An der Entstehung von Typ 1 Diabetes sind Nervenzellen beteiligt
(30.01.2007) Forscher aus Kanada und den USA haben bei diabetischen Mäusen Hinweise gefunden, dass an der Entstehung des Typ 1 Diabetes Nervenzellen in der Bauchspeicheldrüse eine entscheidende Rolle spielen. Sollte sich dies auch beim Menschen bestätigen, könnten sich daraus in der Zukunft völlig neue Behandlungsansätze ergeben.
Zwischen den Betazellen in der Bauchspeicheldrüse besteht auch ein feines Geflecht an Nervenzellen
Bisher wurden vor allem Autoimmunprozesse für die Entwicklung des Typ 1 Diabetes verantwortlich gemacht: Körpereigene Zellen des Immunsystems richten sich gegen insulinherstellende Betazellen in der Bauchspeicheldrüse. Im Rahmen dieser zerstörerischen Entzündungsreaktion gehen die Betazellen schließlich nach und nach zugrunde.
Bereits vor einigen Jahren hatten Forscher um Hans-Michael Dosch vom Hospital for Sick Children in Toronto, Kanada, im Tierexperiment folgendes beobachtet: Neben der Betazell-Zerstörung lassen sich beim Typ 1 Diabetes auch Störungen in einem Geflecht von Nerven nachweisen, dass die Betazellen und die Bauchspeicheldrüse umgibt. Dosch und sein Team hatten nach dieser Entdeckung vermutet, dass die krankhaften Prozesse in den sensorischen Nervenzellen am Beginn der Erkrankung stehen und möglicherweise der Auslöser für die zerstörerischen Autoimmunprozesse in der Bauchspeicheldrüse sind. Als sensorisch bezeichnet man Nerven, welche die Erregung von Rezeptoren an der Nervenendigung zum Rückenmark oder zum Gehirn leiten.
In ihrer aktuellen tierexperimentellen Untersuchung konnte die Arbeitsgruppe um Dosch tatsächlich zeigen, dass es offenbar eine Art Kontrollkreislauf zwischen Betazellen und den zugehörigen sensorischen Nerven gibt. Wird dieser Kontrollkreislauf gestört oder unterbrochen, kommt es zu Entzündungsreaktionen bis hin zum Untergang von Betazellen. Mit anderen Worten: Die Typ 1 Diabeteserkrankung beginnt mit Störungen in Nervenzellen, die das insulinherstellende Gewebe wie ein Geflecht umgeben. Im Mittelpunkt steht dabei ein spezielles Neuropeptid, die Substanz P. Diese Substanz wird von den Nervenzellen produziert und ist dafür verantwortlich, eine „gesunde“ Umgebung für die insulinherstellenden Zellen aufrechtzuerhalten. Kommt es zu einem Ungleichgewicht in der Neuropeptid-Herstellung der Substanz P, reagiert der Körper mit einem Autoimmunprozess, der sich rund um die Betazellen abspielt und zur Zerstörung derselben führt.
Ihre Annahmen überprüften die Wissenschaftler in Versuchen mit genetisch veränderten Mäusen, die alle eine Veranlagung zum Typ 1 Diabetes hatten. Das verblüffende Ergebnis: Wurden die „gestörten“ Nervenzellen entfernt, entwickelten die Tiere auch keinen Diabetes. Ebenso konnte durch Injektion von Substanz P die Entzündungsreaktion in der Bauchspeicheldrüse rückgängig gemacht werden, so dass die Mäuse von einem weiteren Untergang der Betazellen verschont blieben.
Die spannende Frage ist nun, inwieweit diese Ergebnisse aus dem Tierexperiment auch für den Menschen zutreffen. Entsprechende Studien bei diabetesgefährdeten Personen sind bereits geplant. Sollte sich die Rolle der sensorischen Nervenzellen bei der Diabetesentstehung bestätigen, wäre dies eine revolutionäre Entdeckung, die völlig neue Behandlungsstrategien denkbar macht.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin der Deutschen Diabetes-Klinik des Deutschen Diabetes-Zentrums an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung
Quelle: Razavi R, Chan Y, Afifiyan FN et al. TRPV1+ sensory neurons control beta cell stress and islet inflammation in autoimmune diabetes. Cell 2006 ; 127: 1123-35 |