Die Fingerbeere ist der wohl beliebteste Ort der Kapillarblut-Entnahme. Als Tastorgan ist diese jedoch besonders gut mit Nerven versorgt, so dass der Einstich dort schmerzhafter ist als an Körperstellen, wo weniger sensible Nervenenden anzutreffen sind (z.B. Unter-/Oberarm, Bauch, Unter-/Oberschenkel). Im Bestreben den Stichschmerz zu verringern, wurde schon seit langem erwogen, auch Blut an diesen, sogenannten alternativen Körperstellen entnehmen. Allerdings ist die zu gewinnende Menge an Blut dort deutlich geringer als an der Fingerbeere. Mit der in den letzten Jahren einsetzenden Entwicklung von Blutzucker-Messgeräten, welche mit nur 0.3 - 2.6 µl Blut (entspricht weniger als z.B. einem Stecknadelkopf) auskommen, wurde schließlich die kapilläre Blutzucker-Bestimmung an den alternativen Körperstellen praktikabel. Folglich erhielt Ende 1998 der erste Hersteller eine Zulassung zum Blutzucker-Monitoring an alternativen Körperstellen von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Federal Drug Administration). Derzeit bieten die meisten namhaften Hersteller ein Gerät für das Messen an alternativen Körperstellen an (nähere Informationen bei den Herstellern).
Bisherige Untersuchungs-Ergebnisse:
Wie erwartet, konnte in Studien belegt werden, dass die kapilläre Blutentnahme an Unterarm im Durchschnitt weniger Schmerzen bereitet als an der Fingerbeere (1-3). Die Messgenauigkeit der Systeme wurde natürlich auch untersucht und als durchaus vergleichbar mit den Ergebnissen der Fingerbeere gewertet. Überraschenderweise konnte unsere Gruppe am Deutschen Diabetes-Forschungsinstitut in einer standardisierten Untersuchung (4) erhebliche Differenzen zwischen Blutzuckerwerten am Unterarm und Finger feststellen, und zwar dann, wenn sich der Blutzucker besonders schnell änderte (Veränderung um mehr als 100 mg/dl pro Stunde). Bei diesen schnellen Blutzucker-Veränderungen hinkt der kapilläre Blutzucker am Unterarm um durchschnittlich eine halbe Stunde hinterher. Dadurch ist der Blutzucker am Unterarm während eines raschen Blutzucker-Abfalls höher als die entsprechenden Werte an der Fingerbeere (s. auch Abbildung). Unterschiede von über 100 mg/dl wurden z.T. beobachtet.
Eine gefährliche Konsequenz stellt dabei die mögliche Verkennung von Unterzuckerungen dar. So war in unserer Untersuchung zum Zeitpunkt des ersten am Finger gemessenen erniedrigten (hypoglykämischen) Blutzuckerwertes (in unserer Studie mit kleiner oder gleich 60 mg/dl definiert) der Unterarm-Blutzucker noch bis zu 159 mg/dl erhöht.
Trotz deutlicher Unterschiede während rascher Blutzuckerveränderungen, sind in stabilen Phasen, die Blutzuckerwerte am Unterarm durchaus mit den Werten am Finger vergleichbar.
Diskussion:
Das beobachtete Phänomen lässt sich wie folgt beschreiben:
(a) Stabile Blutzucker-Phasen:
Nahezu identische Blutzuckerwerte zwischen Unterarm und Finger.
(b) Phasen schneller Blutzucker-Veränderung:
Deutlich differente Blutzuckerwerte am Unteram gegenüber Fingerbeere Dieses Phänomen wurde nachfolgend von anderen Forschergruppen im Prinzip bestätigt (5-7).
Es gibt einige Hinweise dafür, dass die beobachteten Blutzucker-Differenzen direkt mit prinzipiellen Unterschieden der oberflächlichen Durchblutung von Fingerbeere und Unterarm (und anderen Hautarealen) zusammenhängt. Das zum Teil empfohlene Reiben der Hautstelle unmittelbar vor Einstich stellte sich in unseren Untersuchungen als zu unzuverlässig heraus, als dass man dieses generell empfehlen könnte.
Weitere Forschung zu den genauen Ursachen ist aber derzeit noch nötig. Ebenso fehlen derzeit abschliessende Untersuchungen zu anderen Hautstellen (Handinnenfläche: Daumenballen/Kleinfingerballen; Oberarm, Bauch, Ober- und Unterschenkel), auf deren Ergebnisse man gespannt sein kann.
Empfehlungen:
Auf Basis der bisher veröffentlichten Erkenntnisse lässt sich abschiessend folgendes feststellen:
- Blutzuckermessungen am Unterarm sind eine sinnvolle, weil schmerzarme Alternative zur Blutzuckermessung an der Fingerbeere.
- Eine Beschränkung auf Momente mit stabilen Blutzuckerwerten (z.B. Nüchternzustand, 3-4 Stunden nach der letzten Mahlzeit) ist zur Zeit sinnvoll.
- Blutzuckermessungen sollten weiterhin an der Fingerbeere erfolgen, wenn die Möglichkeit von schnellen Blutzuckerveränderungen nicht ausgeschlossen werden kann (z.B. 1-2 Stunden nach Mahlzeiten, bei/nach intensiver körperlicher Aktivität).
- Soll mittels der Messung eine Unterzuckerung ausgeschlossen werden, sollte der Blutzucker stets an der Fingerbeere gemessen werden.
P.S. : Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass die intensive Forschung auf diesen Gebiet gerade erst begonnen hat. Mit neuen Erkenntnissen ist eine Anpassung und Detaillierung der Empfehlung jederzeit denkbar!
Ausserdem ist nochmals zu betonen, dass alles darauf hinweist, dass den Beobachtungen ein natürliches (physiologisches), von der speziellen Hautstelle abhängiges, Phänomen zugrunde liegt. Die untersuchten Messgeräte funktionieren technisch einwandfrei und sind alle auch für die Blutzuckerbestimmung an der Fingerbeere geeignet. Daher ist selbstverständlich die Einhaltung unserer Empfehlungen mit der Benutzung der neuen Blutzuckermessgeräte vereinbar und sinnvoll.
Autoren: Karsten Jungheim (Assistenzarzt), Prof. Dr. med. Theodor Koschinsky (Oberarzt); Deutsches Diabetes-Forschungsinstitut Düsseldorf
Literatur:
1. Cunningham DD, Henning TP, Shain EB, Young DF, Elstrom TA, Taylor EJ, Schroder SM, Gatcomb PM, Tamborlane WV: Vacuum-assisted lancing of the forearm: an effective and less painful approach to blood glucose monitoring. Diabetes Technology & Therapeutics 2(4): 541-548, 2000.
2. Feldman B, McGarraugh G, Heller A, Bohannon N, Skyler J, DeLeeuw E, Clarke D: FreeStyle™: a small sample electrochemical glucose sensor for home blood glucose testing. Diabetes Technology & Therapeutics 2(2): 221-229, 2000.
3. Fineberg SE, Bergenstal RM, Bernstein RM, Laffel LM, Schwartz SL: Use of an automated device for alternative site blood glucose monitoring. Diabetes Care 24(7): 1217-1220, 2001.
4. Jungheim K, Koschinsky T: Risky delay of hypoglycemia detection by glucose monitoring at the arm. Diabetes Care 24(7): 1303-1304, 2001.
5. McGarraugh G: [Response to Jungheim and Koschinsky: Glucose monitoring at the arm. In: Diabetes Care 24:1303-1304]. Diabetes Care 24(7): 1304-1306, 2001.
6. Ellison J, Stegmann J, Ervin K, Horwitz D: Arm and thigh capillary blood glucose as alternatives to fingertip sampling in the management of diabetes (Abstract). Diabetes 50(Suppl.2)A111, 2001.
7. McGarraugh G, Price D, Schwartz S, Weinstein R: Physiological Influences on off-finger glucose testing. Diabetes Technology & Therapeutics 3(3): 367-376, 2001.
Autoren:
Karsten Jungheim ist Assistenzarzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe von Professsor Dr. Theodor Koschinsky (AG für Stoffwechsel-Monitoring) am Deutschen Diabetes-Forschungsinstut in Düsseldorf (Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. W.A. Scherbaum). Die Arbeitsgruppe für Stoffwechsel-Monitoring beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit der Erforschung und Evaluation von Mess-Systemen zum Stoffwechsel-Monitoring im Blut und anderen Kompartimenten (invasiv/nicht-invasiv; Einzelpunkt-/kontinuierliche Verfahren).
Prof. Dr. T. Koschinsky ist Oberarzt am Deutschen Diabetes-Forschungsinstut in Düsseldorf und Mitglied folgender Ausschüsse der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG): Diabetologie in Praxis und Poliklinik; Dokumentation, Qualitätssicherung und Informationstechnologie.
Redaktion: Dr. med. M. Stapperfend, Prof. Dr. med. W. Scherbaum
Der vorliegende Text wurde inhaltlich zuletzt im Dezember 2001 aktualisiert