Retinopathie auch bei niedrigeren Blutzuckerspiegeln möglich
(15.09.2008) Wissenschaftler aus Australien sind der Frage nachgegangen, ob das Vorliegen einer Retinopathie mit einem erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko einhergeht. Nach der Analyse von Daten aus der bekannten Blue Mountains Eye Studie bestätigte sich diese Vermutung – und zwar nicht nur für Diabetiker, sondern auch für Erwachsene ohne bekannte Diabeteserkrankung.
Bei der Retinopathie sind die kleinen Gefäße der Netzhaut verändert
Die Retinopathie ist eine typische – und gefürchtete – Langzeitfolge des Diabetes mellitus. Betroffen ist die Netzhaut der Augen, in der kleine Gefäße krankhaft verändert sind. Die fortschreitende Schädigung der Blutgefäße mit Blutungen, Aussackungen der Gefäßwände, Gefäßverschlüssen und Gefäßwucherungen beeinträchtigt zunehmend das Sehen. Nicht selten führt dieser Prozess zur Erblindung des Betroffenen: Die diabetische Retinopathie ist der häufigste Grund für Blindheit in Mitteleuropa. Bereits im März hatten wir von einer Auswertung mehrerer Studien berichtet, die zeigen konnte, dass allerdings nicht alle Retinopathie-Patienten überhöhte Blutzuckerspiegel aufweisen: Bei vielen Betroffenen liegt der Nüchtern-Plasmaglukosespiegel unterhalb von 126 mg/dl (7,0 mmol/l) – das heißt im nicht-diabetischen Bereich (wir berichteten).
Heutzutage geht man davon aus, dass die Retinopathie nicht nur ein Gefäßproblem in der Netzhaut anzeigt, sondern die Situation der kleinen Gefäße im gesamten Körper widerspiegelt. Wissenschaftler um Jie Jin Wang von der Universität Sydney haben überprüft, inwieweit die Retinopathie mit einem erhöhten Risiko für einen späteren Herzkreislauftod einhergeht, und ob ein solcher Zusammenhang auch für Nicht-Diabetiker gilt. Hierfür analysierten Wang und Kollegen die Daten von Teilnehmern der australischen Blue Mountains Eye Study – einer Beobachtungsstudie aus den 90er Jahren mit mehreren tausend Erwachsenen, in der Risikofaktoren für Augenerkrankungen untersucht wurden.
In ihre Auswertungen schlossen die Wissenschaftler 2.768 Personen ohne Diabetes und 199 Diabetespatienten ein. Zu Beginn der Studie hatte man das Vorliegen und die Schwere einer Retinopathie anhand von Netzhautphotographien bestimmt: Insgesamt bei 9,7 Prozent der Nicht-Diabetiker und bei 28,6 Prozent der Diabetiker lag eine Retinopathie vor. In den folgenden 12 Beobachtungsjahren starben 353 Teilnehmer (11,9 %) aufgrund einer Herzkreislauferkrankung. Nach dem Herausrechnen anderer Risikofaktoren bestätigte sich, dass die Netzhauterkrankung ein unabhängiger Vorhersageparameter war: Lag eine Retinopathie vor, erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit für einen Herz-Kreislauf-Tod in den Folgejahren um 121 Prozent in der Gruppe der Diabetiker und um 33 Prozent in der Gruppe der Nicht-Diabetiker.
Das Fazit der Wissenschaftler: Die Retinopathie sollte auch als Hinweis auf eine mögliche Herz-Kreislauf-Gefährdung ernst genommen werden. Dies gilt sowohl für Diabetiker als auch für Nicht-Diabetiker. Damit könnte der Untersuchung des Augenhintergrunds in der Zukunft eine noch größere Bedeutung zukommen.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin von Diabetes-Deutschland.de, Deutsches Diabetes-Zentrum an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung
Quelle: Liew G, Wong T, Mitchell P et al. Retinopathy Predicts Coronary Heart Disease Mortality. Heart 2008;DOI: 10.1136/hrt.2008.146670 |