Ein wichtiges Antidiabetikum kommt in den Festbetrag: Nachdem vor vielen Jahren eine große Studie (DDCT) bei Typ 1 Diabetikern die Bedeutung einer guten Diabeteseinstellung mit normnahen Blutzuckerwerten gezeigt hat, konnte dies für den Typ 2 Diabetiker durch die UKPDS (United Kingdom Prospective Diabetes Study) bekanntlich ebenfalls belegt werden. Das wichtigste Ergebnis – normnahe Blutzucker- und HbA1c-Werte lohnen sich! – wurde dabei ergänzt durch weitere wichtige Befunde.
So konnte gezeigt werden, dass – eine gute Diabeteseinstellung vorausgesetzt – die Therapie mit oralen Antidiabetika die Initialbehandlung der Wahl darzustellen hat und dass für die wichtigsten oralen Antidiabetika – wie Sulfonylharnstoffe, Metformin und Acarbose – keine gravierenden Nebenwirkungen bestehen. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass der aufgrund obsoleter früherer Studien (UGDP) geäußerte Verdacht, dass Sulfonylharnstoffe, aber auch Biguanide, kardiovaskuläre Schäden verursachen können, sich überhaupt nicht bestätigen ließ.
Für die also besonders wichtige Tablettentherapie des Typ 2 Diabetes kommen nichtinsulinotrope und insulinotrope Substanzen in Betracht. Der Insulinresistenz entgegen wirken Metformin, die Glitazone und in Grenzen auch Acarbose, während bei den insulinotropen Substanzen die Glinide und vor allem die seit Jahrzehnten bewährten Sulfonylharnstoffe im Vordergrund stehen. Glimepirid (Amaryl) als einziger Sulfonylharnstoff der sogenannten dritten Generation weist gegenüber Glibenclamid und älteren Sulfonylharnstoffen verschiedene bedeutsame Vorteile auf. Die Substanz wirkt sowohl betazytotrop mit einer Verstärkung der Insulinsekretion als auch – geringer ausgeprägt – extrapankreatisch und hat eine hohe Bindungs- bzw. Dissoziationsgeschwindigkeit mit seinem Membranprotein.
Man nimmt an, dass diese charakteristisch hohe Austauschrate des Glimepirid für den ausgeprägten Effekt auf die Glucoseempfindlichkeit verantwortlich ist und die B-Zelle vor Verlust der Ansprechbarkeit und frühzeitiger Erschöpfung schützt. Im Vordergrund steht also die physiologisch angepasste Insulinsekretion und die damit einhergehende Sicherheit der Therapie. Bei Glimepirid handelt es sich um das erste Präparat überhaupt, das mit einer einmaligen Dosis von ein bis drei (vier) Milligramm morgens erfolgreich verabreicht werden kann.
Die im ersten Jahr nach der Einführung von Glimepirid in Deutschland ermittelte durchschnittliche Tagesdosis betrug 2,2 Milligramm. Interessant - und wohl in Zusammenhang mit der geringeren insulinotropen Wirkung zu sehen - ist die Feststellung, dass es unter Glimepirid (ganz im Gegensatz zu der sonst bekannten Sulfonylharnstoffwirkung) nicht zur Gewichtszunahme, sondern sogar zur eindeutigen Reduzierung des Körpergewichts besonders bei übergewichtigen Diabetikern kommen kann. Hier gilt wie für Acarbose und Metformin: Schon die Tatsache einer fehlenden Gewichtszunahme wäre eine gute Ausgangssituation für die Langzeittherapie des Typ 2 Diabetes. Die Verträglichkeit der Substanz ist hervorragend, die Toxizität kann praktisch vernachlässigt werden. Dies gilt vor allem für die geringere Hypoglykämieneigung im Vergleich zu Glibenclamid, bei dem ja nicht selten schwere Unterzuckerungen auftreten. Diese Vorteile des Glimepirid sind besonders bei älteren und alten Patienten bedeutsam, bei denen die gefürchteten Glibenclamid-induzierten Hypoglykämien eine unheilvolle Rolle spielen. Sehr bedeutsam ist, dass bei körperlicher Tätigkeit unter Glimepirid - im Gegensatz zu anderen Sulfonylharnstoffen - deutlich erniedrigte C-Peptid- und Insulinspiegel beobachtet werden: Wiederum ein günstiger, gleichsam physiologischer Effekt zur Vermeidung sonst drohender Hypoglykämien. Der blutzuckersenkende Effekt, der dem des Glibenclamid annähernd entspricht, tritt schneller ein und hält länger an. Dies ist eine ideale Konstellation für ein orales Antidiabetikum.
Man darf sagen, dass durch den einzigen Sulfonylharnstoff der dritten Generation - das Glimepirid - eine „Wachablösung“ auf der ganzen Linie stattfindet. Die neue Substanz hat zu viele Vorteile, als dass man Einstellungen mit den alten Sulfonylharnstoffpräparaten noch vornehmen sollte. Als Indikationen für Glimepirid schälen sich heraus:
- Mitunter erste medikamentöse Therapie beim normalgewichtigen Typ 2 Diabetes (das sind jene 10 bis 20% der Typ 2 Diabetiker, die keine Insulinresistenz und keine Hyperinsulinämie aufweisen), falls nicht - wie zumeist - eine sofortige Einstellung auf Insulin erfolgt.
- Früher Einsatz von Glimepirid, wenn mit Acarbose, Metformin oder Glitazonen keine optimale Stoffwechsellage bei sehr übergewichtigen Patienten erreicht werden kann.
- Ersteinsatz von Glimepirid nach den häufig langen Intervallen zwischen Manifestation und Diagnose des Typ 2 Diabetes und damit bereits bei fortgeschrittenem endogenen Insulinmangel.
- Ersatz aller bisherigen Sulfonylharnstoffe durch Glimepirid wegen des günstigen Wirkungsmechanismus, der Einmaldosis und der geringen Nebenwirkungen der Substanz.
- Kombinationen mit allen bisher im Handel befindlichen nicht-insulinotropen Antidiabetika (insbesonders Metformin, das in der UKPDS-Studie hervorragend abschnitt), wie es sich auch als Initialtherapie bei fortgeschrittenem endogenen Insulinmangel (siehe 3.) anbietet.
- Kombination mit Insulin in derselben Situation oder bei Spätversagen der alleinigen Tablettentherapie , womit die Insulindosis um ca. 40% reduziert werden kann.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Therapie des Typ 2 Diabetes liegt in der aus der UKPDS gewonnenen Erkenntnis, dass eine Monotherapie in fast allen Fällen keine langfristigen Erfolge verspricht. Die Kombination verschiedener Wirksubstanzen ist im Therapieschema frühzeitig erforderlich, wobei die Eigenschaften von Glimepirid dieses Medikament zu einem idealen Kombinationspartner für andere orale Antidiabetika, aber auch für Insuline macht: Gelingt es doch, z. B. unter suboptimaler Dosierung verschiedener Substanzen, die Nebenwirkungen zu minimieren und die Hauptwirkung durch die additive Blutzuckersenkung zu maximieren. Gerade auch für die Kombinationen „Glitazone plus Glimepirid“ sowie „Metformin plus Glimepirid“ bestehen keine Einwendungen, wenn die Kontraindikationen, die insbesondere für Metformin existieren, beachtet werden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auf der Basis gesicherter Erkenntnisse über die Pathogenese des Typ 2 Diabetes und aufgrund der Erfahrungen der UKPDS-Studie eine gezielte optimale Therapie des Typ 2 Diabetes möglich ist. Als Sulfonylharnstoff bietet sich hierfür insbesondere das Glimepirid (Amaryl) an, das auch für die Kombinationstherapie mit anderen oralen Antidiabetika oder mit Insulin hervorragend geeignet ist. Da Glimepirid 2005 in den Festbetrag kommt, sind Einwände seitens der Kassen wegen des bisher (geringfügig!) höheren Preises als Glibenclamid kaum noch zu erwarten.
Prof. Dr. Hellmut Mehnert
Institut für Diabetesforschung
Kölner Platz 1
80804 München
Stand: August 2005