Schwerpunkt Insulintherapie
In Deutschland leben nach Schätzungen mehr als 6 Millionen Menschen mit einem Diabetes mellitus. Neben einer guten Schulung und Ausbildung des Patienten verbunden mit den modernen Möglichkeiten der Blutzuckerselbstkontrolle und dem Wissen um eine gesunde Ernährung ist die medikamentöse Therapie des Diabetes mellitus ein wichtiger Baustein im Gesamtbehandlungskonzept
Prof. Dr. med. Thomas Jürgen Haak, Chefarzt Diabetes Zentrum Mergentheim
Hier eine Übersicht über diesen Artikel:
In Deutschland leben nach Schätzungen mehr als 6 Millionen Menschen mit einem Diabetes mellitus. Neben einer guten Schulung und Ausbildung des Patienten verbunden mit den modernen Möglichkeiten der Blutzuckerselbstkontrolle und dem Wissen um eine gesunde Ernährung ist die medikamentöse Therapie des Diabetes mellitus ein wichtiger Baustein im Gesamtbehandlungskonzept.
Für Menschen mit Typ 1-Diabetes ist Insulin das einzige Medikament zur Blutzuckersenkung. Aber auch zahlreiche Typ 2-Diabetiker profitieren von einer rechtzeitigen und wohlabgestimmten Insulinbehandlung.
Beim Typ 1-Diabetiker ersetzt die Zufuhr von Insulin die fehlende Insulinproduktion des eigenen Körpers.
Beim Typ 2-Diabetiker hat Insulin die Aufgabe, nicht etwa körpereigenes Insulin zu ersetzen, sondem vielmehr die körpereigene Insulinproduktion zu ergänzen. Gerade bei diesem Diabetestyp stellt Insulin einen Baustein unter vielen möglichen therapeutischen Konzepten dar. Leider wird gerade Patienten mit einem Typ 2-Diabetes mellitus das Insulin oftmals zu lange vorenthalten oder der Patient lehnt die Insulinbehandlung aus Unkenntnis oder durch absichtlich falsch geschürte Ängste ab. Dies kann für den Patienten negative Folgen haben, denn Insulin ist mit Sicherheit eines der besten Diabetesmedikamente überhaupt.
Wie bei jeder anderen Erkrankung auch, gilt es vor Beginn einer jeden Therapie, die Therapieziele festzulegen. Bei den meisten Patienten, aber nicht bei allen, steht die optimale Regulation des Stoffwechsels mit dem Ziel einer möglichst normnahen Blutzuckereinstellung im Vordergrund. Berücksichtigt werden muss in jedem Falle auch das Risiko, Folgeschäden zu entwickeln oder bereits vorhandene Folgeschäden an ihrem Fortschreiten zu hindern. Auch die Lebensqualität und Therapiezufriedenheit sowie die Integration im familiären, beruflichen und sozialen Bereich des Patienten spielen eine wichtige Rolle in der Konzeption einer zeitgemäßen Insulintherapie.
Wenn man bedenkt, dass Insulin vor weniger als 80 Jahren erstmals in die Behandlung der Zuckerkrankheit eingeführt wurde, so hat die Insulintherapie in den vergangenen Jahrzehnten einen dramatischen Fortschritt erlebt. Es wurden nicht nur neue Konzepte, sondem vor allem auch neue Insulinpräparationen vorgestellt, die dem Bedürfnis einer flexiblen und einfachen Insulintherapie mehr denn je gerecht werden. Erst im Jahre 1982 wurde Humaninsulin in die Diabetestherapie eingeführt und tierische Insuline von Schwein oder Rind vertieren für die meisten Patienten fast vollständig an Bedeutung. In den Folgejahren wurden moderne Analog-Insuline mit besseren Eigenschaften als Humaninsulin entwickelt und stehen heute als schnelle InsulinAnaloga (Humalog® und NovoRapid®) oder als Langzeit-Insulin (Lantus®) zur Verfügung. Mit den vorhandenen Insulinen lassen sich verschiedene therapeutische Schemata erarbeiten, die jedem Patienten eine ihm quasi auf den Leib geschneiderte Insulintherapie ermöglichen. Dabei sind verschiedene therapeutische Konzepte im Gebrauch.
Für den Typ 1-Diabetes ist dies in erster Linie die intensivierte Insulintherapie bzw. die Insulinpumpentherapie.
Für den Typ 2-Diabetiker ist es die Kombinationstherapie aus Insulin und Tabletten bzw. die Gabe von schnellem Insulin zu den Mahlzeiten mit und ohne Verwendung eines Basis-Insulins vor dem Zubettgehen.
Bei fast jedem Patienten mit einem Insulinmangel-Diabetes ist aufgrund der Lebenserwartung bei den zumeist jüngeren Patienten eine intensivierte Insulintherapie die Regel. Eine intensivierte Insulintherapie hat das Ziel, die basale lnsulinversorgung zum einen zu gewährleisten und Kohlenhydrate in Abhängigkeit von der Menge und vom Zeitpunkt der Aufnahme mit schnell wirksamem Insulin abzudecken. Dabei lassen sich unerwünscht hohe oder niedrige Blutzuckerspiegel einfach und effektiv korrigieren.
Abb.1 : Intensivierte Insulintherapie
Verschweigen darf man allerdings nicht, dass eine intensivierte Insulintherapie mit dem Ziel einer normnahen Einstellung auch bestimmter Voraussetzungen bedarf. Zu diesen gehört eine gute Schulung und der sichere Umgang mit Nahrungsmitteln ebenso wie regelmäßige Selbstkontrollen. Der Erfolg einer intensivierten Insulintherapie ist im großen Maße davon abhängig, wie gut ein Patient Kohlenhydrate in der Nahrung erkennen und von der Menge her abschätzen kann. Bei der intensivierten Insulintherapie wird versucht, die mahlzeitenbezogene Kohlenhydratabdeckung von der basalen Insulinversorgung abzutrennen. Dies gelingt allerdings zumeist nur mit einer Insulinpumpentherapie (siehe unten). Bei der intensivierten Insulintherapie wird ein Basis-Insulin in Verbindung mit einem schnell wirksamen Insulin verwendet.
Das Basis-Insulin deckt die Grundversorgung mit Insulin über 24 Stunden ab. Diese ist notwendig, um den Stoffwechsel nicht entgleisen und den Patient in eine Übersäuerung, die sogenannte Azidose, gelangen zu lassen. Aufgrund der ungleichmäßigen Aufnahme einer subkutanen Injektion eines Basal-Insulins in den Blutkreislauf kommt es immer wieder zu Insulinspitzen, die der Körper mehr oder minder gut durch eine körpereigene Regulation mit anderen Hormonsystemen ausgleichen kann. Dieses Problem gilt insbesondere für die NPH-Insuline und weniger für das neue Langzeit-Insulin Lantus®, das eine relativ gleichmäßige Wirkung über 24 Stunden aufweist. Eine ausgewogene Versorgung mit einem Basal-Insulin ermöglicht es dem Patienten, die Aufnahme von Kohlenhydraten bzw. ganzer Mahlzeiten zu verschieben oder gar auszulassen.
Das schnell wirksame Insulin wird unmittelbar vor bzw. in bestimmten Situationen auch nach der Mahlzeit injiziert und fängt den Blutzuckeranstieg nach Aufnahme von Kohlenhydraten ab. Schnelle Insulin-Analoga haben dabei den Vorteil, schneller als Normal-Insuline einen ausreichenden Insulinspiegel im Blutkreislauf zur Verfügung zu stellen. Dies hat in manchen Situationen besondere Vorteile, beispielsweise in Bezug auf den manchmal notwendigen Spritz-Ess-Abstand. Andererseits wirken diese Insuline auch kürzer. Dies bietet bei Aufnahme größerer Kohlenhydratmengen Vorteile in der Vermeidung der sogenannten Späthypoglykämien.
Bei der Neueinstellung auf eine intensivierte Insulintherapie ist unbedingt darauf zu achten, dass der Patient klare Handlungsanleitungen für die richtige Insulindosierung erlernt. Dazu gehört die Vorgabe eines Zielwertes vor den Mahlzeiten, z. B. 100 mg/dl. Liegt der gemessene Blutzuckerwert im gewünschten Bereich, so wird ausschließlich für die mit der Mahlzeit aufgenommene Kohlenhydratmenge Insulin injiziert. Hierzu erhält der Patient sogenannte BE-Faktoren, die vorgeben, wieviel Einheiten Insulin pro Broteinheit (BE) notwendig ist. Nach oben oder unten vom Zielwert abweichende Blutzuckerwerte werden durch Vorgabe sogenannter Korrekturregeln, z. B. +- 1 IE pro gewünschte Blutzuckerveränderung von 30 mg/dl, korrigiert.
Insbesondere ist darauf zu achten, dass Normal-Insulin und Basal-Insulin in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Hat ein Patient nämlich zuviel Basal-Insulin so übernimmt das Basal-Insulin Aufgaben der Kohlenhydratabdeckung zu den Mahlzeiten. Verändert der Patient dann die Menge der aufgenommenen Kohlenhydrate, so wird er einen Über- oder Unterzucker erleben. Bei der Einstellung überprüft man dies durch sogenannte Essensauslassversuche, bei denen gezielt Mahlzeiten ausgelassen und engmaschig der Blutzucker kontrolliert wird. Bei einer ausgewogenen Basal-Insulin-Dosierung wird der Blutzucker weitgehend stabil bleiben.
Die Insulinpumpentherapie bietet gegenüber der intensivierten Insulintherapie Vorteile bei richtiger Anwendung und Indikationsstellung. Hier gelingt es fast vollständig, die basale Insulinversorgung von der mahlzeitenbezogenen Insulingabe zu trennen. Dies ist besonders für solche Patienten vorteilhaff, die einen ausgesprochen geringen Insulinbedarf haben oder für Patienten mit starken Stoffwechselschwankungen.
Abb. 2: Insulinpumpe am Bauch des Trägers
Auch der unerwünschte Blutzuckeranstieg zu den Morgenstunden, das sogenannte Dawn-Phänomen, lässt sich mit der Insulinpumpe erheblich besser als mit der intensivierten Insulintherapie behandeln. Es gibt eine ganze Reihe weiterer Vorteile einer Insulinpumpentherapie, allerdings auch einige Nachteile, beispielsweise der hohe Preis oder der erhöhte technische Aufwand, so dass die Indikation für eine Insulinpumpentherapie sorgfältig zwischen Patient und Behandlern erwägt werden muss.
Der Typ 2-Diabetes mellitus ist durch zwei Veränderungen gekennzeichnet. Zum einen entwickelt sich auf dem Boden einer ungesunden Lebensweise und einer vererbten Anlage eine Insulinresistenz, d. h. ein Insulinwirkverlust. Zeitgleich besteht allerdings auch eine Insulinsekretionsstörung, d. h. die Unfähigkeit mahlzeitengerecht ausreichend Insulin zur Verfügung zu stellen. Im Gegensatz zum Typ 1-Diabetes besteht also kein absoluter Insulinmangel, sondem ein relativer Insulinmangel. Die Therapie des Typ 2-Diabetes besteht aus einer Änderung des Lebensstils, der Gewichtsnormalisierung, einer bedarfsgerechten Ernährungstherapie und schließlich einer Behandlung mit Medikamenten. Viel zu häufig wird der Fehler begangen, die Tabletten bis zur Höchstdosis zu steigern und trotz unzureichender Stoffwechselkontrolle auf Insulin zu verzichten. Viele Patienten haben Bedenken gegen eine Insulintherapie und halten diese für kompliziert, aufwendig und schmerzhaft. Viele Therapeuten hingegen setzen Insulin zu spät ein, weil sie eine Gewichtszunahme unter Insulin befürchten. Hier gilt allerdings der Leitspruch — die Menge macht's. Daher sollte beim Typ 2-Diabetes Insulin gezielt dort eingesetzt werden, wo es fehlt.
Es ist eine bekannte Tatsache, dass ein guter Nüchternblutzucker notwendig ist, um eine gute Stoffwechselkontrolle über den Tag sicherzustellen. Je höher der Nüchternblutzucker ist, desto geringer ist die Insulinantwort auf Kohlenhydrataufnahme.
Abb.3: Lantus® und Amaryl in der Kombinationstherapie
In der Nacht läuft beim Typ 2-Diabetilker aufgrund des relativen Insulinmangels ungehemmt die Zuckerneubildung in der Leber. Dies beschert auch bei normalem Zucker vor dem Zubettgehen hohe Nüchternwerte. Dies kann man sehr effektiv durch die Gabe einer geringen Menge eines Verzögerungs-Insulins vor dem Zubettgehen beheben. Tagsüber ist es dann oftmals ausreichend, die Therapie mit Tabletten oder durch Diätetik und Bewegung zu steuern. Eine solche Vorgehensweise ermöglicht vielen Patienten einen einfachen Einstieg in die Insulintherapie und verhindert das Auftreten von Folgeschäden.
Wie oben bereits erwähnt, besteht bei den Patienten mit einem Typ 2-Diabetes auch eine sogenannte Insulinsekretionsstörung. Daher fehlt es an ausreichend Insulin zu den Mahlzeiten. Zunächst versucht man durch die Gabe von Tabletten die körpereigene Insulinausschüttung anzuregen. Wenn dieser Mechanismus nicht mehr funktioniert, empfiehlt es sich, zu den Mahlzeiten Insulin hinzuzugeben. Hierbei verwendet man Normal-Insulin oder schnelle Insulin-Analoga, die die körpereigene Insulinfreisetzung ergänzen. Daher sprechen manche Mediziner auch von einer sogenannten supplementären Insulintherapie. Dadurch dass der Typ 2-Diabetiker noch ausreichend eigenes Insulin zur Verfügung hat, ist die ergänzende Insulingabe eine sichere Insulintherapie, da therapeutische Unzulänglichkeiten durch die noch vorhandene körpereigene Insulinausschüttung korrigiert werden können. Auch ist das Unterzuckerungsrisiko beim Typ 2-Diabetiker bedeutend geringer als beim Typ 1-Diabetiker; der über keine eigenen Insulinreserven mehrverfügt.
Diese Therapieform wird bei Typ 2-Diabetikern zumeist erst sehr spät notwendig, nämlich dann, wenn die körpereigene Insulinausschüttung über einen jahrelangen Krankheitsverlauf weitgehend zum Erliegen kommt. Dies erkennt man daran, dass auch bei Weglassen der Tablettentherapie keine nennenswerte Blutzuckerverschlechterung auftritt. In diesem Falle ist der Typ 2-Diabetiker auf einen vollständigen Insulinersatz angewiesen. Dies ist bei den meisten Patienten erst sehr spät der Fall und bedarf dann einer sorgfältigen Neueinstellung.
Zusammengefasst kann man mit Recht behaupten, dass die Insulintherapie in Deutschland für jeden Patienten die Möglichkeit bietet, seinen Diabetes optimal einzustellen. Mit Insulin in der Hand des erfahrenen Therapeuten und in Verbindung mit einer guten Diabetesbetreuung lässt sich für jeden Patienten eine Insulintherapie maßschneidem, die seinen täglichen Bedürfnissen ebenso wie einer guten Blutzuckereinstellung gerecht wird.
Prof. Dr. med. Thomas Haak; Dipl.- oec. troph. Kerstin Bayer-Pörsch ; Diabetes Zentrum Mergentheim
Erstellt: März 2002 Aktualisiert: Januar 2003 |