Insulinproduzierende Zellen durch Reprogrammierung: Ein Blick in die Zukunft
23.01.2009 Es ist ein Traumziel der Diabetesbehandlung, zugrunde gegangene Betazellen durch neues funktionstüchtiges Gewebe zu ersetzen. Vor allem die Stammzellforschung nährte in den letzten Jahren solche Hoffnungen. Embryonale Stammzellen sind aber ethisch umstritten, daher suchen Wissenschaftler nach Alternativen. Neue interessante Erkenntnisse liefert das Verfahren der „Zell-Reprogrammierung“: Im Tierversuch mit Mäusen ließen sich bestimmte Gewebebereiche in der Bauchspeicheldrüse in insulinproduzierende Zellen umwandeln.
Durchgeführt wurde das Experiment von Wissenschaftlern der Harvard Universität und der Harvard Medical School in den USA. Die Forscher spritzten bei Mäusen bestimmte Viren in das exokrine Bauchspeicheldrüsengewebe (= Gewebe, das den Verdauungssaft herstellt). Diese Viren waren mit Genen bepackt, die drei spezielle Transkriptionsfaktoren (Ngn3, Pdx1 und MafA) in größerer Menge herstellen. Es ist bekannt, dass diese Transkriptionsfaktoren in der Embryonalzeit an der Entwicklung insulinproduzierender Betazellen entscheidend beteiligt sind. Transkriptionsfaktoren sind Proteine, die die Aktivität von Genen in der Zelle beeinflussen. In der ausgereiften Körperzelle ist ein großer Teil des Erbguts bzw. der Gene inaktiviert, da er für die spezielle Funktion dieser Zelle nicht mehr benötigt wird. Mit Hilfe „passender“ Transkriptionsfaktoren lassen sich inaktive Teile des Erbguts wieder reaktivieren. Diesen Prozess bezeichnet man als Zell-Reprogrammierung.
Das Ergebnis des Experiments: Bereits wenige Tage nach der Injektion fanden die Wissenschaftler insulinproduzierende Zellen im exokrinen Bauchspeicheldrüsengewebe. Mit Hilfe spezieller Untersuchungstechniken konnten sie nachweisen, dass sich diese Zellen direkt aus den Zellen des exokrinen Pankreas gebildet hatten. Insgesamt unterschieden sich die insulinproduzierenden Zellen nicht wesentlich von „normalen“ Betazellen. In einem nächsten Schritt wurde bei diabetischen Mäusen untersucht, ob sich durch die Reprogrammierung von exokrinen Pankreaszellen in insulinproduzierende Zellen auch der Blutzucker senken ließ. Dies war tatsächlich der Fall: Bei diabetischen Mäusen konnte durch eine Injektion des o.g. Cocktails von Virus-gekoppelten Transkriptionsfaktoren in das Pankreas der Blutzucker weitgehend normalisiert werden.
Das Fazit: Die vorliegende tierexperimentelle Studie liefert wichtige Hinweise darauf, dass eine Reprogrammierung von exokrinen Pankreaszellen in insulinproduzierende Betazellen prinzipiell möglich ist. Allerdings darf das hier gewählte Verfahren der Reprogrammierung nicht auf den Menschen übertragen werden: Die langfristigen Risiken einer Einschleusung von Viren, die mit bestimmten Genen bepackt sind, lassen sich nicht ausreichend abschätzen. Trotzdem machen die neuen Erkenntnisse Hoffnung: Irgendwann in der Zukunft wird es vielleicht möglich sein, mit Hilfe von Medikamenten die genannten Transkriptionsfaktoren zu aktivieren und so eine gewisse Regeneration von insulinproduzierenden Zellen zu erreichen. Bis dahin ist es allerdings ein langer Weg, auf dem noch viele Detailfragen zu klären sind.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin von Diabetes-Deutschland.de
Quelle: Zhou Q, Brown J, Kanarek A et al. In vivo reprogramming of adult pancreatic exocrine cells to beta-cells. Nature 2008; 455: 627-32
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