Themaspezial für Ärzte
Diabetes und Depression
Depressionen beeinträchtigen wie keine andere Erkrankung in fundamentaler Weise die Lebensqualität der Betroffenen und treten bei Menschen mit Diabetes gehäuft auf. Sie sind gekennzeichnet durch gedrückte Stimmung, Interessensverlust, Freudlosigkeit, Schwunglosigkeit, Schlafstörungen und oft durch multiple körperliche Beschwerden.
Der Verlauf ist häufig episodenhaft und unbehandelt meist rezidivierend oder chronisch. Die langfristige Prognose des Diabetes wird durch die zusätzliche Erkrankung Depression summativ negativ beeinflusst. Dies gilt auch für Patienten mit einer erhöhten Depressivität. Für das Screening, die Diagnostik und die Therapie von Depressionen existieren evidenzbasierte Algorithmen und Empfehlungen für die klinische Praxis.
Dr. phil. Dipl. Psych. B. Kulzer
- Depression als Risikofaktor für die Entwicklung des Typ-2-Diabetes - Depression bei Diabetes: Epidemiologie - Lebensqualität - Ungünstiges Krankheitsverhalten - Glykämische Kontrolle, Folgeerkrankungen und Mortalität - Gesundheitskosten - Ätiologie und Pathogenese - Diagnostik - Screening - Diagnostische Kriterien - Differenzialdiagnostik - Therapie - Psychosomatische Basisversorgung - Psychotherapie - Medikamentöse antidepressive Therapie - Integrierte Versorgung - Fazit für die Praxis
Ziel dieses Beitrages ist eine zusammenfassende Darstellung des Themas Diabetes und Depression, welche den Leser in die Lage versetzen soll, die wichtigsten ätiologischen, diagnostischen und therapeutischen Aspekte zu kennen und in der Praxis Depressionen bei Diabetes frühzeitiger erkennen und behandeln zu können. Eine konsequente Behandlung depressiver Störungen führt zu einer positiven Beeinflussung beider Erkrankungen.
Bei affektiven Störungen handelt es sich um akute, chronische oder episodische Störungen der Stimmung, die depressiv-gehemmt und/oder manisch-erregt sein kann. Unter den affektiven Störungen sind depressive Episoden, die Inhalt dieses Beitrages sind, am häufigsten. Depressive Störungen werden mittels eines strukturierten Interviews entsprechend den ICD- oder DSM-Kriterien diagnostiziert. Von Depressivität oder depressiver Symptomatik spricht man, wenn sich erhöhte Werte in den Depressionsscores von standardisierten Fragebögen ergeben. Depressionen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere oft unterschätzten Erkrankungen.
Patienten mit Depressionen leiden häufiger auch an anderen psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, somatoformen Störungen, Essstörungen, Substanzabhängigkeit oder Substanzmissbrauch und chronischen körperlichen Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder koronare Herzkrankheit. Sie haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer viszeralen Adipositas und eines metabolischen Syndroms.
Es kann mittlerweile als gesichert gelten, dass für Patienten mit affektiven Störungen ein erhöhtes Risiko besteht, an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse [1] ermittelte bei Personen mit depressiven Symptomen eine Erhöhung des Diabetesrisikos um 37 % (Abb. 1). Dieser Zusammenhang bleibt auch dann bestehen, wenn in multivarianten Analysen metabolische, soziodemographische und Lebensstilfaktoren kontrolliert werden, die gleichermaßen mit dem Auftreten von Diabetes wie auch Depressivität assoziiert sind (z. B. Gewicht, Ausmaß körperlicher Bewegung, Nikotin-, Alkoholabusus).
Da Depression daher als ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes betrachtet werden muss, sollten Menschen mit einer erhöhten Depressivität gezielt auf eine gestörte Glukosetoleranz bzw. einen bislang unentdeckten Typ-2-Diabetes untersucht werden. Weiterhin sollte bei diesen Personen bei der Wahl einer antidepressiven Pharmakotherapie darauf geachtet werden, dass neben der erwünschten Wirkung auf die klinische Symptomatik auch das Risiko einer relevanten Gewichtszunahme sowie eines negativen Einflusses auf den Glukosestoffwechsel in Betracht gezogen wird.
In der amerikanischen Präventionsstudie DPP („Diabetes Prevention Program Research Group“, [2]) erwies sich die Einnahme von Antidepressiva in einer Teilpopulation als Risikofaktor für die Diabetesmanifestation. Für die häufige Assoziation von Diabetes und Depressionen gibt es zwar einige Hypothesen, aber bislang noch keine gesicherten Erklärungen.
In der Allgemeinbevölkerung weisen – bezogen auf die letzten 6 Wochen (Punktprävalenz) – etwa 6 % eine behandlungsbedürftige depressive Störung auf, während etwa 18 % im Verlauf des Lebens zumindest an einer klinisch relevanten depressiven Störung erkranken (Lebenszeitprävalenz; [3]). Bei Menschen mit Diabetes kommen depressive Stimmungen und behandlungsbedürftige depressive Störungen etwa doppelt so häufig vor wie bei Nicht-Diabetes-Patienten. Die Ergebnisse einer 42 Studien umfassenden Metaanalyse zeigen, dass etwa jeder 3. Diabetespatient (31 %) unter depressiven Stimmungen leidet und etwa jeder 8. Diabetespatient (12 %) eine behandlungsbedürftige klinische Störung aufweist [4]. Für den deutschsprachigen Raum konnten diese Daten in einer bevölkerungsbasierten Stichprobe und einer klinischen Stichprobe bestätigt werden [5, 6].
Keine Unterschiede zeigen sich in der Ausprägung der Depressivität und in der Prävalenz der Depression zwischen Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Neben den klassischen Risikofaktoren für Depression (weibliches Geschlecht, alleine lebend, jüngeres Lebensalter, niedriger sozio-ökonomischer Status) ist eine Depression bei Diabetespatienten mit erhöhten HbA1c-Werten, Vorhandensein von Folgekomplikationen, Hypoglykämieproblemen und Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes assoziiert [6].
Depressionen führen bei Menschen mit Diabetes zu einer deutlich eingeschränkten Lebensqualität. Depressive Diabetespatienten weisen in allen Bereichen der Lebensqualität (körperliche, soziale und psychische Dimension) signifikant schlechtere Werte auf als nichtdepressive Diabetespatienten, obgleich deren Lebensqualität im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung bereits reduziert ist [7]. In einer bevölkerungsbezogenen Stichprobe des amerikanischen „National Health Interview Surveys“ (NHIS) konnte Egede [8] aufzeigen, dass Menschen mit Diabetes und komorbider Depression deutlich häufiger Arbeitsunfähigkeitstage aufweisen und öfter krankheitsbedingt Tage im Bett verbringen als Menschen mit Diabetes ohne Depression bzw. die Normalbevölkerung. Auch ist das Risiko für 7 funktionelle Einschränkungen (z. B. Erwerbsfähigkeit, Arbeitslosigkeit) stärker ausgeprägt.
Eine erfolgreiche Behandlung des Diabetes erfordert die aktive Mitarbeit des Patienten, der durch sein tägliches Therapieverhalten und Selbstmanagement den Verlauf der Erkrankung entscheidend beeinflusst. Patienten mit depressiver Symptomatik gelingt es deutlich schlechter, das Therapieverhalten an die Behandlungsnotwendigkeiten anzupassen, als Menschen mit Diabetes ohne psychische Symptomatik. Diabetespatienten mit einer Depression befolgen in geringerem Umfang die therapeutischen medizinischen Empfehlungen, zeigen häufiger gesundheitsschädigendes Verhalten (z. B. Rauchen, unregelmäßige Stoffwechselselbstkontrolle, Nichteinnahme von antihypertensiven Medikamenten) und nehmen seltener an gesundheitsfördernden Maßnahmen (z. B. Gewichtsreduktionsprogrammen) teil bzw. brechen diese öfter ab [9]. In einer eigenen Untersuchung (Abb. 2) konnten wir zeigen, dass Patienten mit depressiven Anzeichen, vor allem aber Patienten mit einer klinischen Depression, in allen Bereichen eines Fragebogens zur Messung krankheitsspezifischer Belastungen (PAID, „Problem Areas in Diabetes“) deutlich schlechtere Werte aufweisen als Diabetespatienten ohne eine Depression. Dieser Zusammenhang besteht bereits bei Personen mit depressiven Symptomen, die noch nicht an einer klinischen Depression erkrankt sind [10].
Diabetespatienten mit einer Depression weisen im Vergleich zu nichtdepressiven Patienten eine schlechtere Blutzuckereinstellung auf. In einer Metaanalyse, in welche 24 Studien zum Zusammenhang zwischen Depressionen und Blutzuckereinstellung einbezogen wurden, ergab sich ein moderater, aber signifikanter Zusammenhang (Effektstärke d=0,15 für eine subklinisch depressive Symptomatik und d=0,28 für klinische depressive Störungen) zwischen einer schlechten Blutzuckereinstellung und erhöhter Depressivität [11]. Ebenfalls belegt ist ein höheres Ausmaß an Folgekomplikationen bei depressiven Diabetespatienten [12].
In den letzten Jahren mehren sich die Hinweise, dass die Depression sowohl das Auftreten von Folgekomplikationen begünstigt, als auch eine erhöhte Mortalität zur Folge hat. In einer amerikanischen Längsschnittstudie [13], in welcher über einen Zeitraum von 7 Jahren 2830 Diabetespatienten betreut wurden, stieg das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen für Diabetespatienten mit leichteren Formen einer Depression um das 8-Fache, für Patienten mit schweren Depressionen sogar um das 11-Fache im Vergleich zu Diabetespatienten ohne eine Depression. Aber auch das Risiko für makrovaskuläre Komplikationen war bei depressiven Diabetespatienten um das 2,5-Fache erhöht. Das Mortalitätsrisiko zeigte gar eine Erhöhung um etwa das 5-Fache (Abb. 3).
Drei aktuelle bevölkerungsbezogene prospektive Studien mit großen Stichproben [14, 15, 16] konnten die erhöhte Mortalität bestätigen. Bei depressiven Menschen mit Diabetes scheint sich somit das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko, welches durch die Ursprungserkrankung (Depressivität, Diabetes) gegeben ist, nicht nur zu addieren, sondern zu potenzieren. Für die klinische Praxis ist wichtig, dass die negativen Effekte von Depressionen sich nicht auf behandlungsbedürftige Depressionen beschränken, sondern dass auch leichte depressive Symptome einen ähnlich nachteiligen Einfluss auf die langfristige Prognose haben.
Die Kosten für die medizinische Versorgung von depressiven Menschen mit Diabetes sind im Vergleich zu psychisch nicht beeinträchtigten Menschen mit Diabetes erhöht. Die Analyse der Kosten von 2 amerikanischen „Health-Maintenance-Organisationen“ ermittelte eine Steigerung um 70–80 %. Die Arbeitsgruppe um Ciechanowski [17] ermittelte jährliche Gesundheitsausgaben für einen Diabetespatienten ohne oder mit nur geringfügigen depressiven Symptomen von etwa 2100 US$. Mit der Schwere depressiver Symptome nahmen diese Gesundheitsausgaben um bis zu 70 % auf etwa 3600 US$ zu. Der Zuwachs an Kosten entsteht nicht primär durch die medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlung der Depression, sondern durch eine intensivere stationäre medizinische Betreuung aufgrund des schlechteren körperlichen Zustandes und ein häufigeres Aufsuchen von Notfalleinrichtungen und Hausärzten. Bislang gibt es hierzu für Deutschland keine Daten.
Aufgrund der unterschiedlichen Formen und Ausprägungen der depressiven Symptomatik wird ein multifaktorielles Ätiologiemodell angenommen, bei dem sich gleichermaßen genetische, biologische, psychische und soziale Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen im Hinblick auf prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren wechselseitig beeinflussen (Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell; Abb. 4).
Für das gemeinsame Auftreten von Depression und Diabetes gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze:
- Depression kann als ein Risikofaktor das Auftreten eines Typ-2-Diabetes begünstigen.
- Diabetes als zusätzliches „life-event“ fördert die Manifestation einer Depression.
- Depressive Belastungsreaktionen (z. B. depressive Emotionen und Kognitionen aufgrund drohender oder tatsächlicher Folgeerkrankungen des Diabetes) im Zusammenhang mit der Diabeteserkrankung stellen eine depressionsfördende Bedingung dar.
- Ausgeprägte hypoglykämische, hyperglykämische bzw. stark schwankende Blutzuckerwerte führen bei Diabetespatienten zu häufigeren depressiven Stimmungslagen.
- Depressive Stimmungslage entsteht aufgrund (vermeintlicher oder tatsächlicher) Unkontrollierbarkeit der Stoffwechsellage (gelernte Hilflosigkeit).
- Spezifische und unspezifische Belastungen im Umgang mit dem Diabetes (z. B. funktionelle Einschränkungen) können depressionsfördernd sein.
- Genetische, physiologisch, biochemische Zusammenhänge zwischen den beiden Erkrankungen Diabetes und Depression.
Mittlerweile wird auch diskutiert, ob beiden Erkrankungen eine gemeinsame Ursache zugrunde liegt. Hinweise hierfür gibt es auf verschiedenen Ebenen. Genetische Untersuchungen konnten zeigen, dass bestimmte Allelkombinationen (z. B. „angiotensin-I-converting-enzyme“, ACE) sowohl zu metabolischen Erkrankungen, als auch zu depressiven Episoden prädisponieren. Depressive Störungen gehen häufig mit einer Hyperaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren- (HPA-)Achse einher, was dazu führt, dass vom Hypothalamus zu viel „corticotropin-releasing hormone“ (CRH) und Vasopressin (antidiuretisches Hormon) ausgeschüttet werden. Dies bewirkt in der Hypophyse die Freisetzung von adrenocorticotropen Hormonen (ACTH), welche die Kortisolbildung in der Nebenniere zur Folge hat. Kortisol reduziert die extrahepatische Glukoseutilisation, die hepatische insulininduzierte Suppression der Glukoseproduktion und die Hemmung der Lipolyse von Fettdepots, was mit einer Blutzuckererhöhung und einer Steigerung der Insulinresistenz einhergeht. Letztere stellt einen wesentlichen Faktor bei der Entstehung des Typ-2-Diabetes und der Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen dar.
In der Folge kann die HPA-Achsen-Dysregulation auch zu einer viszeralen Fettakkumulation (viszeralen Adipositas) führen, was ebenfalls die Entstehung des Diabetes und der Arteriosklerose fördert [9].
Da Depressionen oft mit einer Aktivierung des Immunsystems und einem verstärkten Auftreten proinflammatorischer Enzyme assoziiert sind, postulieren aktuelle Modelle, dass über diese Entzündungsprozesse direkt bzw. über eine kompensatorische Aktivierung der HPA-Achse die Manifestation des Typ-2-Diabetes und die Entwicklung der Arteriosklerose begünstigt werden [18] (Abb. 5).
Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung einer neben der Diabeteserkrankung bestehenden depressiven Störung ist angesichts der negativen Prognose dieser Erkrankung wichtig. Untersuchungen zeigen, dass bei mehr als der Hälfte der Diabetespatienten eine bestehende Depression unentdeckt bleibt [19]. Da die Symptome der Depression oft in unterschiedlicher Dauer, Intensität und Periodik auftreten, ist es in der klinischen Praxis nicht ganz einfach, eine Depression als behandlungsbedürftige Krankheit zu diagnostizieren. Denn häufig sind sich depressive Patienten gar nicht bewusst, unter einer psychischen Störung zu leiden. Sie äußern in der Praxis eher unspezifische oder körperliche Beschwerden wie erhöhte Müdigkeit, Erschöpfung, Appetitverlust oder Ein- und Durchschlafstörungen, psychische Symptome wie Niedergeschlagenheit oder Hoffnungslosigkeit dagegen eher nicht.
In der Praxis sollte besonders bei Diabetespatienten mit:
- dauerhaft erhöhten Blutzuckerwerten (HbA1c),
- Motivationsproblemen zur Therapiedurchführung,
- emotionalen Problemen der Krankheitsverarbeitung,
- bestehenden Folgekomplikationen des Diabetes,
- häufigen, schweren Hypoglykämien
an eine bisher unerkannte Depression gedacht werden. Frauen mit Diabetes haben ein zweifach erhöhtes Risiko für depressive Störungen. Dies sollte ebenfalls bei der Einschätzung eines möglichen Depressionsrisikos berücksichtigt werden.
Das zentrale Diagnostikinstrument für Depressionen ist das Gespräch. Die Diagnose wird entsprechend den gültigen Kriterien entsprechend ICD-10 bzw. DSM IV gestellt. In der klinischen Praxis haben sich 2 Screening-Fragen bewährt, die für die Entdeckung einer depressiven Erkrankung eine hohe Sensitivität (97 %) aufweisen:
- „Haben Sie sich in den letzten 2 Wochen häufig niedergeschlagen, hoffnungslos oder depressiv gefühlt?“
- „Haben Sie in den letzten 2 Wochen wenig Freude oder Interesse an Dingen verspürt, die Ihnen gewöhnlich Freude bereiten?“
Allerdings hängt die Nützlichkeit dieser beiden Fragen zum Depressions-Screening sehr stark davon ab, ob es dem Arzt gelingt, eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen, in welcher der Patient bereit ist, über sein emotionales Erleben zu sprechen. Werden beide Fragen mit „ja“ beantwortet, so sollten alle Kriterien für das Vorliegen einer depressiven Störung geprüft werden.
Neben entsprechenden Screening-Fragen stehen ökonomische Fragebögen zum Depression-Screening zur Verfügung, die vom Patienten im Wartezimmer ausgefüllt werden können. Vor allem der WHO-5 hat sich als sehr brauchbares, ökonomisches und nicht stigmatisierendes Instrument erwiesen http://www.cure4you.dk/354/WHO-5_German.pdf) und wird daher in den internationalen [20] wie nationalen Diabetesleitlinien [21, 22, 23] empfohlen. Der Patient wird hier aufgefordert, 5 positiv formulierte Fragen zu beantworten. Die Beantwortung kann einen Gesamtwert von 0–25 Punkten ergeben. Bei weniger als 13 Punkten beträgt das Risiko für eine Depression rund 30 %, sodass in diesem Fall eine weitere diagnostische Abklärung erfolgen sollte. Der Kurzfragebogen kann von dem Patienten selbst ausgefüllt und ausgewertet werden und ist seit 2008 auch Bestandteil des „Gesundheits-Pass Diabetes“ (Tab. 1).
Tab. 1 WHO-5-Fragebogen zum Wohlbefinden. Die folgenden Aussagen betreffen Ihr Wohlbefinden in den letzten 2 Wochen. Bitte markieren Sie bei jeder Aussage die Rubrik, die Ihrer Meinung nach am besten beschreibt, wie Sie sich in den letzten 2 Wochen gefühlt haben
In den letzten 2 Wochen |
Die ganze Zeit |
Meistens |
Etwas mehr als die Hälfte der Zeit |
Etwas weniger als die Hälfte der Zeit |
Ab und zu |
Zu keinem Zeitpunkt |
…war ich froh und guter Laune |
5 |
4 |
3 |
2 |
1 |
0 |
…habe ich mich ruhig und entspannt gefühlt |
5 |
4 |
3 |
2 |
1 |
0 |
…habe ich mich energisch und aktiv gefühlt |
5 |
4 |
3 |
2 |
1 |
0 |
…habe ich mich beim Aufwachen frisch und ausgeruht gefühlt |
5 |
4 |
3 |
2 |
1 |
0 |
…war mein Alltag voller Dinge, die mich interessieren |
5 |
4 |
3 |
2 |
1 |
0 |
Auswertung: Der Rohwert kommt durch einfaches Addieren der Antworten zustande. Der Gesamtwert der Rohwerte kann sich von 0–25 erstrecken, wobei 0 das geringste Wohlbefinden/niedrigste Lebensqualität und 25 größtes Wohlbefinden/höchste Lebensqualität kennzeichnet. Den Prozentwert von 0–100 erhält man durch Multiplikation mit 4. Der Prozentwert 0 bezeichnet das schlechteste Wohlbefinden, 100 das beste Wohlbefinden. Bei einem Punktwert <13 liegt ein Verdacht auf eine Depression vor. Eine weitgehend diagnostische Abklärung wird empfohlen [21].
Bei Patienten mit Diabetes ist die „depressive Episode“ (ICD-10, F32) die häufigste Diagnoseform. Ist das Depressions-Screening positiv, so sollte das Vorliegen der Haupt- und Zusatzkriterien einer Depression geprüft werden. (Abb. 6 a, b). In einem ersten Schritt werden die 3 Hauptsymptome der Depression:
- depressive Stimmung (Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit)
- der Verlust an Interesse bzw. Freude an Tätigkeiten sowie
- die Antriebsminderung
einfühlsam erfragt. Die Haupt- ebenso wie die Zusatzsymptome müssen länger als 2 Wochen bestehen. Nur wenn mindestens 2 dieser Fragen bejaht werden, liegt eine Depression mit Krankheitswert vor.
Die Art der Depression und deren Schweregrad wird dann durch das Abfragen von 7 Zusatzsymptomen (verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, negative Zukunftsperspektive, Gedanken an oder erfolgte Selbstverletzung/Suizidhandlungen, Schlafstörungen, verminderter Appetit) bestimmt:
- Für eine leichte depressive Episode (ICD-10, F32.0) müssen mindestens 2 Hauptsymptome und zusätzlich mindestens 2 Zusatzsymptome vorliegen. Bei mehr als 4 somatischen Symptomen kann dies zusätzlich verschlüsselt werden (ICD-10, F32.01 „…mit somatischen Symptomen“).
- Für eine mittelgradige depressive Episode (ICD-10, F32.1) müssen mindestens 2 Hauptsymptome und mindestens 4 Zusatzsymptomen vorliegen. Bei mehr als 4 somatischen Symptomen kann dies zusätzlich verschlüsselt werden (ICD-10, F32.11 „…mit somatischen Symptomen“).
- Für eine schwere depressive Episode (ICD-10, F32.2) müssen 3 Hauptsymptome und mindestens 5 Zusatzsymptome vorhanden sein.
- Bei zusätzlichen wahnhaften Ideen und/oder Halluzinationen (psychotische Symptome) ist die Diagnose „schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen“ (ICD-10, F32.3) zu stellen. Hierbei sollte allerdings sichergestellt sein, dass nicht rezidivierende Hypoglykämien oder eine ketoazidotische Stoffwechsellage hierfür verantwortlich ist.
Entwickelt sich die „depressive Episode“ zu einem chronischen Verlauf, so spricht man von einer rezidivierenden depressiven Störung (ICD-10, F33.x). Anhaltende affektive Störungen, die über 2 Jahre bestehen, können besonders bei therapieresistenten Patienten mit schweren chronischen Belastungen oder fortschreitenden Akut- oder Folgekomplikationen des Diabetes im Sinne einer Zyklothymie (ICD-10, F34.0) oder Dysthymie (ICD-10, F34.1) bestehen.
Erleben Patienten die Diabetesdiagnose, schwere Hypoglykämien, lebensbedrohliche Ketoazidosen oder das erstmalige Auftreten von Folgekomplikationen (z. B. Verlust des Augenlichtes, Amputation, Dialysepflicht) als ein sehr einschneidendes, belastendes Ereignis, so ist auch an die Diagnose einer Anpassungsstörung (ICD-10, F43.2) zu denken. Sie wird je nach Dauer in eine „kurze depressive Reaktion“ (<1 Monat, ICD-10, F43.20), eine „längere depressive Reaktion“ (bis zu 2 Jahren, ICD-10, F43.21) oder bei gleichzeitig bestehender Angst als „Angst, Depression gemischt“ (ICD-10, F43.22) diagnostiziert. Gerade bei Diabetespatienten mit Angst vor Stoffwechselentgleisungen und daraus resultierenden drohenden Akut- oder Folgekomplikationen kann die Diagnose „Angst und Depression gemischt“ (ICD-10, F41.2) zutreffen. In Abgrenzung zu den Anpassungsstörungen entwickeln sich die Symptome hierbei nicht nach einem belastenden Ereignis. Für diese Patienten ist schon die Vorstellung der potenziellen Konsequenzen von Diabeteskomplikationen sehr belastend und ängstigend.
Da sehr viele Patienten mit depressiven Störungen an zusätzlichen komorbiden Erkrankungen, vor allem Angst- und Panikstörungen oder Substanzabusus, leiden, ist auch die Frage nach weiteren psychischen Störungen wichtig. Manische Episoden (ICD-10, F30.x) und bipolare affektive Störungen (ICD-10, F31.x) und kommen nach derzeitigem Kenntnisstand bei Diabetespatienten nicht häufiger vor als bei Nicht-Diabetes-Patienten. Sie sollten jedoch wegen der deutlich 7 erhöhten Suizidgefahr besondere Beachtung finden. Da die Suizidalität bei Menschen mit Diabetes erhöht ist, empfiehlt es sich, bei wiederkehrenden schweren Hypoglykämien oder Ketoazidosen zu prüfen, ob ein Suizidversuch, ein selbstschädigendes, autoaggressives Verhalten oder eine bisher nicht erkannte Depression die Ursache hierfür sein könnte [24].
Differenzialdiagnostisch sind die depressiven Syndrome abzugrenzen von depressiven Symptomen bei Persönlichkeitsstörungen (ICD-10, F6.x), posttraumatischen Belastungsstörungen (ICD-10, F43.1) und schizoaffektiven Störungen (ICD-10, F25.x). Depressive Symptome können sich auch im Rahmen hirnorganischer Syndrome als Symptom/Syndrom von Erkrankungen des zentralen Nervensystems entwickeln. Ebenso können depressive Symptome im Rahmen von Infektionen, postoperativen Reaktionen, zusätzlichen endokrinologischen Erkrankungen, Intoxikation und Mangelerkrankungen auftreten wie auch als abnorme Reaktion auf Medikamente und Drogen.
Da Depressionen bei Diabetes ein gravierendes Problem mit schwerwiegenden Konsequenzen auch für die Diabetestherapie darstellen, ist die rechtzeitige und leitliniengerechte Behandlung von klinischen, wie auch subklinischen Depressionen bei Menschen mit Diabetes von besonderer Bedeutung. Hierbei besteht das Ziel der Behandlung gleichermaßen in einer Reduktion der depressiven Symptomatik wie auch in einer Stärkung der Ressourcen des Patienten, damit dieser sein Diabetesselbstmanagement wieder optimieren kann und eine Verbesserung seiner Lebensqualität erreicht. Für die Behandlung von Depressionen bei Diabetespatienten gelten die Prinzipien einer Depressionsbehandlung, wie sie in den Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) beschrieben sind, die als wissenschaftliche [21], Praxis- [23] und Patientenversion [29] sowie in einer englischen Version [22] vorliegen (Tab. 2).
Tab. 2 Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Depression bei Diabetes [21, 22, 23]
Screening: |
– Klinischer Eindruck |
– WHO-5-Fragebogen zum Wohlbefinden ([21]; Score <13) |
– PAID-Fragebogen ([10]; Score >40) |
Diagnose: |
– Abfragen der depressiven Kernsymptome (depressive Stimmung, Verlust von Interesse und Freude, Antriebsminderung) und Zusatzsymptome (verminderte Konzentration oder Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle der Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektive, Gedanken an erfolgte Selbstverletzungen/Suizidalität, Schlafstörungen, verminderter Appetit) |
– Abfragen von besonderen krankheitsspezifischen Belastungen (z. B. Auftreten und Umgang mit drohenden/bestehenden Folgeerkrankungen, Hypoglykämien, chronischen Schmerzen) |
– Eventuell: Einsatz eines spezifischen Depressionsfragebogens (z. B. BDI [26], ADS [27]) |
– Abklärung anderer psychischer oder somatischer Erkrankungen |
Therapieoptionen: |
– Psychotherapie (nach Möglichkeit von Therapeut/in mit zusätzlicher Expertise in der Behandlung des Diabetes) |
– Antidepressivum (nach Möglichkeit selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) |
– Fachärztliche psychiatrische Mitbehandlung (besonders bei akuter Suizidalität, bipolaren Störungen, Komorbidität anderer psychischer Erkrankungen, Komedikation, Therapieresistenz, behandlungsgefährdenden psychosozialen Problemen) |
– Fachärztliche diabetologische Mitbehandlung (besonders bei längerfristiger hyperglykämischer Stoffwechselentgleisung (HbA1c >8,5 %), ausgeprägten Problemen der selbständigen Therapiedurchführung, gravierenden krankheitsspezifischen Belastungen) |
Die empfohlenen Therapiemaßnahmen bestehen aus Maßnahmen der psychosomatischen Grundversorgung, Psychotherapie und medikamentösen Therapie.
Im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung von Diabetespatienten, die mäßig depressiv und nicht akut suizidal gefährdet sind, kann der betreuende Arzt eine Basisbehandlung zur Symptomreduktion selbst durchführen. Diese besteht zunächst
- im Aufbau einer vertrauensvollen, verlässlichen und konstanten Beziehung zum Patienten,
- der Vermi ttlung von Hoffnung und Ermutigung sowie
- der Entlastung von Vorwürfen, Schuldgefühlen und Versagensängsten.
Nach Möglichkeit sollten positive Gedanken verstärkt werden und mit dem Patienten Strategien zur Vermeidung von sozialem Rückzug und einem Aktivitätsaufbau erarbeitet werden. Ein wichtiger Bestandteil der Gespräche sollte auch die Information und Aufklärung über die Erkrankung und über mögliche Wechselwirkungen mit dem Diabetes (Psychoedukation) darstellen (Tab. 3).
Tab. 3 Empfehlungen für das Vorgehen bei einer psychosomatischen Basisversorgung [21, 22, 23]
– Aufbau einer vertrauensvollen, verlässlichen und konstanten Beziehung zum Patienten |
– Aktives, flexibles und stützendes Vorgehen |
– Intensive Information und Aufklärung über die Depression, Entwicklung eines gemeinsamen Krankheitskonzeptes |
– Vermittlung von Hoffnung und Ermutigung; Entlastung von Vorwürfen, Schuldgefühlen und Versagensgefühlen |
– Akzeptanz des Verhaltens (auch der Klagen) des Patienten |
– Positive Verstärkung nichtdepressiver Kognitionen |
– Erhöhte Verletzbarkeit des Patienten antizipieren; unangemessene Kritik oder überzogene Therapieerwartungen (z. B. bei Übergewicht) vermeiden |
– Aktivierung und Motivierung des Patienten, ohne ihn zu überfordern |
– Bei Verdacht Suizidalität aktiv ansprechen; Patienten ggf. durch gezielte Überweisung oder Unterbringung schützen |
– Erfolgt keine rasche Symptomlinderung oder liegen die Voraussetzungen für eine initiale Basisversorgung nicht vor, sollten unmittelbar eine fachspezifische Psychotherapie und/oder eine Pharmakotherapie eingeleitet werden |
Ein strukturiertes Ansprechen der depressiven Stimmung durch das Diabetesteam kann bei Diabetespatienten mit einer leichten depressiven Symptomatik bereits eine antidepressive Wirkung haben [28]. Ebenso belegen neuere Untersuchungen, dass die Verbesserung der Depressivität bei Patienten, die mit einem modernen selbstmanagementorientierten Schulungsprogramm (z. B. MEDIAS 2) geschult wurden, größer ist als bei Teilnehmern an einem eher traditionellen, primär auf Wissensvermittlung, ausgerichteten Schulungsprogramm. Eine Schulung von Diabetespatienten auf der Basis des Selbstmanagements stellt daher eine effektive Maßnahme dar, um eine depressive Stimmungslage zu verbessern und der Entwicklung von klinischen Depressionen vorzubeugen [29].
Der Vorteil einer Psychotherapie bei depressiven Patienten mit Diabetes besteht vor allem darin, dass neben der depressiven Symptomatik auch krankheitsspezifische Belastungen, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der depressiven Stimmungslage stehen, sowie mögliche Barrieren im Selbstbehandlungsverhalten aufgegriffen und im Rahmen der Psychotherapie bearbeitet werden können. Wirksamkeitsnachweise liegen sowohl für die Behandlung von Depressionen im Allgemeinen als auch im speziellen Kontext einer Diabetesbehandlung vor [21, 22, 23]. Empfehlenswert ist, dass ein Arzt mit Zusatztitel Psychotherapie, ein Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder ein ärztlicher/psychologischer Psychotherapeut eine spezielle Expertise in der Behandlung von Diabetes aufweist. Eine entsprechende Liste von psychologischen Therapeuten befindet sich auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft „Psychologie und Verhaltensmedizin der DDG" (http://www.diabetes-psychologie.de).
Die Wirksamkeit einer medikamentösen Depressionsbehandlung mit Antidepressiva, welche vor allem bei mittelgradigen und schweren Depressionen angezeigt ist, ist auch für die Behandlung von Diabetespatienten in mehreren Studien nachgewiesen worden [21, 22, 23]. Bei der medikamentösen Behandlung sollte jedoch neben der gewünschten Wirkung auf die klinische Symptomatik auch das Nebenwirkungsprofil Beachtung finden. Hier ist besonders das Risiko
- einer Gewichtszunahme,
- einer auch von der Gewichtszunahme unabhängigen negativen Wirkung auf den Glukosestoffwechsel und
- eine mögliche unerwünschte Interaktion mit anderen Medikamenten zu erwähnen.
Von besonderer klinischer Relevanz ist eine unerwünschte medikamenteninduzierte Gewichtszunahme, die einen wichtigen Grund für das Absetzen des Präparates durch den Patienten darstellt [30]. Bei den Antidepressiva ist bekannt, dass vor allem trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin, Doxepin und Trimipramin zu einer Gewichtszunahme führen. Unter den neueren Antidepressiva hat Mirtazapin die höchste Wahrscheinlichkeit für eine Gewichtszunahme des Patienten. Auch die Phasenprophylaktika Lithium, Valproat und Carbamazepin können das Körpergewicht erhöhen ([31]; Tab. 4).
Tab. 4 Wahrscheinlichkeit einer klinisch bedeutsamen Gewichtszunahme innerhalb der ersten 3 Monate einer psychopharmakologischen Behandlung [31]
|
Hoch |
Mäßig |
Gering |
Antidepressiva |
Amitriptylin
Doxepin
Maprotilin
Mirtazapin
Trimipramin |
Clomipramin
Imipramin
Nortriptylin |
Citalopram
Fluoxetin
Fluvoxamin
Moclobemid
Sertralin
Tranylcypromin |
Phasenprophylaktika |
Lithium
Valproat |
Carbamazepin |
Gabapentin
Lamotrigin
Topiramat |
Antipsychotika |
Clozapin
Olanzapin |
Zuclopenthixol
Quetiapin
Risperidon |
Amisulprid
Arpiprazol
Haloperidol
Ziprasidon |
Bei den Antidepressiva ist daher bei Diabetespatienten den selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI) vor den trizyklischen Antidepressiva der Vorzug zu geben, da die Einnahme von trizyklischen Antidepressiva mit Gewichtszunahme und Hyperglykämien einhergehen kann und somit das Risiko einer Verschlechterung der diabetischen Stoffwechseleinstellung besteht [23, 22, 21].
Angesichts der hohen Prävalenz von depressiven Patienten mit Diabetes, die zu einem großen Teil nicht oder zu spät diagnostiziert und nur in selten Fällen therapeutisch optimal behandelt werden, sind dringend neue Versorgungsformen (z. B. integrierte Versorgungsmodelle, spezielle Berücksichtigung in den DMP’s, „case-management“) für diese Patientengruppe zu etablieren. Der Ansatz einer amerikanischen Arbeitsgruppe [32], die den Effekt einer strukturierten, optimierten individualisierten antidepressiven Behandlung im primärärztlichen Bereich bei Menschen mit Typ-2-Diabetes mit „major depression“ und/oder „Dysthymie“ untersuchten, kann hier beispielhaft sein. Die Patienten in der Behandlungsbedingung erhielten eine Unterstützung für eine leitliniengerechte antidepressive psychopharmakologische Behandlung und ein Problemlösetraining sowie eine telefonische Betreuung. Im Vergleich zu der nichtoptimierten primärärztlichen Behandlungsgruppe kam es zu einer signifikanten Abnahme der depressiven Symptomatik (61 depressionsfreie Tage/pro Jahr mehr als die Teilnehmer der Kontrollgruppe). Trotz höherer Kosten für das Depressions-Screening und die Depressionsbehandlung konnten aufgrund diese Intervention in 2 Jahren pro Patient zusätzlich 314 US$ an Therapiekosten eingespart werden.
In der PROSPECT-Studie [33] konnte gezeigt werden, dass durch den Einsatz eines „depression care managers“ die Sterblichkeit älterer, depressiver Diabetespatienten im Fünfjahreszeitraum signifikant reduziert werden konnte.
Depression ist ein Risikofaktor für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes. Daher sollten Menschen mit erhöhter Depressivität auf ein gestörte Glukosetoleranz bzw. einen unentdeckten Diabetes Typ 2 untersucht werden. Bei Menschen mit Diabetes kommen depressive Stimmungen und behandlungsbedürftige depressive Störungen etwa doppelt so häufig vor wie bei Nicht-Diabetes-Patienten. So leidet etwa jeder 8. Diabetespatient an einer behandlungsbedürftigen klinischen Störung. Diabetespatienten mit Depression haben eine niedrigere Lebensqualität, mehr funktionelle Defizite, eine schlechtere Blutzuckereinstellung, mehr Folgekomplikationen und ein erhöhtes Mortalitätsrisiko. Bei mehr als der Hälfte der Diabetespatienten bleibt eine bestehende Depression unentdeckt. Aus diesem Grund sollte gezielt nach einer Depression gesucht werden. Zur Behandlung stehen einerseits Antidepressiva zur Verfügung. Hier sollten allerdings unerwünschte Nebenwirkungen, wie das Risiko einer Gewichtszunahme sowie eines negativen Einflusses auf den Glukosestoffwechsel beachtet werden. Nach Möglichkeit sollte der Einsatz von Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern erfolgen. Ebenfalls wirksam und empfehlenswert ist eine Psychotherapie mit dem Ziel der Reduktion der depressiven Symptomatik und der Stärkung der Ressourcen des Patienten. Eine Schulung von Diabetespatienten auf der Basis des Selbstmanagementansatzes stellt ebenfalls eine effektive Maßnahme dar, um eine depressive Stimmungslage zu verbessern und der Entwicklung von klinischen Depressionen vorzubeugen. Neue Versorgungsformen z. B. in Form von integrierten Versorgungsmodellen, sollten für Diabetespatienten mit Depressionen dringend entwickelt werden.
Autor: Dr. phil. Dipl. Psych. B. Kulzer Forschungsinstitut Diabetes Akademie Mergentheim (FIDAM) Theodor-Klotzbücher-Straße 12, 97980 Bad Mergentheim kulzer@diabetes-zentrum.de
Quelle: Der Diabetologe 2, 2008: 4, 129-142
Literatur
1. Knol MJ, Twisk JW, Beekman AT et al. (2006) Depression as a risk factor for the onset of type 2 diabetes mellitus. A meta-analysis. Diabetologia 49: 837–845 2. Rubin RR, Ma Y, Marrero DG et al. For The Diabetes Prevention Program Research Group (2007) Elevated depression symptoms, antidepressant medicine use and risk of developing diabetes during the diabetes prevention program. Diabetes Care Publish Ahead of Print, published online on December 10, 2007as dc07–1827 3. Jacobi F, Wittchen HU, Hölting C et al. (2004) Prevalence, co-morbidity and correlates of mental disorders in the general population: results from the German Health Interview and Examination Survey (GHS). Psychol Med 34: 597–611 4. Anderson RJ, Freedland KF, Clouse RE, Lustman PJ (2001) The prevalence of comorbid depression in adults with diabetes. Diabetes Care 24: 1069–1078 5. Kruse J, Schmitz N, Thefeld W (2003) On the association between diabetes and mental disorders in a community sample. Diabetes Care 26: 1841–1846 6. Hermanns N, Kulzer B, Krichbaum M et al. (2005) Affective and anxiety disorders in a German sample of diabetic patients: prevalence, comorbidity and risk factors. Diabet.Med 22: 293–300 7. Goldney RD, Phillips PJ, Fisher LJ, Wilson DH (2004) Diabetes, depression, and quality of life: a population study. Diabetes Care 27: 1066–1070 8. Egede LE (2004) Diabetes, major depression and functional disabilities among US adults. Diabetes Care 27: 421–428 9. Kruse J, Petrak F, Herpertz S et al. (2006) Diabetes mellitus und Depression – eine lebensbedrohliche Interaktion. Z Psychosom Med Psychother 52: 289–309 10. Hermanns N, Kulzer B, Krichbaum M et al. (2006) How to screen for depression and emotional problems in patients with diabetes: comparison of screening characteristics of depression questionnaires, measurement of diabetes-specific emotional problems and standard clinical assessment. Diabetologia 49: 469–477 11. Lustman PJ, Groot M de, Anderson RJ et al. (2000) Depression and poor glycemic control. Diabetes Care 23: 934–942 12. Groot M de, Anderson RJ, Freedland KE et al. (2001) Association of depression and diabetes complications: a meta-analysis. Psychosom Med 63: 619–630 13. Black SA, Markides KS, Ray LA (2003) Depression predicts increased incidence of adverse health outcomes in older Mexican Americans with type 2 diabetes. Diabetes Care 26: 2822–2828 14. Katon WJ, Rutter C, Simon G et al. (2005) The association of comorbid depression with mortality in patients with type 2 diabetes. Diabetes Care 28: 2668–2672 15. Zhang X, Norris SL, Gregg EW et al. (2005) Depressive symptoms and mortality among persons with and without diabetes. Am J Epidemiol 161: 652–660 16. Egede LE, Zheng D, Simpson K (2002) Comorbid depression is associated with increased health care use and expenditures in individuals with diabetes. Diabetes Care 25: 464–470 17. Ciechanowski PS, Wayne MPH, Katon J, Russo JE (2000) Depression and diabetes. Impact of depressive symptoms on adherence, function and costs. Arch Int Med 160: 3278–3285 18. Pickup JC (2004) Inflammation and activated innate immunity in the pathogenesis of type 2 diabetes. Diabetes Care 27: 813–823 19. Rubin RR, Ciechanowski P, Egede LE et al. (2004) Recognizing and treating depression in patients with diabetes. Curr Diab Rep 4: 119–125 20. IDF Clinical Guidelines Task Force (2005) Global guidelines for type 2 diabetes. International Diabetes Federation, Brussels 21. Herpertz S, Petrak F, Albus C et al. (2003) Evidenzbasierte Diabetes-Leitlinie DDG. Psychosoziales und Diabetes mellitus. Diabetes und Stoffwechsel 12: 35–58 22. Petrak F, Herpertz S, Albus C et al. (2005) Psychosocial factors and diabetes mellitus. Evidence-based treatment guidelines. Curr Diabetes Rev 1: 255–270 23. Kulzer B, Albus C, Herpertz S et al. (2007) Psychosoziales und Diabetes mellitus. Diabetologie und Stoffwechsel (Suppl 2) 2: 184–190 24. Kulzer B (2005) Je trauriger der Patient, desto schlechter die Blutzuckereinstellung. MMW Fortschr Med 147: 37–40 25. Kulzer B, Herpertz S, Petrak F et al. (2004) Psychosoziales und Diabetes. Patientenleitlinie. Diabetes Journal 53: 34–39 26. Hautzinger M, Bailer M, Worolla R, Keller F (1995) Beck-Depressons-Inventar (BDI). Hogrefe, Göttingen Bern 27. Hautzinger M, Bailer M (1993) Allgemeine Depressionsskala (ADS). Hogrefe, Göttingen Bern 28. Pouwer F, Snoek FJ, Van Der Ploeg HM et al. (2001) Monitoring of psychological well-being in outpatients with diabetes: effects on mood, HbA(1c), and the patient’s evaluation of the quality of diabetes care: a randomized controlled trial. Diabetes Care 24: 1929–1935 29. Peyrot M, Rubin RR (1999) Persistence of depressive symptoms in diabetic adults. Diabetes Care 22: 448–452 30. Regen F, Anghelescu I (2005). Pharmakotherapie affektiver Störungen bei Patienten mit Diabetes mellitus. Med Welt 56: 184–188 31. Himmerich H, Pollmächer T, Schaaf L (2006) Affektive Störungen bei Diabetes: Bessern Antidepressiva die Blutzuckereinstellung? MMW-Fortschr Med 29: 37–40 32. Katon WJ, Von Korff M, Lin EH et al. (2004) The Pathways Study: a randomized trial of collaborative care in patients with diabetes and depression. Arch Gen Psychiatry 61: 1042–1049 33. Bogner HR, Morales KH, Post EP et al. (2007) Diabetes, depression and death. A randomized controlled trial of depression treatment program for adults based in primary care (PROSPECT). Diabetes
Stand: April 2008 |