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Expertenkommentar

zum Beitrag  „VADT-Studie: Blutzuckersenkung allein reicht nicht aus“ vom 21. Januar 2009

2008 – Das Jahr der großen Studien zur Therapie des Typ-2-Diabetes: ACCORD, ADVANCE, VADT und die UKPDS-10-Jahresdaten

Schatz

 

Alle im Jahre 2008 publizierten Studien untersuchten prospektiv an vielen tausenden Typ-2-Diabetespatienten, ob eine gute Blutzuckereinstellung Herzinfarkte und andere kardiovaskuläre Ereignisse verhindern bzw. ihr Auftreten verringern können.

Meine „Frohe Botschaft“ vorweg: Ja, man kann! Es lohnt sich, wenn ein Patient früh, am besten gleich nach Diagnosestellung, mit einer guten Glukosekontrolle beginnt und seine guten Blutzuckerwerte beibehält. Dies hat vor einem halben Jahrhundert der Schweizer Altmeister der Diabetologie, F. Constam, bei Auswertung der über Jahrzehnte sorgfältig erhobenen Patientendaten seiner Praxis, konstatiert und immer wieder verkündet. Mit den Jahren gerieten seine Ergebnisse langsam in Vergessenheit. Die 10-Jahresdaten der UKPDS, vorgestellt am Europäischen Diabeteskongreß in Rom 2008, haben Constams alte Schlussfolgerungen aus seiner Patientenkartei mit den heutigen statistischen Methoden bestätigt. Auch Subanalysen der ansonsten insgesamt negativen ACCORD-Studie sprechen in diese Richtung.

Wenn man mit einer guten Blutzuckereinstellung aber erst nach etwa einem Jahrzehnt beginnt, so reichen einige Jahre gut abgesenkter Glukosewerte nicht aus, um im statistischen Mittel die zumeist schon existenten Gefäßschäden zurückzubilden oder zumindest deren Progression signifikant zu verzögern. Erst Nachbeobachtungen nach vielen Jahren werden zeigen können, ob sich auch bei viel später als bei den UKPDS-Patienten begonnener guter Blutzuckereinstellung diese gelohnt hat oder nicht. Der in UKPDS beobachtete positive späte „Legacy Effect“ könnte ja auch bei diesen Patienten zum Tragen kommen.

In VADT hatte eine straffe Glukoseabsenkung nicht nur keine Besserung der  makrovaskulären, sondern auch nicht der mikrovaskulären Komplikationen gezeigt, im Gegensatz zu vielen anderen Studien. Hier war der Ausgangs-HbA1c auch am höchsten gewesen.

Ohne auf die wichtigen Details wie Hypoglykämien, Gewichtsverhalten oder die sehr unterschiedlichen Patientenkollektive und die großen Differenzen in den Therapiestrategien im Einzelnen eingehen zu wollen, möchte ich aus den im Jahre 2008 publizierten Studien für die tägliche ärztlich Praxis folgern:

Folgerungen für die tägliche Praxis

Man soll so früh wie möglich den Blutzucker gut einstellen und diese Einstellung ständig –Jahrzehnte hindurch – beibehalten.  Allerdings sollten möglichst keine gehäuften Hypoglykämien auftreten und das Gewicht sollte nicht stärker ansteigen. Dies war in den Studien des Jahres 2008 der Fall gewesen. In den neuen Leitlinien zur Therapie des Typ-2-Diabetes vom 13. Oktober 2008 (www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de  Rubrik Leitlinien) ist diesen neuen Erkenntnissen auch Rechnung getragen: Es wird für das  HbA1c ein Zielbereich von 6.5% festgelegt. Manche deutschen Diabetologen, ebenso wie auch die Diabetesgesellschaften anderer Länder, setzen den HbA1c-Zielwert mit  <7.0% an. Dieser Wert soll allerdings  nicht durch ständige Hypoglykämien und stärkere Gewichtszunahme erzwungen werden.  Das gleichzeitig eine Normalisierung des Blutdrucks und des Fettstoffwechsel und ggf. ein Nikotinverzicht angestrebt werden muss, ist unstrittig. 

Keine Bagatellisierung der Blutzuckerbehandlung
 
Die Rolle der Blutzuckerbehandlung jedoch zu bagatellisieren, erscheint mir falsch. Leider wurden durch Berichterstattung in der Laienpresse und auch durch manche ärztliche Äußerungen viele Patienten meiner Praxis sehr verunsichert. Es bedurfte oft langer Gespräche, um diese in ihrer Zuckerkontrolle jetzt nicht nachlässig werden zu lassen.

Ablösung des Arztes durch den Statistiker - Ärzte als „Disease Manager“ ?

Zum Schluss ein Wort zur heutigen Situation in der Medizin. Die Bedeutung der ärztlich-klinischen Beobachtung am individuellen Patienten und die Analysen wie z.B. des Schweizer Arztes F. Constam wurden durch statistische Analysen von z.T. in die zehntausende gehenden Patientengruppen abgelöst, die oft durch Ein- und Ausschlusskriterien selektiert werden und somit nicht unseren ärztlichen Alltag widerspiegeln. Das statistische Durchschnittsergebnis wird von vielen als gleichsam sakrosankt angesehen, die evidenzbasierte  Medizin (EBM)  mit ihren Cochrane- und Metaanalysen als „Heiliger Gral“. Es hat fast den Anschein, als ob der Arzt durch den Statistiker ersetzt werden soll. Vielfach bezeichnet man - auch offiziell - uns Ärzte schon als „Disease-Manager“.

Zunehmend regt sich aber Kritik und Widerstand gegen diese einseitigen Entwicklungen. So spricht z.B. van Zehn in einem Editorial (Int J Evid Based Health Care 2006. 4,161) von der Gefahr, dass aus D. Sackett´s  „evidence-based medicine““ eine „evidence-biased medicine“ wird. Holmes schreibt im gleichen Heft dieser Zeitschrift  auf S. 180-186, das das „evidence-based movement in health sciences a good example of microfascism in the contemporary scientific arena“ sei  (vgl. auch H. Schatz, Diab Stoffw Herz 2007. 16, 115-116). Um nicht falsch verstanden zu werden: Jeder Arzt muss selbstverständlich die entsprechenden Studien kennen, hat aber die Therapieentscheidungen, basierend auf diesen Studien, gemeinsam mit seinem Patienten, stets individuell zu treffen.

 

Prof. Dr. med. Helmut Schatz, Bochum
Präsident der Zentraleuropäischen Diabetesgesellschaft
Präsident 1990/91 der Deutschen Diabetes-Gesellschaft
Emeritierter Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Bergmannsheil
der Ruhr-Universität Bochum

 

 

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