Keine speziellen diätetischen Lebensmittel mehr für Personen mit Diabetes – Was bedeutet das konkret?
Antworten von Frau Dr. Toeller, Ärztin und Ernährungsexpertin in Düsseldorf
08.10.2010 Seit vielen Jahren ist wissenschaftlich belegt, dass Personen mit Diabetes mellitus (Typ 1 oder Typ 2) keine speziellen Diabetiker-Lebensmittel benötigen. Nun hat der Bundesrat der Änderung der bestehenden Diätverordnung und der Abschaffung dieser sogenannten Diabetiker-Lebensmittel zugestimmt. Was bedeutet das?
Der Ausschuss Ernährung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft und auch das Bundesinstitut für Risikobewertung haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die im Markt befindlichen Spezial-Lebensmittel, die als für Diabetiker geeignet beworben werden, den Patienten nicht nützen. Sie haben ungünstige Nebenwirkungen und sind teurer als vergleichbare Produkte des üblichen Verzehrs. Nun hat auch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der Änderung der bis dato bestehenden Diätverordnung und der Abschaffung der sogenannten Diabetiker-Lebensmittel zugestimmt.
Was bedeutet das konkret?
Frau Dr. med. Monika Toeller beantwortet hier auf Diabetes-Deutschland.de Ihre Fragen.
Frau Dr. M. Toeller ist Ärztin und Ernährungsexpertin in Düsseldorf. Sie hat aktiv an Änderungen der Diätverordnung und der Abschaffung der sogenannten Diabetiker-Lebensmittel mitgewirkt. |
Wie werden die Änderungen der Diätverordnung begründet?
Wie ändern sich die Angaben auf verpackten Lebensmitteln?
Welche Bedeutung haben die Zuckeraustauschstoffe?
Welche Bedeutung hat die Fruktose?
Welche Übergangsfristen gelten für die sogen. Diabetiker-Lebensmittel?
Wie sollte die Zutatenliste bei verpackten Lebensmitteln geprüft werden?
Welche Bedeutung haben energiefreie Süßstoffe?
Ist Haushaltszucker für Personen mit Diabetes geeignet?
Wie werden die Kohlenhydrat-Portionen ermittelt?
Aktuelle Buchempfehlungen von Frau Dr. Toeller
Wie werden die Änderungen der Diätverordnung begründet?
Nach wissenschaftlichem Kenntnisstand benötigen Personen mit Diabetes keine speziellen Lebensmittel mehr. Die Diäteigenschaft nach §1 Absatz 2 der Diätverordnung für Personen mit Diabetes mellitus kann nicht mehr definiert werden. Ein striktes Verbot des Zusatzes von niedermolekularen Kohlenhydraten wie d-Glukose, Invertzucker, Disacchariden, Maltodextrin und Glukosesirup (§12 der Diätverordnung) als Grundprinzip der Diabetesdiät ist überholt. Das traditionelle komplette Saccharoseverbot in der Diabeteskost ist nicht mehr gerechtfertigt.
Wie ändern sich die Angaben auf verpackten Lebensmitteln?
Mit der Abschaffung der sogenannten Diabetiker-Lebensmittel werden die bisherigen spezifischen Anforderungen an diese Produkte gestrichen: Der §12 der Diätverordnung wird aufgehoben. So müssen zum Beispiel die folgende Angaben auf Lebensmittelverpackungen entfernt werden:
Die bisher im Markt befindlichen Diabetiker-Lebensmittel enthalten in der Regel an Stelle von Haushaltszucker (Saccharose) sogenannte Zuckeraustauschstoffe. Dazu zählen die Zuckeralkohole (z.B. Isomalt, Lactit, Maltit, Mannit, Sorbit), die meist eine geringere Süßkraft als Haushaltszucker haben und nur teilweise im Stoffwechsel verwertet werden können. Ihr Energiewert ist deshalb geringer als der von Saccharose.
Obgleich die Zuckeraustauschstoffe geringere postprandiale Blutglukose-Anstiege (nach Verzehr) im Vergleich zu Glukose bewirken, gibt es keinen Beweis dafür, dass diese langfristig zu einer reduzierten Kalorienaufnahme, einer Gewichtsabnahme oder zu einer besseren Stoffwechseleinstellung bei Personen mit Diabetes führen (gemessen am HbA1c). Beim Verzehr der Zuckeralkohole können Nebenwirkungen wie Blähungen und Durchfall auftreten.
Welche Bedeutung hat die Fruktose?
Neben den Zuckeralkoholen wird auch Fruchtzucker (Fruktose) als Zuckeraustauschstoff bei den sogenannten Diabetiker-Lebensmitteln eingesetzt. Fruchtzucker liefert die gleiche Energiemenge wie Glukose oder Saccharose (pro 1 Gramm 4 Kcal). Während früher angenommen wurde, dass Fruchtzucker ein geeigneter Zucker-Ersatz für Personen mit Diabetes sei, sind heute viele kritische Eigenschaften der Fruktose bekannt, die gegen eine Empfehlung des Fruchtzuckers als Süßungsmittel bei Diabetes sprechen. So ist ihr negativer Einfluss auf die Serumlipide (Blutfette, Triglyzeridspiegel) bekannt und es wird die Entstehung von Übergewicht, Harnsäureanstieg, Einlagerung von Bauchfett, Fettleber, Insulinresistenz, Metabolisches Syndrom und Typ 2 Diabetes mit höherer Fruktoseaufnahme in Zusammenhang gebracht.
Besonders die hohe Fruktoseaufnahme durch Getränke scheint für das zunehmende Übergewicht in der Bevölkerung mitverantwortlich zu sein. Deshalb wird Personen mit Diabetes die Fruktose als Süßungsmittel nicht empfohlen.
Für die Hersteller von sogenannten Diabetiker-Lebensmitteln wurde eine Übergangsfrist von 2 Jahren (also bis 2012) bewilligt. Diabetiker- und Verbraucher-Verbände haben bereits ihr Unverständnis hierüber kundgetan und möchten Personen vor dem Kauf und Verzehr von Produkten schützen, die ihnen höhere Kosten ohne Nutzen für ihre Gesundheit verursachen. Zudem sind Zuckeralkohole, die in den Kohlenhydratgehalt eines Lebensmittels einbezogen werden, für Personen mit Diabetes sehr schwer einzuschätzen. Diese sollten nicht als Broteinheit (BE) deklariert werden. Der Ausschuss Ernährung der DDG hat hierauf seit vielen Jahren hingewiesen.
Für den Verbraucher wird eine übersichtliche, gut lesbare, einfache und Europa-weit einheitliche Nährstoffdeklaration immer wichtiger, um eine geeignete Lebensmittelauswahl treffen zu können. Das gilt besonders für die Zutatenliste auf den Etiketten der Lebensmittel.
Zunehmend werden Produkte als ‚zuckerfrei’ oder ‚zuckerreduziert’ angeboten, in denen energiehaltige Zuckeralkohole als Süßungsmittel verwendet werden. Wenn diese am Anfang der Zutatenliste auftauchen, sind sie besonders reichlich enthalten. Dabei ist auf folgende Begriffe zu achten: Zuckeralkohole, Isomalt (E 953), Lactit (E 966), Maltit (E 965), Mannit (E 421), Sorbit (E 420), Zuckeraustauschstoff, Fruchtzucker, Fruktose.
Welche Bedeutung haben energiefreie Süßstoffe?
In der EU sind folgende Substanzen als künstliche, (fast) energiefreie Süßstoffe zugelassen: Acesulfam, Aspartam, Cyclamat, Neohesperidin, Neotam, Saccharin, Sucralose, Thaumatin. Damit gesüßte Lebensmittel (Joghurt, Limonaden etc.) zählen nicht zu den sogenannten Diabetiker-Lebensmitteln. Sie gelten als Lebensmittel des üblichen Verzehrs und werden weiterhin verfügbar sein.
Diese künstlichen energiefreien Süßstoffe können genutzt werden, um Energie zu sparen. Solange die täglichen Höchstgrenzen (Acceptable Daily Intake) nicht überschritten werden – was bei sparsamem Verbrauch in der Regel nicht geschieht –, gelten diese Substanzen als ungefährlich.
Ein aus Stevia gewonnenes energiefreies Süßungsmittel (Steviagykoside) ist derzeit noch nicht in der EU zugelassen. Eine Zulassung wird für 2011 erwartet.
Die aktuellen Ernährungsempfehlungen für Personen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes weisen darauf hin, dass Haushaltszucker in der Kost von Diabetikern kein Tabu darstellt. Die Wirkung auf den Blutzucker (glykämischer Index) ist ähnlich wie nach dem Verzehr von Weißbrot, Kartoffelpürree oder Minutenreis. Haushaltszucker sollte (wie auch der nichtdiabetischen Bevölkerung empfohlen) von Personen mit Diabetes nur in moderaten Mengen verzehrt werden. Die Empfehlung lautet: Haushaltszucker sollte nicht mehr als 10% der täglichen Energie ausmachen. Bei einem Energiebedarf von 2000 Kcal/Tag wären dies maximal 50 g Zucker pro Tag.
Die meisten Personen mit Diabetes planen ihren Kohlenhydratverzehr in Portionen. Dabei kann eine Kohlenhydrat-Tabelle nützlich sein, die möglichst in Küchenmaßen (Stück, Löffel, Messerspitze usw.) die Menge eines kohlenhydrathaltigen Lebensmittels angibt, die einer Kohlenhydrat-Portion entspricht. (siehe die Buchempfehlung weiter unten)
Eine Kohlenhydrat-Portion entspricht in der Tradition in Deutschland zirka 10 bis 12 Gramm Kohlenhydraten. Wenn auf verpackten Lebensmitteln die Gramm-Menge an Kohlenhydraten angegeben ist, bietet sich an, diese durch 10 zu teilen, um auf die Anzahl der Kohlenhydrat-Portionen in der Verpackung oder in der Teilmenge des Produktes zu gelangen.
Bei besonders ballaststoffreichen Lebensmitteln ist die Wirkung auf den Blutzucker geringer einzuplanen. Für Personen, die ihr Insulin für die jeweiligen Kohlenhydrat-Portionen dosieren, ist die Blutzucker-Selbstkontrolle ein wichtiges Instrument, um die eigenen Erfahrungswerte nach dem Verzehr unterschiedlicher Lebensmittel und Mahlzeiten immer wieder zu überprüfen.
Autorin: Dr. med. Monika Toeller, Ärztin für Innere Medizin und Diabetologin DDG
Universitätsklinikum Düsseldorf, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie
Aktuelle Buchempfehlungen von Frau Dr. Toeller:
Dr. med. Monika Toeller und Waltraud Schumacher:
Richtig essen bei Diabetes
Reihe MedizinWissen, ISBN 978-3-7776-1615-5, Hirzel Verlag
3., aktualisierte und neu gestaltete Auflage 2009.
192 S., 114 farbige Abbildungen, 34 farbige Tabellen. Kartoniert. Preis: 19,80 €
Eines ist klar: Die richtige Ernährung gehört zu jeder erfolgreichen Diabetes-Therapie. Damit gelingt es, das Wunschgewicht zu erreichen, den Blutzuckerspiegel positiv zu beeinflussen, Blutdruck und Blutfette auszugleichen, Folgeerkrankungen vorzubeugen und sich fit zu fühlen. Das Schöne dabei: Die strengen Regeln von einst gelten längst nicht mehr. Die moderne „Diabetiker-Tafel“ ist abwechslungsreich, wohlschmeckend und erlaubt mehr Freiheiten als früher.
Dieser Ratgeber zeigt Ihnen mit vielen praktischen Beispielen und leicht lesbaren Tabellen, auf welche Nährstoffe es ankommt, welche Lebensmittel Sie am besten einkaufen und was für die Zubereitung wichtig ist. Dazu gibt es Infos zum glykämischen Index, zur Planung mit Kohlenhydratportionen sowie Extra-Tipps für Typ-1- und Typ-2-Diabetiker, für Sport, Urlaub, Schwangerschaft und andere spezielle „Ernährungssituationen“.
Dr. med. Monika Toeller und Waltraud Schumacher:
KH-Tabelle für Diabetiker
ISBN 978-3-87409-472-6, Kirchheim-Verlag
9. Auflage 2009, 24 Seiten, DIN A6, Preis: 2,60 €
Die KH-Tabelle gibt dem insulinspritzenden Diabetiker Schätzhilfen in Küchenmaßen für Lebensmittelportionen, die jeweils 10 bis 12 g Kohlenhydrate (KH) enthalten. Die Tabelle ist gedacht als praktische Hilfe für die alltägliche Zusammenstellung der Kost.
Die handliche Broschüre im Postkartenformat enthält auf 20 Seiten, in Gruppen übersichtlich geordnet, sowohl die wesentlichen kohlenhydrathaltigen Grundnahrungsmittel als auch exotische Früchte und Angaben zu Süßungsmitteln und Süßigkeiten.
Die Lebensmittelmenge, die jeweils einer Kohlenhydratportion (10 bis 12 g KH) entspricht, wird bei jedem Lebensmittel durch ein gebräuchliches Küchenmaß z.B. Eßlöffel, Tasse usw. beschrieben. Für Anfänger, die mit Hilfe der Küchenwaage ihr Schätzvermögen zunächst üben wollen, enthält die Tabelle auch Zirka-Gramm-Mengen. Die Kohlenhydrat-Tabelle unterstützt auch die mit intensivierter Insulintherapie (ICT) behandelten Diabetiker, die ihre Ernährung flexibel gestalten können.
Siehe auch:
Dürfen Diabetiker Zucker essen?
Low carb-Ernährung bei Diabetes?
Fragen an Frau Dr. Toeller zur Ernährung bei Diabetes