Zur Blutzuckereinstellung von Patienten auf Intensivstationen
08.05.2009 In Fachkreisen ist nach wie vor umstritten, in welchem Bereich der Blutzucker bei Patienten auf der Intensivstation geführt werden sollte. Neue Erkenntnisse hierzu liefert eine multinationale Studie, deren Ergebnisse jetzt im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden: Eine zu strenge Blutzuckereinstellung lässt das Risiko für schwere Unterzuckerungen ansteigen und kann bei den schwerkranken Patienten das Sterblichkeitsrisiko erhöhen.
In die NICE-SUGAR Studie (‘Normoglycemia in Intensive Care Evaluation-Survival Using Glucose Algorithm Regulation’) schlossen die Wissenschaftler aus Neuseeland, Australien und Nordamerika über 6.000 Patienten ein. Das Durchschnittsalter betrug rund 60 Jahre. Alle Patienten hatte man innerhalb der letzten 24 Stunden aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung oder Komplikation einer internistischen Erkrankung oder Operation auf eine Intensivstation eingeliefert, mehr als 90% mussten hier künstlich beatmet werden.
Die kritisch kranken Patienten wurden randomisiert in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine metabolisch intensiv behandelte Gruppe, in der Blutzuckerwerte zwischen 81 und 108 mg/dl (4,5 bis 6,0 mmol/l) angestrebt wurden (3.010 Patienten), und eine konventionell behandelte Gruppe mit Glukosezielwerten von 180 mg/dl (10,0 mmol/l) oder darunter (3.012 Patienten). Um die genannten Werte zu erreichen, wurde größtenteils Insulin in unterschiedlichen Dosierungen gespritzt. Am Ende unterschieden sich die Blutzuckerwerte zwischen beiden Gruppen um durchschnittlich 29 mg/dl und lagen in der intensiv behandelten Gruppe im Mittel bei 115 mg/dl (6,4 mmol/l) und in der konventionell behandelten Gruppe bei 144 mg/dl (8,0 mmol/l). Entsprechend der strengeren Glukosekontrolle traten in der intensivierten Gruppe deutlich häufiger schwere Unterzuckerungen auf: Insgesamt waren hier 6,8% der Patienten betroffen, im Vergleich zu 0,5% in der Gruppe mit den höheren Durchschnitts-Blutzuckerwerten. Als schwere Unterzuckerungen wurden Glukosewerte von 40 mg/dl (2,2 mmol/l) oder darunter bewertet.
Ziel der Wissenschaftler war herauszufinden, ob es zwischen beiden Gruppen Unterschiede im Sterblichkeitsrisiko gab. Das Ergebnis: In der Gruppe mit scharfer Blutzuckereinstellung starben innerhalb von 90 Tagen nach Einlieferung auf der Intensivstation insgesamt 829 Patienten (27,5%). Bei den Studienteilnehmern mit der weniger strengen Blutzuckereinstellung gab es 751 Todesfälle (24,9%) – und damit weniger als bei den Patienten mit der intensiveren Blutzuckertherapie. Dieser Unterschied zwischen beiden Gruppen war statistisch signifikant (p = 0,02) und veränderte sich auch nach dem Herausrechnen anderer möglicher Einflussfaktoren nicht.
Das FAZIT der NICE-SUGAR Studiengruppe: Es gibt Hinweise darauf, dass sich eine zu strenge Blutzuckereinstellung bei kritisch kranken Patienten auf der Intensivstation im Gesamtresultat negativ auswirken und die Überlebenswahrscheinlichkeit einschränken kann. Dieses Resultat steht teilweise im Widerspruch zu Ergebnissen früherer Untersuchungen. Nutzen und Risiko einer scharfen Blutzuckereinstellung auf Intensivstationen müssen daher weiter diskutiert und sorgfältig abgewogen werden.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin von Diabetes-Deutschland.de
Quelle: The NICE-SUGAR Study Investigators. Intensive versus Conventional Glucose Control in Critically Ill Patients. N Engl J Med 2009; 360: 1283-97
Hier geht es zum Expertenkommentar (Prof. Scherbaum, Düsseldorf)