Erbliche Veranlagung für Typ 2 Diabetes: Neue Genvariante entdeckt
(12.04.2006) Der Diabetes mellitus Typ 2 ist eine typische Erkrankung unserer „Wohlstandsgesellschaft“: Übergewicht (vor allem im Bauchbereich), mangelnde Bewegung und unausgewogene Ernährung zählen zu den wichtigsten Gründen, warum immer mehr – und immer jüngere – Menschen an der gefährlichen Stoffwechselstörung erkranken. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille: Auch die Vererbung spielt eine Rolle, denn nicht jeder Übergewichtige entwickelt automatisch eine Diabeteserkrankung. Erst wenn verschiedene Komponenten zusammentreffen – erbliche Veranlagung und entsprechender Lebensstil – kommt die Erkrankung zum Ausbruch.
Außer Lebensstil spielt bei Typ 2 Diabetes auch geneti- sche Veranlagung eine Rolle
Bisher geht die Diabetesforschung davon aus, dass an der Veranlagung für einen Typ 2 Diabetes eine ganze Reihe von Genen aus dem Erbgut beteiligt sind. Das machte es bisher auch so schwierig, allein anhand genetischer Untersuchungen das Risiko für eine spätere Diabeteserkrankung zu erkennen. Vor kurzem ist einem internationalen Forscherteam eine wichtige Entdeckung gelungen: Wissenschaftler des Unternehmens deCode Genetics haben eine Genvariante auf dem Chromosom 10 entschlüsselt, die vermutlich für mehr als 20 Prozent aller Typ 2 Diabetesfälle verantwortlich ist. Das isländische Unternehmen ist darauf spezialisiert, genetische Hintergründe verschiedener Krankheitsbilder zu untersuchen: Die Ergebnisse zum Typ 2 Diabetes wurden erstmals Anfang des Jahres in der internationalen Fachzeitschrift Nature Genetics veröffentlicht.
Die Forscher um Kari Stefansson untersuchten zunächst das Erbmaterial von Bewohnern der Insel Island. Bei Personen mit einem Typ 2 Diabetes fanden sie überdurchschnittlich häufig Veränderungen auf dem Chromosom 10, und zwar im sogenannten TCF7L2-Gen. Bei weiteren Studien in den USA und in Dänemark bestätigte sich, dass die TCF7L2-Genvariante mit einem deutlich erhöhten Risiko für einen Typ 2 Diabetes einhergeht. Die Veränderungen im TCF7L2-Gen scheinen sehr weit verbreitet zu sein: Hochrechnungen ergeben, dass 38 Prozent der Bevölkerung in den USA heterozygote und weitere 8 Prozent homozygote Träger der Genvariante sind. Kommen entsprechende Umweltfaktoren wie der Lebensstil hinzu, entwickeln diese Personen mit großer Wahrscheinlichkeit einen Typ 2 Diabetes. Insgesamt hatten homozygote Träger (= beide genetische Anlagen von Vater und Mutter sind verändert) ein um 140 Prozent erhöhtes Risiko, an einem Typ 2 Diabetes zu erkranken. Bei den heterozygoten Trägern (= eine der beiden Erbanlagen von Vater oder Mutter ist entsprechend verändert) betrug die Risikoerhöhung immerhin noch 45 Prozent im Vergleich zu Personen ohne diese Genvariante.
Von den neuen Forschungsergebnissen versprechen sich die Wissenschaftler einiges. Möglicherweise lassen sich daraus neue Erkenntnisse für die Diabetes-Behandlung ableiten. Auf jeden Fall soll ein Gentest entwickelt werden, mit dem sich die genetische Variante frühzeitig feststellen lässt: Wer um die erbliche Veranlagung weiß, kann durch Anpassen von Lebensstil und Körpergewicht einem Ausbruch der Erkrankung rechtzeitig gegensteuern.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin der Deutschen Diabetes-Klinik des Deutschen Diabetes-Zentrums an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung
Quelle: Grant SFA et al. Variant of transcription factor 7-like 2 (TCF7L2) confers risk of type 2 diabetes. Nat Genet 2006; 38: 320-323 |