Neue Erkenntnisse zur Blutzuckersenkung bei kritisch kranken Patienten
31.03.2009 In Fachkreisen ist nach wie vor umstritten, in welche Bereiche der Blutzucker bei Diabetespatienten auf der Intensivstation abgesenkt werden sollte. Eine zu strenge Glykämiekontrolle lässt das Risiko für schwere Unterzuckerungen ansteigen und kann bei den schwerkranken Patienten das Sterblichkeitsrisiko erhöhen.
Neue Erkenntnisse liefert hierzu eine multinationale Studie, deren Ergebnisse jetzt im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden: In die NICE-SUGAR Studie (‘Normoglycemia in Intensive Care Evaluation-Survival Using Glucose Algorithm Regulation’) schlossen die Wissenschaftler aus Neuseeland, Australien und Nordamerika über 6.000 Diabetespatienten ein.
Das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer betrug rund 60 Jahre. Bei etwas mehr als 90% war ein Typ 2 Diabetes und bei den restlichen Teilnehmern ein Typ 1 Diabetes bekannt. Alle Patienten hatte man innerhalb der letzten 24 Stunden aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung oder Komplikation auf eine Intensivstation eingeliefert, mehr als 90% mussten hier künstlich beatmet werden. Die kritisch kranken Patienten wurden randomisiert in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine intensivierte Gruppe, in der Blutzuckerwerte zwischen 81 und 108 mg/dl (4,5 bis 6,0 mmol/l) angestrebt wurden (3.010 Patienten), und eine konventionelle Gruppe mit Glukosezielwerten von 180 mg/dl (10,0 mmol/l) oder darunter (3.012 Patienten). Um die genannten Werte zu erreichen, wurde größtenteils Insulin in unterschiedlichen Dosierungen gespritzt. Am Ende unterschieden sich die Blutzuckerwerte zwischen beiden Gruppen um durchschnittlich 29 mg/dl und lagen im Mittel bei 115 mg/dl (6,4 mmol/l) in der intensiviert behandelten sowie bei 144 mg/dl (8,0 mmol/l) in der konventionellen Gruppe. Entsprechend der strengeren Glukosekontrolle traten in der intensivierten Gruppe deutlich häufiger schwere Unterzuckerungen auf: Insgesamt waren hier 6,8% der Patienten betroffen, im Vergleich zu 0,5% in der Gruppe mit den höheren Durchschnitts-Blutzuckerwerten. Als schwere Unterzuckerungen wurden Glukosewerte von 40 mg/dl (2,2 mmol/l) oder darunter bewertet.
Ziel der Wissenschaftler war herauszufinden, ob es zwischen beiden Gruppen Unterschiede beim Sterblichkeitsrisiko gab. Das Ergebnis: In der intensivierten Gruppe verstarben innerhalb von 90 Tagen nach Einlieferung auf der Intensivstation insgesamt 829 Diabetiker (27,5%). Bei den Studienteilnehmern mit der weniger strengen Glykämiekontrolle gab es 751 Todesfälle (24,9%) – und damit weniger als bei den Patienten mit der intensiveren Blutzuckertherapie. Dieser Unterschied zwischen beiden Gruppen erreichte statistische Signifikanz (p = 0,02) und veränderte sich auch nach dem Herausrechnen anderer möglicher Einflussfaktoren nicht.
Das FAZIT der NICE-SUGAR Studiengruppe: Es gibt Hinweise, dass sich eine zu strenge Blutzuckerkontrolle bei kritisch kranken Patienten auf der Intensivstation im Gesamtresultat negativ auswirken und die Überlebenswahrscheinlichkeit einschränken kann. Dieses Resultat steht teilweise im Widerspruch zu Ergebnissen früherer Untersuchungen. Die Nutzen und Risiken der intensivierten Blutzuckerkontrolle bei dieser speziellen Patientengruppe müssen daher weiter diskutiert und sorgfältig abgewogen werden.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin von Diabetes-Deutschland.de
Quelle: The NICE-SUGAR Study Investigators. Intensive versus Conventional Glucose Control in Critically Ill Patients. N Engl J Med 2009; 360: 1283-97
Hier geht es zum Expertenkommentar (Frau Prof. Kellerer, Stuttgart)