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Wie sicher ist die Blutzuckerkontrolle auf Intensivstationen?
Es ist durch eine Reihe von Studien belegt, dass das Vorliegen eines erhöhten Blutzuckers bei Patienten auf Intensivstationen mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität verbunden ist. Dabei handelt es sich zum großen Teil um Patienten, bei denen zuvor kein Diabetes bekannt war und bei denen die Blutzuckerwerte innerhalb der starken Stresssituation ansteigen. Bei vital bedrohlichen Erkrankungen kann der Stress extrem sein und die Blutzuckerwerte steigen so stark an, so dass zum Teil Insulingaben von mehreren Hundert Einheiten pro Tag erforderlich sind, um den Stoffwechsel einigermaßen zu kontrollieren.
Die Gruppe von van den Berghe in Leuven (Belgien) hatte im Jahre 2001 erstmals über die positive Auswirkung einer streng normnahen Blutzuckereinstellung auf einer chirurgischen Intensivstation berichtet. Bei der konventionell behandelten Vergleichsgruppe wurde damals allerdings erst bei einem Blutzucker von über 215 mg/dl (11,9 mmol/l) eingegriffen.
Durch diesen Bericht angeregt, sind zahlreiche Konsensus-Konferenzen abgehalten worden, Algorithmen für die Therapie wurden entwickelt und Hunderte von Intensivstationen weltweit haben die normnahe Blutzuckereinstellung auf der Intensivstation übernommen. Allerdings ließen sich die positiven Ergebnisse durch die gleichen Autoren in Leuven auf internistischen Intensivstationen fünf Jahre später nicht bestätigen.
Inzwischen liegen zwei große multizentrische klinische Studien vor, die ebenfalls keinen Vorteil einer völligen Normalisierung des Blutzuckers auf Intensivstation erkennen ließen. Eine dieser beiden Studien wurde sogar wegen häufiger gefährlicher Unterzuckerungen vorzeitig abgebrochen. Der Versuch, den Blutzucker in dieser Situation völlig in den Normalbereich einzustellen, scheint sich also eher negativ auszuwirken. Dies wurde jetzt durch die NICE-SUGAR-Studie eindrucksvoll bestätigt. Die Ergebnisse der NICE-SUGAR Studie spiegeln aber keinen Nihilismus wider, sondern sie zeigen den Vorteil einer Blutzuckereinstellung auf einen Bereich von 144-180 mg/dl (8,0-10,1 mmol/l) in der "konventionell" behandelten Gruppe von Patienten auf Intensivstation gegenüber einer Gruppe mit scharfer Blutzuckereinstellung zwischen 81 und 108 mg/dl (4,5-6,0 mmol/l) in dieser Situation. Im ersten Fall (konventionelle Einstellung) brauchten immerhin schon 69 % der intensivmedizinisch behandelten Patienten Insulin; bei den scharfen Einstellungskriterien waren dies sogar 97,2 % aller Patienten. Es ist nicht überraschend, dass selbst bei einem sorgfältigen Überwachungsregime in der normnah eingestellten zweiten Gruppe sehr viel mehr schwere Unterzuckerungen auftraten, als in der konventionell behandelten ersten Gruppe.
Bis weitere Analysen der Daten der NICE-SUGAR Studie vorliegen, werden die Intensivstationen gut daran tun, den Blutzucker der Patienten in einen Bereich von 144 bis 180 mg/dl (8,0-10,1 mmol/l) einzustellen.
Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum ist Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie, European Training Center in Endocrinology and Metabolism, des Universitätsklinikum Düsseldorf und Vorsitzender der Kommission Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft
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