Dem Typ 1 Diabetes geht eine erhöhte Darmdurchlässigkeit voraus
(11.08.2006) Bei Menschen mit einer Typ 1 Diabeteserkrankung und ihren erstgradig Verwandten ist die Durchlässigkeit der Darmwand erhöht. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung von Wissenschaftlern um Alessio Fasano von der University of Maryland School of Medicine in Baltimore, USA. Verantwortlich hierfür ist ein Eiweiß mit dem Namen Zonulin, das bei den Betroffenen in höherer Menge gefunden wird.
Sichtbar gemachte Inselzellantikörper, gefärbt mit Insulinantikörper (humanes Pankreas) Foto: DDZ
Zonulin regelt die Durchlässigkeit und die Aufnahme von Nahrung im Darm, indem es hier torähnliche Verbindungen zwischen Zellen öffnet und schließt. Bei einem Anstieg der Zonulin-Spiegel verliert der Darm seine natürliche Barrierefunktion, so dass verschiedene Substanzen in den Körper eindringen und hier zu Abwehrreaktionen des Immunsystems führen können. Entsprechend werden erhöhte Konzentrationen von Zonulin mit der Entstehung von Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht, bei denen die Immunabwehr das eigene Körpergewebe angreift. Im Hinblick auf den autoimmunbedingten Typ 1 Diabetes konnte in Versuchen mit Ratten gezeigt werden, dass der Anstieg der Zonulin-Spiegel und die erhöhte Durchlässigkeit der Darmwand einer Typ 1 Diabeteserkrankung zeitlich vorausgehen. Umgekehrt konnte man im Tierexperiment einen Typ 1 Diabetes verhindern, wenn das Protein Zonulin blockiert wurde.
Fasano und sein Team untersuchten 339 Patienten mit einem Typ 1 Diabetes, 89 erstgradig Verwandte (z. B. die Kinder) von Typ 1 Diabetikern und 97 Kontrollpersonen. Tatsächlich wurden bei 42 Prozent der Diabetiker und bei 29 Prozent der erstgradig Verwandten erhöhte Zonulin-Spiegel im Blutserum gefunden. Aus statistischer Sicht lagen die Zonulin-Werte hier zwei Standardabweichungen oberhalb der Werte von Gesunden. Innerhalb der Kontrollgruppe hatten lediglich 4 Prozent der Studienteilnehmer entsprechend hohe Zonulin-Werte.
Zusätzlich beobachteten die Wissenschaftler 10 Personen, bei denen ein erhöhtes Risiko für eine Typ 1 Diabeteserkrankung bekannt war und die im weiteren Verlauf auch einen Typ 1 Diabetes entwickelten. Bei 70 Prozent der Betroffenen aus dieser Gruppe waren die Zonulin-Spiegel in den Serumproben bereits vor dem Ausbruch der Diabeteserkrankung deutlich erhöht. Im Durchschnitt konnten die hohen Zonulin-Werte bereits 3,5 (+ 0,9) Jahre vor der eigentlichen Diabetesmanifestation nachgewiesen werden.
Die Ergebnisse von Fasano und seinem Team legen nahe, dass hohe Zonulin-Spiegel eng mit der Erkrankung Typ 1 Diabetes verknüpft sind und dieser um Jahre vorausgehen. Es wird vermutet, dass das Eiweiß Zonulin bei genetisch vorbelasteten Personen ein wichtiges Verbindungsglied ist zwischen erhöhter Darmdurchlässigkeit, einer verstärkten Konfrontation der Köperabwehr mit Umwelteinflüssen und der Ausbildung von Autoimmunerkrankungen wie dem Typ 1 Diabetes.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin der Deutschen Diabetes-Klinik des Deutschen Diabetes-Zentrums an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung
Quelle: Sapone A, de Magistris L, Pietzak M et al. Zonulin upregulation is associated with increased gut permeability in subjects with type 1 diabetes and their relatives. Diabetes 2006; 55: 1443-1449 |