Transplantation gegen Diabetes?
Diabetes-Forschungsinstitut an der Universität Düsseldorf, über jüngste Behandlungserfolge in einem Interview der Süddeutschen Zeitung.
SZ: Vor etwa einem Jahr erhielten acht zuckerkranke Kanadier Spenderzellen aus der Bauchspeicheldrüse von Toten. Seitdem müssen sich die Patienten, die zuvor an Diabetes mellitus vom Typ I litten, kein Insulin mehr spritzen. Die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse haben offenbar die Produktion des Hormons aufgenommen, so dass die Patienten für die betreuenden Ärzte nun als geheilt gelten. Ist das die Behandlung der Zukunft? Scherbaum: Bislang wurden nur wenige Patienten behandelt und zudem auch erst ein Jahr lang beobachtet. Daher weiß man noch nichts über mögliche Langzeitfolgen. Dennoch ist das Verfahren auf jeden Fall ein großer Fortschritt. Schon seit mehr als zehn Jahren versucht man auch in Deutschland, Inselzellen zu transplantieren, jedoch bisher mit weniger Erfolg. SZ: Woran liegt das? Scherbaum: In unserem Immunsystem gibt es Abwehrzellen, die wie schlafende Hunde "stets ein Auge offen" haben. Ziel ist es, diese Zellen durch Medikamente ruhig zu halten, damit sie die transplantierten Zellen nicht zerstören. Das ist aber oft schwierig. SZ: Weshalb? Scherbaum: Die Medikamente können die gesamte Abwehr lahm legen und öffnen damit Krankheitserregern Tür und Tor. Schwer therapierbare Infektionen können die Folge sein. SZ: Weshalb gelang es den kanadischen Ärzten nun, dies zu vermeiden? Scherbaum: Sie haben erstmals einen Cocktail aus drei verschiedenen Medikamenten verabreicht. Der Clou dabei ist, dass sie Medikamente mit unterschiedlichen Wirkprinzipien kombinierten und feststellten, dass die Patienten mit einer deutlich geringeren Dosis als bisher auskommen. Allerdings sind die Patienten wie nach jeder Transplantation ein Leben lang auf die Arzneien angewiesen. SZ: Was führte außerdem zum Erfolg der neuen Methode? Scherbaum: Die Forscher spritzten den Patienten nicht wie bisher nur einmal, sondern nach einigen Wochen noch ein zweites Mal Inselzellen. Damit stellten sie sicher, dass genug Zellen für die Insulinproduktion vorhanden waren. Denn bisher reichten die 200 000 bis 400 000 Zellen, die ein Spender hergibt, nicht aus. Andere Ärzte hatten zuvor schon versucht, die Inselzellen von zwei verschiedenen Spendern zu mischen, um eine größere Ausbeute zu erhalten. Dies war jedoch problematisch, weil viele Zellen in gefrorenem Zustand ihre Funktion einbüßen und ungefroren nur acht bis zehn Tage überleben. Das heißt, ein zweites Spenderorgan musste innerhalb von wenigen Tagen zur Verfügung stehen. SZ: Lohnt sich denn angesichts der lebenslangen Abhängigkeit von den Medikamenten die Transplantation? Scherbaum: Ja. Insbesondere für Diabetiker mit einer transplantierten Niere, die diese Medikamente ohnehin bekommen, wäre es eine Erleichterung, wenn die Insulinspritze wegfallen könnte. SZ: Die behandelten Patienten litten am Diabetes Typ I, der vor allem im jugendlichen Alter auftritt und bei dem die Inselzellen zu Grunde gegangen sind. Diese Form macht aber nur etwa fünf Prozent aller Diabetes Fälle aus. Die weit häufigere Form ist der Typ II, bei dem verschiedene Körperzellen gegen Insulin unempfindlich werden. Deshalb muss die Bauchspeicheldrüse immer mehr Insulin produzieren, damit die Körperzellen den Zucker aus dem Blut aufnehmen. Lässt sich die Inselzelltransplantation auch bei diesen Patienten anwenden? Scherbaum: Das ist noch Zukunftsmusik. Diese Patienten leiden erst im Spätstadium ihrer Erkrankung an Insulinmangel und lassen sich auch dann mit Insulinspritzen über viele Jahre hinweg gut einstellen. Hinzu kommt natürlich, dass unmöglich alle Patienten mit Spenderzellen versorgt werden können: Es gibt schließlich rund fünf Millionen Diabetiker in Deutschland. SZ: Könnten hier nicht Inselzellen vom Schwein helfen? Scherbaum: Im Prinzip ja. Bei diesen Zellen ist allerdings das Problem der Abstoßung noch größer als bei menschlichen. Sie müssen deshalb in schützende Mikrokapseln eingebaut werden. Das Problem ist dann aber die Behinderung der Insulinausschüttung. SZ: Wie steht es mit anderen Therapien? Scherbaum: Die Stammzell-Transplantation ist eine Entwicklung, die an mehreren Orten weltweit läuft. Sie versucht von einer anderen Seite her, das Problem zu knacken. Dabei bringen bestimmte Stoffe Stammzellen dazu, sich in Inselzellen umzuwandeln. Allerdings muss noch sichergestellt werden, dass die Substanzen für Menschen ungiftig sind. Dann hätten wir alles, was wir brauchen, aber so weit sind wir noch nicht. SZ: Diese Zellen wären unbegrenzt verfügbar. Scherbaum: Genau. Denn die Stammzellen können sich im Gegensatz zu den ausgebildeten Inselzellen noch teilen. Andererseits sind letztere schon entwickelte Zellen, die reife und "intelligente" Einzelorgane darstellen, die bedarfsgerecht Insulin ausschütten.
Deutsches Diabetes-Forschungsinstitut Düsseldorf
Quelle: Astrid Viciano Gofferje, Süddeutsche Zeitung, 06.06.2000 Nr. 129 |