Injektionssystem ohne Nadel
(17.01.2000) Insulintherapie ohne Spritze - dies ist möglich mit dem kürzlich zugelassenen Hochdruck Injektor INJEX (TM). Informationen und Meinungen zum neuen Gerät.
Es ist keine neue Idee, ein Medikament mit Hochdruck ohne Nadel unter die Haut zu bringen. Vor allem in den USA werden solche Geräte seit Jahrzehnten für die Insulinbehandlung eingesetzt. Hoher Preis, Unhandlichkeit und Probleme bei der Anwendung schränkten allerdings die Verbreitung ein. Die Firma Rösch GmbH Medizintechnik, Berlin, hat nun für Deutschland die Zulassung eines in den USA bereits eingeführten Gerätes erhalten, das eine zuverlässige Insulinbehandlung erlauben soll. Deutsche Diabetologen hatten bisher erhebliche Vorbehalte gegen eine Hochdruckinjektion von Insulin.
Es folgt ein Interview mit dem Ärztlichen Direktor des Deutschen Diabetes-Forschungsinstituts an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Professor Dr. med. Werner Scherbaum, zum Injektionssystem ohne Nadel:
Redaktion: "Herr Professor Scherbaum, mit dem nun zugelassenen INJEXT(TM)-System kann tatsächlich Insulin ohne Nadel zugeführt werden. Sogar Mischungen sind möglich. Wo sehen Sie die Vorteile des neuen Systems?"
Professor Dr. W. Scherbaum: "Die Vorteile für den Insulin spritzenden Diabetiker sind eher fraglich. Die Angst vor der Spritze wird sehen wir einmal von kleinen Kindern ab - allenfalls von solchen Menschen angegeben, die noch keine Erfahrung damit haben. Nach der ersten Injektion wird dann aber meist mit Überraschung berichtet, dass es ja überhaupt nicht weh getan hat. Tatsächlich kenne ich kaum einen Insulin spritzenden Diabetiker, der sich durch den Schmerz bei der Nadelinjektion belästigt fühlen würde. Die heutigen feinen, gut geschliffenen Injektionsnadeln machen das ja möglich.
Redaktion: "Dann muß jetzt also nicht gleich jeder seinen Insulin-Pen umtauschen?"
Professor Dr. W. Scherbaum: "Die InsulinPens haben immer noch erhebliche Vorzüge gegenüber dem nadelfreien Injektionssystem. Während ein Pen mit Nadel ohne jedes weitere Zubehör auskommt, muß man für das nadelfreie System außer dem Injektor noch weitere Gerätschaften mit sich führen: die Resetbox zum Spannen der Feder, die sterile Einmalampulle und den Adapter, der zum Aufziehen des Insulins benötigt wird."
Redaktion: "Ist sichergestellt, dass das Insulin in die richtige Gewebsschicht gelangt?"
Professor Dr. W. Scherbaum: "Es wird zwar angegeben, daß das Insulin in das Unterhautfettgewebe und nicht in den Muskel gelangt. Im Gegensatz zu den Injektionsnadeln, bei denen es verschiedene Längen gibt, hat man jedoch mit dem nadelfreien Injektionssystem keine Möglichkeit, die Injektionstiefe individuell an die Dicke des eigenen Fettpolsters anzupassen. Vor allem bei Patienten mit sehr dünnem Unterhautfettgewebe wird man also zunächst sehr genau die Insulinwirkung beobachten müssen.
Redaktion: "Hier sehen Sie also noch Forschungsbedarf. Gibt es für Sie weitere offene Fragen?"
Professor Dr. W. Scherbaum: "Oh ja! Zum Beispiel, ob
- das mit Hochdruck verabreichte Insulin genauso wirkt, wie wir es bisher gewohnt sind,
- die Struktur des Insulins durch die Hochdruckinjektion verändert wird,
- im täglichen Einsatz wirklich die gesamte Dosis unter die Haut gelangt oder ob manchmal - wie bei älteren ausländischen Systemen - ein Teil seitlich weg spritzen kann.
Hierzu sind unbedingt gezielt klinische Untersuchungen erforderlich, um den Patienten sichere Anweisungen für ihre Insulinbehandlung geben zu können."
Redaktion: "Wie sieht es mit der schmerzfreien Anwendung aus?"
Professor Dr. W. Scherbaum: "Wenn auch das Prinzip der nadelfreien Injektion für den Laien zunächst sehr attraktiv erscheint - so ganz ohne Verletzung und nicht spürbar geht es doch nicht."
Redaktion: "Und ist der Gebrauch einfacher als bei einer Injektion mit Pen?"
Professor Dr. W. Scherbaum: "Die Handhabung ist eher komplizierter wegen des vielen Zubehörs. Und da die Wirksamkeit des mit Druckluft injizierten Insulins Fragen offenläßt, kann das neue Injektionssystem die üblichen Insulinspritzen oder gar die Pens derzeit noch nicht ersetzen."
Quelle: Auszug aus einem Interview mit Prof. Dr. W. Scherbaum im "Diabetiker Ratgeber" S.24-30 Ausgabe Dezember 1999 |