Arteriosklerose und deren Komplikationen beim Diabetes mellitus
Das Gefäßrisiko bei Diabetikern betrifft sowohl die kleinen Gefäße (Mikroangiopathie) als auch die großen Arterien (Makroangiopathie = Arteriosklerose). Bei Diabetikern tritt häufiger als bei Nicht-Diabetikern schon im früheren Alter eine Arteriosklerose auf. Diese ist oft rasch zunehmend und führt oft zu schweren Komplikationen, wie Herzinfarkt, Herzversagen und Schlaganfall.
Prof. Dr. med. Werner Scherbaum, Ärztlicher Direktor an der Deut- schen Diabetes-Klinik Hier eine Übersicht über diesen Beitrag:
Arteriosklerotische Komplikationen sind die Hauptursache für die erhöhte Sterblichkeit bei Diabetikern. Die zugrundeliegende Erkrankung Diabetes wird aber häufig nicht entsprechend wahrgenommen und erscheint daher meist an unterer Stelle in den Sterblichkeitsstatistiken. Die Arteriosklerose beim Diabetiker führt im wesentlichen zu drei Krankheitskomplexen und zwar:
1. Herzkranzgefäßerkrankungen (koronare Herzkrankheit) und Herzinfarkt
2. Arteriosklerose der hirnzuführenden und der Hirngefäße (zerebrovaskuläre Sklerose) sowie Schlaganfall
3. Verschlußkrankheit der Beinarterien (periphere arterielle Verschlußkrankheit, pAVK) bis zum Absterben von Zehen und Fuß (diabetische Gangrän).
Das gleichzeitige Vorliegen eines Diabetes mellitus steigert die Auswirkungen anderer kardiovaskulärer Risikofaktoren um ein mehrfaches. Besonders ungünstig sind neben einer erblichen Belastung ein gleichzeitig bestehender Bluthochdruck (arterielle Hypertonie), Fettstoffwechselstörungen und Zigarettenrauchen sowie eine schlechte Diabeteseinstellung. Mit zunehmendem Lebensalter und zunehmender Lebensdauer nimmt das Risiko weiter zu. Auf dem Boden der Arteriosklerose kommt es zu akuten Gefäßverschlüssen (Infarkt), die durch eine erhöhte Aktivität von Blutplättchen (aktivierte Thrombozyten), die erhöhte Gerinnbarkeit des Blutes (Hyperkoagulabilität) und eine verminderte Gerinselauflösung (Fibrinolyse) bei Diabetikern bedingt ist. Daher hat sich eine antithrombolytische Therapie mit dem Thrombozytenfunktionshemmer Aspirin als besonders effektiv erwiesen, um die o.g. diabetischen Komplikationen, insbesondere Herzinfarkt und Schlaganfall zu reduzieren.
Das erhöhte kardiovaskuläre Risiko betrifft sowohl Typ 1- als auch Typ 2-Diabetiker. Beim Typ 2 Diabetes mellitus sind die o.g. Risikoparameter meist schon zum Zeitpunkt der Diagnosenstellung des Diabetes im Sinne eines Metabolischen Syndroms vorhanden. Beim Typ 1 Diabetes tritt ein Bluthochdruck meist erst mit der Entwicklung einer diabetischen Nephropathie auf. Die Fettstoffwechselstörung ist überwiegend mit einer schlechten Diabeteseinstellung verbunden.
Das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen des Diabetes mellitus kann durch eine Reduktion der o.g. Risikofaktoren günstig beeinflußt werden. Eine bessere Diabeteseinstellung mit verbesserten HbA1c-Werten führt zu einem günstigeren Verlauf. Besonders günstig wirkt sich die Senkung eines erhöhten Blutdrucks bei Diabetikern aus. In einer großen Vergleichsstudie über acht Jahre führte bereits eine Senkung des systolischen Blutdrucks um 10 mm Hg und des diastolischen Blutdrucks um 5 mm Hg zu einer starken Verminderung des Risikos für Schlaganfälle, Herzinfarkte und für diabetesbedingte Todesfälle. Eine lipidsenkende Therapie mit Statinen oder Fibraten vermag bei Diabetikern die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse und die Sterblichkeit zu reduzieren. Ebenso ist der günstige Einfluß von Aspirin® gut belegt, wobei Dosen zwischen 100 und 300 mg gut wirksam sind.
Morphologische und funktionelle Veränderungen der Herzkranzgefäße können zu Herzinfarkt, zur Herzschwäche (Herzinsuffizienz) und zum Tode führen. Während in den letzten Jahrzehnten die kardiovaskulären Erkrankungen (Morbidität) und die kardiovaskuläre Sterblichkeit (Mortalität) in der Allgemeinbevölkerung deutlich abgenommen haben, steigen diese bei Diabetikern weiter an. Das Verteilungsmuster der Arteriosklerose ist meist diffus und befällt neben dem Hauptstamm bevorzugt die kleineren Äste. Ferner ist die Mikrostrombahn spezifisch verändert mit einer Verdickung der Basalmembran im Kapillarbereich.
Die KHK (Erkrankung der Herzkranzgefäße) weist bei Diabetikern eine Reihe von Besonderheiten auf. Die Anzahl stummer Myokardischämien und Infarkte (Herzinfarkt und Schmerzen) ist bei Diabetikern erhöht. Ebenso das Risiko für ischämische Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz. Bei Diabetikern finden sich im Vergleich zu Nicht-Diabetikern doppelt so häufig EKG-Veränderungen, die für eine Herzkranzgefäßerkrankung typisch sind. Mindestens 50% aller Todesfälle bei Diabetikern sind der koronaren Herzkrankheit zuzuschreiben. Männliche Diabetiker weisen ein 2-fach und Diabetikerinnen sogar ein 4-fach erhöhtes kardiovaskuläres Sterblichkeitsrisiko gegenüber gleichaltrigen Nicht-Diabetikern auf. Ein Herzinfarkt bei Diabetikern weist auch eine erhöhte Komplikationsrate und Hospitalsterblichkeit sowie eine schlechtere Prognose im späteren Verlauf auf. Diabetiker profitieren auch oft weniger von Stentimplantationen oder aorto-koronaren Bypass-Operationen. Eine konsequente blutdruck- und lipidsenkende Therapie sowie eine gute Blutzuckereinstellung sind in den meisten Fällen von koronarer Herzkrankheit bei Diabetikern effizienter.
Die Diagnostik der KHK (Koronare Herzkrankheit) ist bei Diabetikern prinzipiell gleich wie bei Nicht-Diabetikern. Sie weist aber eine Reihe von Besonderheiten auf. Die Aussagekraft der nicht-invasiven Diagnostik ist eingeschränkt und auch der Herzkatheterbefund korreliert oft nicht gut mit dem Ausmaß der koronaren Herzkrankheit.
Empfohlen wird bei Diabetikern ab dem 35. Lebensjahr einmal jährlich ein Ruhe-EKG. Eine weitergehende kardiale Diagnostik ist erforderlich bei typischer oder atypischer Angina pectoris, bei Auffälligkeiten im Ruhe-EKG, bei einer arteriellen Verschlußkrankheit der Beinarterien oder der extrakraniellen Hirngefäße (Halsschlagadern) sowie vor Beginn eines intensiven sportlichen Trainingsprogramms. Ferner ist aufgrund des besonderen kardialen Risikos bei Diabetikern eine weiterführende Herzdiagnostik angezeigt, wenn einer der folgenden Zusatzbefunde vorliegt: Gesamtcholesterin erhöht auf > 240 mg/dl, arterielle Hypertonie, Rauchen, Nachweis einer Mikroalbuminurie oder eine Familienanamnese mit einer vorzeitigen koronaren Herzkrankheit.
Da auch Patienten mit einer diabetischen Nephropathie (Nierenerkrankung) und Patienten mit einer autonomen Neuropathie (Nervenerkrankung) ein erhöhtes kardiales Risiko aufweisen, ist auch bei diesen Gruppen ein entsprechendes diagnostisches kardiales Untersuchungsprogramm angezeigt. Als Untersuchungsmethoden stehen u.a. zur Verfügung: EKG, Streß-Echokardiogramm, Belastungs-EKG, Myokardszintigraphie, Echokardiographie, Herzkatheteruntersuchungen einschließlich Koronarangiographie, Thallium-Myokardszintigraphie, Positronen-Emissions-Tomographie (PET).
Bei Patienten mit Herzinfarkt findet sich in mindestens zwei Drittel der Personen ein Diabetes oder eine gestörte Glukosetoleranz. Für die Diagnose der Stoffwechselstörung muss bei dieser Patientengruppe meist ein oraler Glukosebelastungstest (OGTT) durchgeführt werden.
Herzinfarkte kommen bei etwa 10% der Diabetiker vor. Die Prognose des Herzinfarktes ist bei Diabetikern wesentlich schlechter als bei Nicht-Diabetikern. Dies betrifft sowohl die 24-Stunden-Überlebensrate als auch die Langzeitprognose. Insbesondere ist bei Diabetikern das Risiko für Reinfarkte, Linksherzinsuffizienz, Lungenödem und kardiogenem Schock erhöht. Einer plötzlich einsetzenden Herzschwäche (Herzinsuffizienz) liegt bei Diabetikern nicht selten ein Herzinfarkt zugrunde.
Diabetiker profitieren ganz besonders von einer Thrombolysetherapie (Gerinselauflösung) im akuten Infarkt. Die Lysetherapie ist auch bei vorhandener diabetischer Retinopathie (Augenerkrankung) nicht kontraindiziert.
Die Therapie des Herzinfarkts beim Diabetes folgt den allgemeinen Regeln der Infarkttherapie. Daneben ergeben sich eine Reihe von diabetesspezifischen Besonderheiten:
1) die Gabe von ACE-Hemmern hat bei Diabetikern einen besonders günstigen Effekt sowohl auf die akute als auch auf die Langzeitkomplikationsrate.
2) die Überlebensrate nach Herzinfarkt kann besonders bei Diabetikern durch die Gabe von kardioselektiven Betablockern verbessert werden.
Zerebrovaskuläre Erkrankungen bei Diabetikern Das Risiko für zerebrovaskuläre Erkrankungen (Erkrankungen der Hirngefäße) ist bei Diabetikern gegenüber Nicht-Diabetikern erhöht. Männer mit Diabetes mellitus haben ein fast zweimal und Frauen ein dreimal höheres Risiko für einen Schlaganfall. Dreimal so viele Diabetiker wie Nicht-Diabetiker sterben an den Folgen der zerebrovaskulären Durchblutungsstörungen, die insbesondere durch Hirninfarkte bedingt sind. Bei diesen Menschen liegt eine ausgeprägte Arteriosklerose der Hirnarterien und häufig eine Stenose der großen hirnzuführenden Arterien (Carotisstenose) vor.
Dr. med. M. Stapperfend, Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum, Deutsche Diabetes-Zentrum Düsseldorf an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Deutsche Diabetes-Klinik
Aktualisiert im März 2005 |