Hilft die Genetik bei der Vorhersage des Typ 2 Diabetes?
(11.12.2008) Das Team um Leif Groop von der Universität Malmö untersuchte die archivierten Blutproben von Studienteilnehmern des Malmö Präventions-Projekts und der finnischen Botnia-Studie, zwei große Langzeitbevölkerungsstudien mit 16.061 bzw. 2.770 Teilnehmern. Die Wissenschaftler konzentrierten sich bei ihrer genetischen Analyse auf bekannte Erbgutveränderungen, die man in der Vergangenheit mit der Entstehung des Typ 2 Diabetes in Verbindung gebracht hatte. Insgesamt wurde die Analyse von 16 so genannten Single Nucleotid Polymorphismen (SNPs) – dies sind einzelne, veränderte DNA-Bausteine – in die Genotypisierung eingeschlossen.
Einzelne, veränderte DNA-Bausteine werden SNPs genannt.
Nach Abgabe der Blutproben waren die Studienteilnehmer durchschnittlich 23,5 Jahre lang beobachtet worden. Während dieser Zeit hatten 11,7 % (2201 Personen) einen Typ 2 Diabetesentwickelt. Folgende klinische Faktoren stellten sich als besonders aussagekräftig für die Vorhersage des Diabetesrisikos heraus: Diabetes in der Familie, Rauchen, Übergewicht mit einem erhöhten Body Mass Index (BMI), erhöhte Leberenzymwerte, Bluthochdruck, erhöhte Triglyzeridwerte und Messparameter, die auf eine verminderte Insulinsekretion aus der Bauchspeicheldrüse und auf eine herabgesetzte Insulinwirksamkeit (= Insulinresistenz) hinweisen.
Darüber hinaus konnten die Wissenschaftler anhand der nachträglichen genetischen Analyse der Blutproben bestätigen, dass 11 der 16 untersuchten Genveränderungen (SNPs) statistisch signifikant mit einem erhöhten Typ 2 Diabetesrisiko verknüpft waren, und zwar unabhängig vom Vorhandensein der traditionellen klinischen Risikofaktoren. Zu diesen Genveränderungen gehörten TCF7L2 (OR 1,3), PPARG (OR 1,2), FTO (OR 1,14), KCNJ11 (OR 1,13), NOTCH2 (OR 1,13), WFS1 (OR 1,12), CDKAL1 (OR 1,11), IGF2BP2 (OR 1,10), SLC30A8 (OR 1,10), JAZF1 (OR 1,08) und HHEX (OR 1,07). Für acht dieser Genveränderungen konnte ein Zusammenhang zur Betazellfunktionsstörung gezeigt werden – ein Hinweis darauf, dass vererbte Defekte der Betazellfunktion eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Typ 2 Diabetes spielen.
In einem nächsten Schritt untersuchten Lyssenko und ihre Kollegen, ob sich das Diabetesrisiko mit Hilfe der zusätzlichen genetischen Information besser voraussagen lässt als „nur“ anhand der traditionellen klinischen Risikofaktoren (BMI, Diabetes in der Familie, Parameter der Insulinsekretion und Insulinresistenz etc.). Das Resultat: Der Vorhersagewert allein anhand klinischer Angaben konnte von 0,74 auf 0,75 (Area Under Receiveroperating-Characteristic Curve) verbessert werden, wenn zusätzlich die Ergebnisse der Gentests mit Analyse der 11 genannten SNPs berücksichtigt wurden. Dieser Unterschied erreichte zwar statistische Signifikanz, ist aber aus klinisch-praktischer Sicht unwesentlich.
Das FAZIT der Studienautoren: Die Hinzunahme der genetischen Diagnostik zu den traditionellen Diabetesrisikofaktoren erhöht die Vorhersagegenauigkeit für einen zukünftigen Typ 2 Diabetes nur minimal. Diese Methode erscheint daher zur Bestimmung des Typ 2 Diabetesrisikos wenig praxistauglich. Lyssenko und ihre Kollegen sehen hierin aber eine sinnvolle Möglichkeit, um in zukünftigen Studien zum Thema Diabetesprävention geeignete Patienten anhand genetischer Analysen zielgerichteter auszuwählen. Außerdem zeigen die Untersuchungsergebnisse, dass die genetischen Risikofaktoren an Bedeutung zunehmen, je länger die Beobachtungsdauer ist. Dies bedeutet, dass eine genetische Analyse insbesondere in jüngeren Lebensjahren zusätzliche Hinweise für das spätere Diabetesrisiko liefern kann.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin von Diabetes-Deutschland.de, Deutsches Diabetes-Zentrum an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung
Quelle: Lyssenko V, Jonsson A, Almgren P et al. Clinical risk factors, DNA variants, and the development of type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 359: 2220-32
Expertenkommentar von Prof. Dr. med. W. A. Scherbaum Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Moorenstrasse 5, 40225 Düsseldorf, scherbaum@uni-duesseldorf.de
Der Fokus dieser Publikation wird auf die Voraussagekraft kinetischer Analysen für die Entwicklung eines Typ 2 Diabetes gelegt. Die Ergebnisse sind enttäuschend, zumal herauskam, dass bei der polygenetischen Erkrankung Typ 2 Diabetes die Analyse von Genpolymorphismen auch in genomweiten Assoziationsstudien den bisher bekannten und klinisch leicht messbaren Risikofaktoren nicht wirklich überlegen ist. Für die Erkennung des Risikos für Typ 2 Diabetes macht es aus klinischer Sicht keinen guten Sinn, Genanalysen unbedingt mit einzubeziehen oder gar den bisher bekannten Untersuchungen zur Risikoerkennung vorzuschalten. Was aber bei diesen Untersuchungen sehr klar herauskam ist die Gewichtung der Risikofaktoren und zwar (wie bekannt) als Nr. 1 das erhöhte Körpergewicht, dann ein leicht erhöhter Nüchternglukosewert, erhöhte Transaminasen und ein Raucherstatus.
Die Genpolymorphismen, die mit der späteren Entwicklung eines Typ 2 Diabetes korrelierten, betreffen überwiegend Gene die für die Regulation der Insulinsekretion verantwortlich sind. Entgegen früheren Ansichten ist also die Insulinsekretion auch beim Typ 2 Diabetes gegenüber der Insulinresistenz ein dominierender Faktor. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die gestörte Glukosetoleranz im oralen Glukosetoleranztest den stärksten Risikofaktor für die spätere Entwicklung eines Typ 1 Diabetes darstellt. Daher meine ich, dass beim Vorliegen der oben genannten Risikofaktoren für einen Typ 2 Diabetes auch gleich die Bestimmung der Nüchternglukose und des 2-Stundenwertes im oralen Glukosetoleranztest durchgeführt werden sollte, um die Risikolage optimal abschätzen und einen eventuell schon aufgetretenen Diabetes erkennen zu können. |