Ist Übergewicht sozial ansteckend?
(05.10.2007) Übergewicht – vor allem im Bauchbereich – zählt zu den wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung eines Typ 2 Diabetes. Neben vererblichen Komponenten spielt für das wachsende Problem der überflüssigen Pfunde vor allem der Lebensstil eine ausschlaggebende Rolle: Bewegungsarmut und eine ungesunde Ernährung mit zu vielen Kalorien, ungünstigen Fetten und zu wenig Nährstoffen bleiben nicht ohne Folgen. Aber auch das soziale Netzwerk, in dem man sich bewegt, hat offenbar einen Einfluss auf das „Dicksein“ oder „Schlanksein“.
Quelle: DAK
Den sozialen Aspekt haben erstmals Nicholas Christakis von der Harvard Medical School und James Fowler von der University of California untersucht. Ihre interessanten Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler vor kurzem in der renommierten Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“. Christakis und Fowler werteten medizinische Dokumentationsbögen von 12.067 Erwachsenen aus, die über einen Zeitraum von 32 Jahren im Rahmen der bekannten Framingham Heart Study erstellt wurden. Hierin waren neben dem Body Mass Index (BMI) unter anderem auch verschiedene Angaben zum sozialen Umfeld der Teilnehmer vermerkt. Das Ziel der beiden Wissenschaftler war es, herauszufinden, ob und in welchem Ausmaß Verwandte, Freunde und Ehepartner das eigene Gewicht beeinflussen.
Tatsächlich konnten Christakis und Fowler zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein oder Fehlen von Übergewicht und dem sozialen Umfeld besteht. Entwickelte zum Beispiel ein Freund des Teilnehmers in dem Erfassungszeitraum Übergewicht, erhöhte sich auch für den Studienteilnehmer selbst die Wahrscheinlichkeit, dicker zu werden. Dies traf unabhängig davon zu, ob der Freund oder die Freundin in der direkten Umgebung oder weiter entfernt wohnte. Dieser Zusammenhang fand sich hauptsächlich jeweils innerhalb des gleichen Geschlechts (also zwischen Freundinnen oder Freunden). Eine ähnliche – allerdings weniger ausgeprägter – Verbindung zeigte sich zwischen Geschwistern und Ehepartnern. Die Wahrscheinlichkeit, übergewichtig zu werden, stieg insgesamt um
- 57 Prozent an, wenn er oder sie einen Freund bzw. eine Freundin hatte, die in einem bestimmten Zeitraum Übergewicht entwickelte.
- 40 Prozent an, wenn ein Geschwister Übergewicht entwickelte.
- 37 Prozent an, wenn der Ehepartner Übergewicht entwickelte.
Die Wissenschaftler führen diese Effekte nicht darauf zurück, dass sich Übergewichtige eher „dicke“ und schlanke Personen eher „dünne“ Freunde suchen. Ebenso wenig gehen sie davon aus, dass sich die Beobachtungen in dieser Studie auf gemeinsame Freizeitaktivitäten oder einen ähnlichen Lebensstil zurückführen lassen. Stattdessen vermuten Christakis und Fowler, dass eine Veränderung im Bewertungssystem für „Normalität“ stattfindet: Wenn die Freunde viele Pfunde zulegen, wird auch die eigene Gewichtszunahme viel eher als „normal“ und nicht schädlich beurteilt. Die Vorstellung vom „Normalgewicht“ verschiebt sich allmählich: Übergewicht wird zum Teil nicht mehr als solches wahrgenommen und die möglichen gesundheitlichen Folgen – von denen der Typ 2 Diabetes „nur“ eine ist – werden unterschätzt und verdrängt.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin von Diabetes-Deutschland.de, Deutsches Diabetes-Zentrum an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung
Quelle: Christakis NA, Fowler JH. The spread of obesity in a large social network over 32 years. N Engl J Med 2007, 357: 370-379
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