dieser Studie ist, dass Pioglitazon sowohl das hsCRP als auch die Pulswellengeschwindigkeit bei Respondern und Non-Respondern unabhängig von den Änderungen im Zuckerstoffwechsel senkt.
Es handelt sich hier um die erste allerdings nicht randomisierte Beobachtungsstudie mit Typ 2 Diabetikern, die eine wahrscheinliche Unabhängigkeit der Effekte auf Atherosklerose und Zuckerspiegel nahe legte. Daher bleiben weitere, insbesondere randomisierte Studien zur Bestätigung dieser Unabhängigkeit abzuwarten, bevor Pioglitazon zur Behandlung diabetesassoziierter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, z.B. gegen das Fortschreiten einer Atherosklerose, unabhängig vom Einfluss auf den Zuckerstoffwechsel gezielt eingesetzt werden kann. Dies wird aktuell in der laufenden Outcomestudie "PROaktive" getestet. Sollte sich die Unabhängigkeit beider Effekte bestätigen, so steht mit der Kombination beider Wirkungen ein für Typ 2 Diabetiker aufgrund des hohen Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein noch wertvolleres Medikament zur Verfügung. Eine Verbesserung der Lebenserwartung für Typ 2 Diabetiker durch die Behandlung mit Pioglitazon kann durch die vorliegende Datenlage angenommen werden. Erst in einigen Jahren sind die Ergebnisse entsprechender Studien (harte Endpunktstudien) zu erwarten, die dies auch evidenzbasiert belegen können.
Dr. med. Melanie Stapperfend, Prof. Dr. med. Werner Scherbaum, Deutsches Diabetes-Forschungsinstitut Düsseldorf
Quelle: Antiatherogenic Effect of Pioglitazone in Type 2 Diabetic Patients Irrespective of The Responsiveness to Its Antidiabetic Effect. N. Satoh et al.. Diabetes Care 2003, Vol 26 (9): 2493-2499 |