Schwangerschaftsdiabetes: Insulingabe nach Wachstumskurve?
(31.03.2004) Seit langem ist bekannt, dass Blutzuckererhöhungen der Mutter während der Schwangerschaft mit Problemen für das Ungeborene verbunden sind. Es kommt zur sogenannten diabetischen Fetopathie. Der Fetus* reagiert auf das erhöhte Glukoseangebot mit einer gesteigerten Sekretion von Insulin. Insulin ist der stärkste Wachstumsfaktor während der Schwangerschaft und so kommt es zum übermäßigen Wachstum der Ungeborenen insbesondere im Stammbereich. Um Erkrankungen des Fetus und Neugeborenen zu verhindern, wird standardmäßig bei allen Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes) eine strenge Stoffwechselkontrolle empfohlen.
Das erfordert bei allen betroffenen Frauen eine intensive Blutzuckerselbstkontrolle sowie bei einem Drittel der Frauen eine Behandlung mit Insulin zusätzlich zu einer Diät, wenn der Blutzuckerwert nüchtern größer als 90 mg/dl ist oder nach den Mahlzeiten größer als 120 mg/dl.
Es ist jedoch bekannt, dass kein linearer Zusammenhang besteht zwischen der Höhe des mütterlichen Blutzuckers und der Entwicklung einer diabetischen Fetopathie. Dies trifft besonders für den Bereich einer nur mäßigen Blutzuckererhöhung zu, wie sie bei den meisten Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes vorkommt. Zudem reagiert jeder Fetus individuell unterschiedlich auf ein erhöhtes Zuckerangebot durch die Mutter. So sehen wir in der Klinik bei einigen Frauen mit erhöhten Blutzuckerwerten, die wir entsprechend den Empfehlungen mit Insulin einstellen müssen, normal gewachsene Kinder, während bei manchen Frauen mit normalen Blutzuckerwerten unter Diät die Kinder übermäßig wachsen und damit der Verdacht auf eine diabetische Fetopathie besteht.
In einer kürzlich in der bekannten Fachzeitschrift „Diabetes Care“ veröffentlichten vergleichenden Therapiestudie haben deutsche Wissenschaftler unter Leitung von Frau Dr. Schäfer-Graf untersucht, inwieweit die Einbeziehung des fetalen Wachstums bei der Indikationsstellung zur Insulintherapie Vorteile bringt. In der ersten Gruppe erfolgte die Insulingabe nur anhand der mütterlichen Blutzuckerwerte (Standardmethode). In der anderen Gruppe basierte die Insulingabe während der Schwangerschaft vorrangig auf der Entwicklung der Wachstumskurve des Kindes, die durch monatliche Ultraschalluntersuchungen ermittelt wurde.
Gemäß dem Studienentwurf wurde in der Studiengruppe mit Insulingabe basierend auf dem fetalen Wachstum Insulin nur dann gegeben, wenn der Bauchumfang des Feten über der 75. Perzentile* der Wachstumskurve lag – unabhängig vom mütterlichen Blutzucker – oder wenn der mittlere Nüchternblutzuckerwert über 120 mg/dl oder nach dem Essen über 200 mg/dl betrug. Frauen, deren Blutzuckerwerte bereits bei Feststellung des Schwangerschaftsdiabetes diese Werte überschritten, wurden von Anfang an aus der Studie ausgeschlossen.
Es zeigte sich, dass sich die Insulingabe basierend auf dem Wachstum des fetalen Abdominalumfangs (Bauchumfangs) für das Kind nicht ungünstig auswirkt im Vergleich zur Standardbehandlung, obwohl 43 Prozent der Frauen kein Insulin erhielten, die nach der Standardbehandlung eigentlich mit Insulin behandelt worden wären.
Im Gegenteil, es gab weniger Fälle mit Wachstumsverminderung der Feten, wenn bei den Frauen mit erhöhten Blutzuckerwerten, deren Feten ein normales Wachstum zeigten, auf eine Behandlung mit Insulin verzichtet wurde.
Andererseits zeigte sich eine eindrucksvoll niedrigere Rate von übergewichtigen Neugeborenen, Kaiserschnitten und Verlegung der Kinder auf der Intensivstation, wenn Frauen mit normalen Blutzuckerspiegeln, aber übermäßigem Wachstum der Feten, mit Insulin behandelt wurden. Die Vorgehensweise einer Insulingabe basierend auf dem Wachstums des Feten ist eine Möglichkeit, die Insulinbehandlung genauer auf die Schwangerschaftsdiabetikerinnen abzuzielen, die ein Risiko für eine diabetische Fetopathie haben. Dies verbessert die Kosteneffektivität und spart wertvolle Ressourcen des Gesundheitssystems für Frauen mit erhöhtem Risiko.
In weiteren Studien muss ermittelt werden, ob auch die bisherige sehr intensive Blutzuckerselbstkontrolle bei Schwangeren mit Schwangerschaftsdiabetes bei normalem Wachstum des Feten seltener durchgeführt oder sogar ganz aufgegeben werden kann. Die intensive Blutzuckerselbstkontrolle bei jeder Frau ist der teuerste Bereich in der Behandlung von Schwangeren mit Schwangerschaftsdiabetes.
Dr. med. Ute. M. Schäfer-Graf, Klinik für Geburtsmedizin, Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin
Quelle: Schaefer-Graf UM, Kjos SL, Fauzan OH, Buhling KJ, Siebert G, Buhrer C, Ladendorf B, Dudenhausen JW, Vetter K. A randomized trial evaluating a predominantly fetal growth-based strategy to guide management of gestational diabetes in Caucasian women. Diabetes Care. 2004 Feb;27(2):297-302
Anm. d. Red.: * Ungeborenes vom Beginn des dritten Schwangerschaftsmonats an **Perzentile: Die Körpergröße eines Kindes in Perzentilen ausgedrückt bedeutet, dass die Körpergröße in Bezug auf die Körpergröße der Altersgenossen angeben wird. Eine Körpergröße auf der 50. Perzentile bedeutet, dass 50% der Kinder gleichen Alters und gleichen Geschlechts kleiner als das betreffende Kind sind; Körpergröße auf der 3. Perzentile bedeutet, dass 3% der vergleichbaren Kinder kleiner als das betreffende Kind sind. |