Prävention bei Typ 2 Diabetes mellitus
Unter Prävention kann man bekanntlich Verschiedenes verstehen. Hier soll die Bedeutung des Wortes gemeint sein, wie sie in Abbildung 1 erläutert wird. Danach kann man sowohl die Manifestation des Diabetes durch Primärprävention verhindern als auch die Entstehung der Folgeschäden durch die Primärprävention dieser Komplikationen. Das Fortschreiten der Folgeschäden wird durch eine Sekundärprävention und die Behandlung ausgeprägter Komplikationen schließlich durch eine Tertiärprävention erreicht.
Abb.1
Prävention bei Diabetes mellitus |
Manifestation des Diabetes |
verhindert durch |
Primärprävention des Diabetes |
Entstehung der Folgeschäden |
verhindert durch |
Primärprävention des Folgeschäden |
Komplikationen der Folgeschäden |
verhindert durch |
Sekunderprävention der Folgeschäden |
Behandlung von Komplikationen |
erreicht durch |
Tertiärprävention der Folgeschäden |
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert
Primärprävention der diabetischen Stoffwechselstörung
Typ 2 Diabetes im Kindesalter
Bedeutung der frühzeitigen Therapie
Schädigungen der großen und kleinsten Gefäße und der Nerven (Mikro-, Makroangiopathie sowie Neuropathie): Präventionsmaßnahmen
Ausblick und Folgerungen
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Der überwiegende Teil dieses Artikels soll der Primärprävention der diabetischen Stoffwechselstörung gewidmet sein.
Abb. 2
Diabetes mellitus: Primärprävention der diabetischen Stoffwechselstörung |
Eugenische Maßnamen (?) Gentherapie (?) |
Typ 1: |
Immunsuppression in der prädiabetischen Phase* |
Typ 2: |
Normalisierung des Körpergewichts in der prädiabetischen Phase*, körperliche Tätigkeit |
* Prädiabetische Phase ist die Phase vor dem Beginn des Diabetes mellitus |
Die Bedeutung dieser Art Prävention erhellt aus der Tatsache, dass die Verhinderung der Manifestation der Zuckerkrankheit viel Leid und enorm viel Kosten sparen würde. Natürlich kann man bei der Erbkrankheit Diabetes mellitus durch entsprechende eugenische Beratung vorbeugend wirken. Dies kommt aber schon deswegen nicht oft in Frage, weil die erbliche Durchschlagskraft des Typ 2 und vor allem des Typ 1 Diabetes relativ gering ist. Deswegen verbieten sich in der Regel spezielle eugenische Maßnahmen. Die Gentherapie wiederum steht noch in den Sternen und wird auch deswegen problematisch bleiben, weil es sich bei dem Typ 2 Diabetes (95% aller Diabetiker) um ein durch mehrere Ursachen hervorgerufenes Geschehen handelt und damit die Beeinflussung einzelner Gene unbefriedigend bleiben würde.
Beim Typ 1 Diabetes hat man in der prädiabetischen Phase (Phase vor Beginn des Diabetes, also wenn die HLA-Antigene und/oder die Immunmarker vom Typ der Autoinsulin-Antikörper, der Inselzellantikörper oder der GAD-Antikörper ein positives Resultat ergaben) und damit auf eine Vorstufe des Typ 1 Diabetes (Prä-Typ 1 Diabetes) hinwiesen, durch das Immunsystem unterdrückende Substanzen und andere Medikamente versucht, die Manifestation des Typ 1 Diabetes zu beeinflussen. Letztlich sind alle diese Experimente unbefriedigend, ja erfolglos geblieben.
Wichtiger ist die Primärprävention des Typ 2 Diabetes. Hier war schon seit langem bekannt, dass durch eine Normalisierung des Körpergewichts in der prädiabetischen Phase und durch körperliche Tätigkeit möglicherweise eine Besserung der Stoffwechselsituation und eine Verhinderung oder Verzögerung der Manifestation erreicht werden kann. Auf neue Untersuchungen dieser Art soll im Folgenden ausführlich eingegangen werden.
Eine Stellungnahme der Amerikanischen Diabetes-Gesellschaft unterscheidet zu recht zwischen der Prävention und der verzögerten Manifestation des Typ 2 Diabetes bei den entsprechenden Studien. Muss man doch kritisch hinterfragen, ob die in solchen Studien vielfach gezeigte verhinderte Manifestation des Diabetes für einen bestimmten Zeitraum nur einer Verzögerung der Manifestation oder aber wirklich einer echten Prävention entspricht. Eine Wertminderung der Studien bedeutet dies nicht, da auch eine Verzögerung der Manifestation des Typ 2 Diabetes einen deutlichen Gewinn im Hinblick auf Lebenserwartung, Lebensqualität und Kostensenkung bedeutet (1).
Toumilehto und Mitarbeiter (2) führten eine Studie bei 522 übergewichtigen Patienten mit gestörter Glukosetoleranz durch, wobei entweder die "üblichen" Lebensstiländerungen (Ernährungstherapie und Muskelarbeit) oder aber eine besonders intensive Beratung mit Gewichtsabnahme und starker körperlicher Aktivität durchgeführt wurden. Die Untersuchungsdauer belief sich auf mehr als drei Jahre. Dabei ergab sich eine 58%ige relative Reduzierung im Auftreten eines Diabetes in der Interventionsgruppe, wenn man diese mit der weniger intensiv behandelten Kontrollgruppe verglich. Besonders überzeugende Ergebnisse wurden erzielt durch eine 5%ige Gewichtsabnahme, durch eine Reduzierung der Aufnahme von Fett in der Nahrung, durch die Reduzierung der Aufnahme gesättigter Fette, durch die Zufuhr von faserhaltigen Lebensmitteln und vor allem auch durch die erwähnte gezielte körperliche Tätigkeit. Diese Studie (DPS) hat weltweit große Anerkennung gefunden.
Nur wenig später erfolgte die Veröffentlichung des Diabetespräventionprogramm (DPP), einer amerikanischen Studie, in die mehr als 3000 Probanden einbezogen wurden (3, 4, 5). Auch hier waren es Patienten mit gestörter Glukosetoleranz, die auf drei Interventionsgruppen verteilt wurden. Wie in der finnischen Studie wurde neben der Placebogruppe eine Gruppe mit intensiver Ernährungs- und Bewegungstherapie gebildet, während eine dritte Gruppe Metformin erhielt. Nach knapp drei Jahren ergab sich - bezeichnenderweise genau wie in der finnischen Studie - eine 58%ige relative Reduzierung im Fortschreiten des Diabetes in jener Gruppe, bei der der Lebensstil entscheidend verändert wurde. Wenn man diese Änderung auf die sogenannte absolute Inzidenz (Neuauftreten), also auf die Manifestation des Diabetes schlechthin bezog, betrug der Wert knapp 5%. Immerhin 31% Verringerung bei der relativen Reduzierung des Fortschreitens des Typ 2 Diabetes wurde in der Metformingruppe beobachtet; das absolute Neuauftreten betrug dabei bereits 7,8%, während sie in der Kontrollgruppe sogar 11% ausmachte.
Erwähnenswert ist auch die sog. TRIPOD-Studie, in die Frauen mit vorangegangenem Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes) - ebenfalls klassische Prädiabetikerinnen - einbezogen wurden und die entweder Placebo oder das Glitazonpräparat Troglitazon erhielten (6). Letztere Subtanz ist inzwischen aus dem Handel genommen worden. Trotzdem ergab sich, dass unter dieser Therapie 56% der Probanden eine relative Minderung im Fortschreiten des Diabetes aufwiesen und erstaunlicherweise diesen präventiven Effekt auch nach einer Troglitazon-freien Periode von mehr als acht Monaten beibehielten.
Besonders interessant sind die Ergebnisse der sog. STOP-NIDDM-Studie, in der vor allem der Einfluss von Acarbose auf die Diabetesmanifestation, aber auch im Hinblick auf mögliche Herz-Kreislauf-Ereignisse geprüft wurde (7). Acarbose vermindert bekanntlich in erster Linie die nach Nahrungsaufnahme erhöhten Glucosespiegel (postprandial) und vermittelt damit auch eine effektivere Wirkung des Insulins durch Wegfall oder Verminderung der sog. Glukosetoxizität für die Betazelle. Aus diesen Gründen wurde in der Studie versucht, Probanden mit gestörter Glukosetoleranz (Vorstufe des Diabetes) zu behandeln und den Einfluss auf die Manifestation des Diabetes zu untersuchen.
Fast 1500 Patienten mit gestörter Glukosetoleranz beteiligten sich über einen Abschnitt von mehr als drei Jahren an der Studie und erhielten entweder drei mal 100 mg Acarbose oder Placebo. Die Patienten waren im wesentlichen übergewichtig und wiesen häufig einen Bluthochdruck bzw. eine Störung der Blutfette auf. Damit war eine Gruppe von Probanden gegeben, die alle Charakteristika des metabolischen Syndroms, verbunden mit einem hohen Risiko zur Entwicklung eines Typ 2 Diabetes, sowie ein hohes Herz-Kreislauf-Risiko aufwies.
Das Resultat zeigte, dass mit der medikamentösen Intervention mit Acarbose dem Typ 2 Diabetes vorgebeugt werden kann, indem es zu einer relativen Reduzierung der Rate an Neuerkrankungen um bis zu 36% durch den Einsatz von Acarbose kam. Acarbose reduzierte überdies nicht allein das Diabetesrisiko, sondern führte bei einer Reihe von Personen zu einer Normalisierung der Störung der Glukosetoleranz: Diese Rate lag um 30% signifikant höher als unter Placebo.
Eine zusätzliche Auswertung dieser Studie (8) ergab weitere besonders aktuelle Ergebnisse: Unter Acarbose traten 91% weniger Herzinfarkte und insgesamt 49% weniger Herz-Kreislauf-Ereignisse auf als unter Placebo. Ein deutlicher Trend zeigte sich auch im Hinblick auf die Häufigkeit von erneuten Anfällen von Angina pectoris und von Eingriffen am Herz-Kreislauf-System, die unter Acarbose um 55% bzw. 39% niedriger waren als in der Placebogruppe. Zu recht haben die Autoren darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine erste Interventionsstudie handelt, die eine Beziehung zwischen einer Blutzuckererhöhung nach Nahrungsaufnahme (postprandiale Hyperglykämie) und der Entwicklung von Typ 2 Diabetes sowie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufzeigt. Auch die Bluthochdruckrate lag unter Acarbose erstaunlicherweise um 34% niedriger als in der Kontrollgruppe.
Eine chinesische Arbeitsgruppe (9) hatte sich ebenfalls mit der Einwirkung von Acarbose und Metformin auf den präventiven Effekt dieser Substanzen und das Fortschreiten des Diabetes beschäftigt. Bei Probanden mit gestörter Glukosetoleranz, die drei Jahre prospektiv (vorausschauend) überprüft wurden, stellten die Autoren fest, dass der Diabetes primär en Neuauftreten von 11,6% aufwies und dass in einer mit konventioneller Diät und Muskelarbeit behandelten Gruppe diese Rate dann nur noch 8,2% ausmachte. Das Eingreifen mit Acarbose bewirkte jedoch einen noch deutlicheren Abfall dieses jährlichen Neuauftretens des Diabetes auf 2% und mit Metformin auf 4,1%. Es ist allerdings zu bedenken, dass in der chinesischen Studie keine besonderen zusätzlichen Maßnahmen erfolgten, die zu einer Intensivierung dieser Lebensstiländerung geführt hatten wie etwa in der erwähnten finnischen Studie.
Nicht unerwähnt bleiben soll hier auch die HOPE-Studie (10), in der der Einfluss des ACE-Hemmers Ramipril auf Herz-Kreislauf-Ereignisse, aber eben auch auf die Manifestation eines Typ 2 Diabetes untersucht wurde. Gleichsam als Nebeneffekt zeigte sich, dass unter Ramipril nur 102 neue Diabetesfälle (3,6%) bei fast 10.000 Patienten auftraten, während dies in der Placebogruppe 155 (5,4%) Probanden waren. Der alte, auch von unserer Arbeitsgruppe erhobene Befund, dass ACE-Hemmer die Insulinresistenz günstig beeinflussen, wurde durch diese Ergebnisse erneut bestätigt.
Gleichsam als Kuriosität, aber doch als ein statistisch abgesichertes Ergebnis muss bewertet werden, dass mäßiger Konsum von Alkohol im Vergleich zu Alkoholabstinenz ein 36% niedrigeres Risiko im Hinblick auf die Manifestation des Typ 2 Diabetes mit sich bringt (11), dass reichlicher Genuss von Kaffee ebenso dieses Risiko reduziert (12) und dass der im Darmbereich wirkende Fettblocker Orlistat durch die damit erzielte fett- und kalorienärmere Kost das Fortschreiten des Diabetes ebenfalls vermindert (13).
Andere Studien, die z.B. den Einfluss von Gliniden, Sartanen und Glitazonen prüfen, sind in Vorbereitung oder bereits eingeleitet.
All diesen geschilderten Studien ist gemeinsam, dass Patienten mit gestörter Glukosetoleranz einbezogen und dass unter dem Einfluss verschiedener Therapieregime Herabsetzungen des Risikos im Vergleich zu den jeweiligen Kontrollgruppen beobachtet wurden. Sicher am bemerkenswertesten ist der Befund, dass die Änderung des Lebensstils in zwei verschiedenen Studien mit jeweils 58 %relativer Risikoreduzierung die besten Ergebnisse mit sich brachte. Acarbose, Metformin und Ramipril führten zu einer Reduktion des Fortschreitens des Diabetes um etwa 25 bis 35%. Besonders aufregend sind die zusätzlichen Ergebnisse, die sich bei der Gabe von Acarbose ergeben haben, wo es gelang, die Herz-Kreislauf-Probleme signifikant zu beeinflussen.
In jüngster Zeit wurden aus den USA und auch in Deutschland Ergebnisse vorgelegt, wonach Kinder und Jugendliche zunehmend an Fettsucht und damit auch in einem hohen Prozentsatz an Diabetes leiden, der sich von dem sofort insulinbedürftigen Typ 1 Diabetes der jungen Menschen krass unterscheidet. Dieser Typ 2 Diabetes bei Kindern und Jugendlichen ist wie bei älteren Typ 2 Diabetikern gekennzeichnet durch Übergewicht und das häufige erbliche Vorkommen dieser Diabetesform in den Familien. Außerdem wird dieser Typ 2 Diabetes im Gegensatz zum Typ 1 Diabetes zumeist erst zufällig entdeckt, da die fettsüchtigen Kinder und Jugendliche kaum klassische Diabetesbeschwerden (wie vermehrtes Wasserlassen und starken Durst) aufweisen.
Man nimmt an, dass von allen Kindern und Jugendlichen mit Diabetes 30 bis 40% diese früher angeblich nicht beobachtete Form des Diabetes, eben den Typ 2 Diabetes, aufweisen. Hier muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass wir bereits im Jahre 1968 (14) anlässlich der größten Früherfassungsaktion von Diabetikern, die jemals durchgeführt wurde, über unsere Münchener Zahlen berichteten, die u. a. auf das vermehrte Vorkommen des Typ 2 Diabetikern bei Kindern und Jugendlichen hinwiesen.
Es sei angemerkt, dass wir insgesamt 7.000 Diabetiker in München neu diagnostizierten (praktisch durchwegs Typ 2 Diabetiker). Dabei fiel erstmals auf, dass darunter ein beachtlich hohe Zahl von Kindern und Jugendlichen mit bisher unbekanntem Diabetes ermittelt werden konnte. Von allen bei der Aktion festgestellten bekannten und unbekannten Diabetikern in dieser Altersklasse machten die Kinder und Jugendlichen mit Typ 2 Diabetes immerhin 10% aus, was seinerzeit als völlig ungewöhnlicher Befund angesehen wurde. Das Phänomen des jugendlichen Diabetikers im Altersgewand existiert also nicht erst seit jüngster Zeit, sondern hat wohl schon immer - wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß - bestanden.
Natürlich bedarf es hier zur Prävention in erster Linie der Vermeidung bzw. der Therapie der Fettsucht im Kindesalter. Nur wenn es gelingt, die durch falsche Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsarmut die immer häufiger werdenden Fettsuchtfälle zurückzudrängen, wird auch das Phänomen des "Altersdiabetes im Kindesalter" mit Erfolg bekämpft werden können. Unser damaliges Resümee hat also in jüngster Zeit eine volle Bestätigung gefunden: " Es zeigt sich demnach, dass der klassische Insulinmangeldiabetes des Kindes und des Jugendlichen mit dem stürmischen Beginn ohne längeres Vorstadium in einem nicht unbeträchtlichen Prozentsatz eine Ergänzung findet, durch kindliche und jugendliche Diabetiker, die hinsichtlich Übergewicht und Diabetestyp dem Altersdiabetes ähneln, bisher aber meist der Diagnostik entgingen" (14).
Bedeutung der frühzeitigen Therapie
Etwa 6 bis 7 Millionen bekannte Typ 2 Diabetiker gibt es in Deutschland; 85% davon sind übergewichtig. Die Tatsache, dass eine Vorphase, das sogenannte metabolische Syndrom existiert, bei dem Insulinresistenz, Stammfettsucht, Störung der Blutfette, Bluthochdruck sowie Gerinnungsstörungen imponieren, verschärft die Problematik. Es ist erschreckend, dass zwischen dem Auftreten des Typ 2 Diabetes und der Diagnose in der Regel sechs bis sieben Jahre vergehen und dass damit der Typ 2 Diabetes lange Zeit unerkannt und vor allem auch unbehandelt bleibt. Dies fördert die diabetischen Folgeschäden in erschreckendem Maße.
Schon in der Phase des metabolischen Syndroms haben 50% der Patienten eine Schädigung der großen Blutgefäße (Makroangiopathie) und zum Teil eine Schädigung der kleine Blutgefäße (Mikroangiopathie) aufzuweisen. Mit der Störung der Glukosetoleranz, also bereits mit dem ersten Auftreten einer Fehlregulation des Stoffwechsels, verstärken sich diese vaskulären Schäden und womöglich machen sich erste neuropathische Prozesse bemerkbar. Letzteres ist mit Sicherheit der Fall, wenn der manifeste Diabetes entsteht und über längere Zeit unbehandelt bleibt.
Die Konsequenz kann deshalb nur sein, dass die einzelnen Facetten des metabolischen Syndroms - in erster Linie durch Ernährungstherapie und körperliche Bewegung - behandelt werden und damit eine Fortentwicklung des diabetischen Prozesses gestoppt wird. Oben wurde dargelegt, dass viele Studien durchgeführt wurden, die in diesem Sinne konzipiert worden waren und entsprechende Ergebnisse brachten. Eine Voraussetzung für die bessere Behandlung wäre die Förderung der Schulung durch niedergelassene Ärzte und die Gestaltung sinnvoller Schulungsprogramme, die den Problemen des Typ 2 Diabetes gerecht werden. Ernährungs- und Bewegungstherapie sind, wie gesagt, die wichtigsten Grundlagen der Behandlung des übergewichtigen Typ 2 Diabetikers.
Die große britische UKPDS-Studie hat gelehrt, dass Typ 2 Diabetiker, wenn sie nicht ausreichend mit diätetischen Maßnahmen behandelt werden können, zuerst mit Tabletten gegen Diabetes (orale Antidiabetika) und später erst mit Insulin behandelt werden sollen. Der Grund hierfür liegt in der Gewichtszunahme und im Auftreten von Unterzuckerungen unter der Insulintherapie, die allerdings im Laufe des Typ 2 Diabetes - wenn die körpereigene Insulinausschüttung weiter nachlässt - in späteren Jahren fast stets erforderlich ist. Hier hat sich die kombinierte Therapie im Sinne der basalunterstützten oralen Therapie (langwirkendes Insulin plus Sulfonylharnstoffe und/oder Metformin) gut bewährt.
Die unterschiedlichen Therapieformen des Typ 2 Diabetes müssen auf alle Fälle ergänzt werden durch die Therapie des Bluthochdrucks (bis zu 80% der Typ 2 Diabetiker haben zu hohe Blutdruckwerte) und der gestörten Blutfettwerte (Dyslipidämie äußert sich bei Diabetikern mit der Lipidtrias "hohe Triglyzeride, niedriges HDL-Cholesterin, erhöhte LDL-Partikel" - die klein, dicht, oxidiert, glykiert und besonders gefäßaggressiv sind).
Schädigungen der großen und kleinsten Gefäße und der Nerven (Mikro-, Makroangiopathie sowie Neuropathie): Präventionsmaßnahmen
Den Abbildungen 3 und 4, die weitgehend identisch sind, ist zu entnehmen, welche Maßnahmen veranlasst werden müssen, um bei Diabetikern Folgeschäden im Sinne der Schädigungen der großen und kleinsten Gefäße und der Nerven zu verhindern (Primärprävention) bzw. bei bereits vorhandenen Schäden durch Sekundärprävention das Fortschreiten zu vermeiden.
Abb. 3
Diabetes mellitus: Primärprävention von Mikro- und Makroangiopathie sowie Neurophatie |
Exakte Diabeteseinstellung |
Mikroangiopathie, Makroangiopathie, Neuropathie |
Normalisierung des Blutdrucks |
Mikroangiopathie, Makroangiopathie |
Normalisierung der Blutfettwerte |
Makroangiopathie |
Aufgabe des Rauchens |
Mikroangiopathie, Makroangiopathie |
Körperliche Tätigkeit |
Makroangiopathie |
Fußpflege |
Mikroangiopathie, Makroangiopathie, Neuropathie |
Abb. 4
Diabetes mellitus: Sekundärprävention von Mikro- und Makroangiopathie sowie Neurophatie |
Exakte Diabeteseinstellung |
Mikroangiopathie, Makroangiopathie, Neuropathie |
Normalisierung des Blutdrucks |
Mikroangiopathie, Makroangiopathie |
Normalisierung der Blutfettwerte |
Makroangiopathie |
Aufgabe des Rauchens |
Mikroangiopathie, Makroangiopathie |
Körperliche Tätigkeit |
Makroangiopathie |
Fußpflege |
Mikroangiopathie, Makroangiopathie, Neuropathie |
Medikamentöse Behandlung |
Mikroangiopathie, Makroangiopathie |
Dabei zeigt sich, dass die exakte Diabeteseinstellung, wie es sowohl die DCCT-Studie für den Typ 1 Diabetiker als auch die UKPDS-Studie für den Typ 2 Diabetiker gezeigt haben, am ehesten in der Lage ist, den diabetischen Folgeschäden vorzubeugen. Gleichrangig wichtig ist die Normalisierung des Blutdrucks, die der Ausprägung der Schädigungen der großen und kleinsten Gefäße entgegenwirken kann.
Bei der Schädigung der großen Gefäße (Makroangiopathie) ist die Normalisierung der Blutfettwerte sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention von Bedeutung.
- Immer wieder unterschätzt wird die Aufgabe des Rauchens, die so wichtig wäre, um allen Diabetikern diese gefäßschädigende Noxe zu nehmen. - Natürlich ist körperliche Tätigkeit nicht nur für die Stoffwechselbeeinflussung (Absenken des Blutzuckers) sondern auch für die Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen Bedeutung. - Die Fußpflege stellt ein Kapitel von überragender Bedeutung dar. Hier sind Maßnahmen zur Prävention des diabetischen Fußes der Tabelle 1 zu entnehmen.
Tabelle 1
Maßnahmen zur Prävention des "diabetischen Fußes" |
Gute Einstellung des Diabetes (Übergewicht abbauen!)
Weite, für die Zehen genug Raum bietende Schuhe
Naturfaserstrümpfe (Baumwolle, keine Stopfstellen, Faltenbildung vermeiden)
Mechanische Entlastung von Druckpunkten an den Füßen (Einlagen, orthopädisches Schuhwerk)
Schneiden des Fußnägel ohne Verletzung, eingewachsene Nägel werden chirurgisch behandelt; Hühneraugen und Hornhautverdickungen durch erfahrenen Arzt oder Pediküre
Konsequente Therapie von Pilzinfektionen der Nägel
Baden der Füße in handwarmen Wasser (Temperatur prüfen). Gut abtrocknen mit weichen Tüchern
Hautpuder oder Lanolin. Keine Chemikalien, milde Desinfektionsmittel bei kleinen Verletzungen
Keine selbständige Pediküre
Tägliche sorgfältige Inspektion der Füße
Nicht barfußlaufen (Verletzungsgefahr, Pilzinfektionen in Schwimmbad, Sauna, Hotelzimmer etc.)
Tägliche Fußgymnastik, Gehtraining, Spaziergänge |
Dabei zeigt sich, dass einfachste Maßnahmen - in einem didaktisch gut gegliederten Unterricht vorgestellt - entscheidende Besserungen im Hinblick auf die Prävention dieses vor allem für ältere Patienten so deletären Folgeschadens bringen können.
- Schließlich ist zu bedenken, dass medikamentöse Maßnahmen in der Regel nur bei der Sekundärprävention der Folgeschäden in Betracht kommen, so z. B. bei der Bekämpfung der Makroangiopathie durch die Beeinflussung von Störungen der Blutfettwerte (Statine, Fibrate, Cholesterinaufnahmehemmer) sowie Bluthochdruck (in erster Linie ACE-Hemmer).
- Auch die Nervenschädigung (Neuropathie) kann durch die einzig pathogenetisch begründete Substanz, die Alpha-Liponsäure, hinsichtlich neurologischer Parameter und Schmerzempfindungen der Patienten häufig wirksam bekämpft werden.
Gleichsam eine Bankrotterklärung stellt die Tertiärprävention der Folgeschäden bei Diabetes mellitus dar. Hier sind die Schäden so weit fortgeschritten, dass Maßnahmen, wie Dialyse, Amputation und ähnliches, ergriffen werden müssen.
In der St. Vincent-Deklaration von 1989 (Tab. 2) hatte man sich bemüht, durch Forderungen an die Diabetestherapie präventiv den Folgeschäden entgegenzuwirken und auf diese Weise auch eine Kostensenkung durchzuführen.
Tabelle 2
St. Vincent-Deklaration 1989 |
Forderungen für die Diabetestherapie |
1/3 weniger Erblindungen |
1/3 weniger Nierenversagen |
1/3 weniger Fußamputationen |
Senkung von Morbidität und Mortalität durch koronare Herzerkrankung |
Reduktion von Schwangerschaftskomplikationen auf das Niveau von Nichtdiabetikerinnen |
Leider muss gesagt werden, dass die darin erhobenen Forderungen nicht im entferntesten erfüllt werden konnten (mit Ausnahme der Reduktion von Schwangerschaftskomplikationen auf das Niveau von Nichtdiabetikerinnen). Gerade bei den Fußamputationen, die so viel menschliches Leid und hohe Kosten mit sich bringen, konnte bisher kein Durchbruch in der Prävention erzielt werden.
An dieser Stelle sollen die in der CODE-2-Studie erhobenen Zahlen zu den Kosten der Behandlung des Typ 2 Diabetes nicht unerwähnt bleiben: Es zeigte sich, dass Typ 2 Diabetiker ohne Komplikationen 1,3-fach mehr Kosten verursachen als nichtdiabetische Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung. Bei Patienten mit Komplikationen der kleinsten Blutgefäße (mikroangiopathisch) steigt der Faktor auf das 2,4 - bei solchen mit Komplikationen der großen Blutgefäße (makroangiopatisch) auf das 2,5-fache an. Wenn aber Schädigungen beider Art vorliegen, dann belaufen sich die verursachten Kosten auf das mehr als 4-fache gegenüber dem nichtdiabetischen "Durchschnittspatienten".
Ausblick und Folgerungen
Schon vor 30 Jahren haben wir eine Studie veröffentlicht, die die Bedeutung der Prävention durch eine strikte Ernährungsbehandlung bei manifesten Typ 2 Diabetikern aufzeigt
In Analogie zu jenen oben beschriebenen Studien, die den präventiven Effekt von Lebensstiländerungen auf die Manifestation des Diabetes vom Stadium der gestörten Glukosetoleranz her aufzeigten, konnten wir darlegen, dass solche Maßnahmen, auch bei bereit manifestem Diabetes von Bedeutung sind. Der Abbildung 6 ist zu entnehmen, dass sich nach einem Jahr mit entsprechender Gewichtsabnahme die Therapienotwendigkeiten bei übergewichtigen, manifesten Typ 2 Diabetikern dramatisch änderten. Der überwiegende Teil der Patienten konnte nach einer Gewichtsabnahme von 3 bis 37 Kilo binnen Jahresfrist mit Diät allein behandelt werden, nachdem vorher überwiegend eine Insulintherapie oder aber eine Kombinationstherapie mit oralen Antidiabetika angezeigt war.
Aus diesen Ergebnissen und aus dem Resultat der oben diskutierten neueren Studien lässt sich als Schlussfolgerung nur ableiten, dass Schulung sowie Ernährungs- und Bewegungstherapie die entscheidenden Faktoren sind, mit deren Hilfe eine Besserung der Situation bei Typ 2 Diabetikern gelingen könnte. Natürlich stehen diesen Bemühungen verschiedene Hindernisse entgegen.
So ist die mangelnde Compliance übergewichtiger Patienten im Hinblick auf die notwendige Ernährungstherapie hinreichend bekannt. Dasselbe gilt für eine gezielte Bewegungsbehandlung. Zum anderen muss man aber auch bedenken, dass es sich beim Typ 2 Diabetes um ein fortschreitendes Geschehen handelt, bei dem die Insulinresistenz zunimmt und die Insulinausschüttung nachlässt. Deswegen werden auch diätwillige Patienten im Laufe der Jahre letztlich doch Medikamente und am Schluss sogar Insulin benötigen.
Dies ist jedoch kein Widerspruch zu den aufgezeigten Präventionsmaßnahmen. Denn wie gerade die Abbildung 6 zeigt, lohnt es sich in jeder Phase des Typ 2 Diabetes, durch Lebensstiländerungen eine Gewichtsabnahme zu erreichen, wenn der Patient übergewichtig ist. Ernährungs- und Bewegungstherapie würden dabei nicht nur Medikamente sparen helfen, sondern auch diabetischen Folgeschäden entgegenwirken. Dies gilt um so mehr, als die Beeinflussung der so gefährlichen Herz-Kreislauf- Risikofaktoren (Störung der Blutfettwerte und Bluthochdruck) Veränderung der Ernährung, durch Gewichtsabnahme und durch vermehrte körperliche Bewegung hinreichend gesichert ist.
Zusammenfassung
Prävention bei Diabetes und damit Kostenersparnis im Gesundheitswesen beziehen sich auf die Primärprävention der diabetischen Stoffwechselstörung per se sowie auf Primär, Sekundär- und Tertiärprävention der diabetischen Folgeschäden. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Prävention aller dieser Krankheitsstufen die Forderung nach einer vermehrten und verbesserten Ernährungs- und Bewegungstherapie. Auch durch einzelne medikamentöse Maßnahmen kann man den Präventivgedanken fördern, wenn diese Substanzen zum richtigen Zeitpunkt mit richtiger Indikationsstellung eingesetzt werden.
Prof. Dr. med. Hellmut Mehnert Geschäftsführender Vorstand der Forschergruppe Diabetes am Institut für Diabetesforschung, Krankenhaus München - Schwabing, Mitglied im Fachbeirat von www.diabetes-deutschland.de
Literaturverzeichnis:
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Erstellt: September 2003 Aktualisiert: Januar 2005 |