Diabetestherapie mit Stammzellen: Aktueller Stand und Perspektiven
Große Fortschritte in dem Bereich der Stammzellforschung in den vergangenen Jahren geben Anlass zu berechtigter Hoffnung, dass sich in Zukunft aus Stammzellen insulinproduzierende Betazellen herstellen lassen. Damit böte sich eine vollkommen neue Behandlungsoption für Menschen mit Typ 1 Diabetes und Menschen mit insulinpflichtigem Typ 2 Diabetes.
Prof. Dr. med. Jochen Seißler, Schwerpunktleiter der Diabetologie, Medizinische Klinik - Innenstadt, LMU München
In Deutschland sind momentan 5-6% der Bevölkerung an einem Diabetes mellitus erkrankt. In den nächsten 20 Jahren wird sich die Zahl der Diabetiker wahrscheinlich mehr als verdoppeln. Obwohl durch die Einführung moderner Therapiekonzepte die Behandlung des Diabetes mellitus in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert werden konnte, besitzen Diabetikern aufgrund chronisch erhöhter Blutzuckerwerte bzw. Blutzuckerspitzen nach dem Essen ein deutlich erhöhtes Risiko schwere Folgeerkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall, Erkrankungen des Auges, der Nieren und des Nervensystems) zu entwickeln. Diese Erkrankungen führen zu einer erheblichen Verminderung der Lebensqualität, zu einer deutlichen Erhöhung der Mortalität und einer enormen Belastungen für unser Gesundheitssystem. Aufgrund dessen werden dringend bessere Behandlungsformen benötigt.
Um den Typ 1 Diabetes zu heilen, wäre es notwendig, dem Körper neue funktionsfähige insulin-produzierende Zellen (Beta-Zellen) zuzuführen. Dieses Konzept ist belegt durch den Nachweis der Stoffwechselnormalisierung nach Transplantation des gesamten Pankreasorgans oder von aus dem Pankreas von Organspendern isolierten Beta-Zellen. Allerdings müssen die Patienten nach der Transplantation immunsupprimierende Medikamente einnehmen, die mit teils schweren Nebenwirkungen verbunden sind. Darüber hinaus ist die Zahl der verfügbaren Spenderorgane viel zu gering, um die große Zahl der Diabetiker behandeln zu können.
Quellen für die Zelltherapie
Der Einsatz von Zellersatztherapien hat in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen der Medizin enorme Fortschritte gemacht. Jüngste Erfolge auf dem Gebiet der Stammzellforschung haben machen auch berechtigte Hoffnung, dass in Zukunft insulinproduzierende Zellen aus Stammzellen für die Transplantation hergestellt werden können. Stammzellen sind unreife Vorläuferzellen des Körpers, welche die Fähigkeit besitzen, sich selbst zu vermehren und deren Tochterzellen sich zu ausgereiften, voll funktionsfähigen Körperzellen entwickeln können. Prinzipiell muss man zwischen den so genannten embryonalen und den adulten Stammzellen zu unterscheiden. Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) können aus der inneren Zellmasse des frühen Embryos, der Blastozyste, isoliert werden. Von besonderem Vorteil ist, dass ES-Zellen sich in der Zellkultur in nahezu unbegrenzter Menge vermehrten lassen und pluripotente Fähigkeiten besitzen, d.h. aus diesen Zellen können im Prinzip alle Zelltypen des Körpers entstehen. Allerdings bestehen ethische Bedenken bei der Verwendung von humanen ES-Zellen für die Zelltherapie beim Menschen.
Die ethische Problematik könnte mit adulten Stammzellen gelöst werden. Die adulten Stammzellen sind Vorläuferzellen, die in verschiedenen Geweben des Körpers auch noch im Erwachsenenalter vorkommen und das Potenzial besitzen sich in bestimmte Körperzellen weiterzuentwickeln. Bei der Verwendung von adulten Stammzellen bestände eventuell die Möglichkeit die Zellen direkt vom Patienten zu gewinnen, so dass nach der Retransplantation auf die nebenwirkungsreiche Immunsuppression verzichten werden könnte (insulinpflichtiger Typ 2 Diabetes) oder eine deutlich reduzierte Dosis verwendet werden könnte (Verhinderung der Reaktivierung des Autoimmunprozesses beim Typ 1 Diabetes). Momentan ist aber noch unklar, ob die adulten Stammzellen ausreichend vermehrt werden können und welche Stammzellpopulation die besondere Eigenschaft besitzt in eine Beta-Zelle ausreifen zu können.
Beta-Zellersatz aus Stammzellen
Mehrere Arbeitsgruppen haben in den letzten Jahren sowohl mit ES-Zellen als auch mit adulten Stammzellen Methoden entwickelt insulinproduzierende Zellen herzustellen, die nach der Transplantation den Blutzucker diabetischer Mäuse reduzieren bzw. normalisieren können. Diese Experimente sind von großer Bedeutung, da hiermit der Beweis erbracht werden konnte, dass aus den Stammzellen Beta-Zellen hergestellt werden könnten. Allerdings war in allen bisherigen Versuchen die Ausbeute von differenzierten Beta-Zellen relativ gering und die Ausreifung der Zellen war nicht vollständig, so dass die Zellen nicht bedarfsgerecht, d.h. glukoseabhängig, Insulin freigesetzt haben.
Bisher ist nicht abzusehen, mit welcher Stammzelle ausreichend insulinproduzierende Zellen für die klinische Transplantation gewonnen werden können. Ebenfalls unklar ist, wie die Ergebnisse bei Mäusen auf humane Pankreaszellen zu übertragen sind. Vor kurzem wurde von Hao und Mitarbeitern eine Studie in Nature Medicine publiziert, in der bestimmte Zellen aus humanen Pankreasgewebe in der Zellkultur vermehrt wurden, die sich nach der Transplantation in Mäuse in mehr als 20% in Beta-Zellen differenziert haben. Diese Technik könnte einen wichtigen Schritt für die zukünftige Entwicklung einer Zelltherapie beim Menschen darstellen.
Ausblick
Aus heutiger Sicht stellt der Beta-Zellersatz die optimale Therapie des insulinpflichtigen Diabetes mellitus dar. Stammzellen werden vom Patienten entnommen, in der Zellkultur vermehrt und durch Zugabe von definierten Faktoren zu voll funktionsfähigen Beta-Zellen ausgereift (siehe Abbildung). Das Zelltransplantat würde dann das Insulin angepasst an die aktuellen Blutzuckerwerte freisetzen und damit die Blutzuckerspiegel wie die normalen Beta-Zellen des Körpers selbst regulieren. Die Notwendigkeit der Blutzuckermessungen und der Insulininjektionen würden damit entfallen.
Bis dieses Ziel erreicht werden kann sind aber noch intensive Forschungsanstrengungen notwendig, um die Biologie der Stammzellen besser als heute zu verstehen und die Faktoren, welche die Entwicklungswege regulieren und in Richtung Beta-Zelle vorantreiben genau zu charakterisieren. Ziel der Forschung ist die Entwicklung verlässlicher Protokolle, die es erlauben, die Zelldifferenzierung in der Kulturschale präzise zu steuern und transplantationsfähige Zellen in sehr hoher Reinheit herzustellen. Die faszinierenden Daten der tierexperimentellen Untersuchungen machen berechtigte Hoffnung, dass die Zellersatztherapie mit Stammzellen mittelfristig innerhalb der nächsten 5-10 Jahre in die klinische Anwendung für die Behandlung von Diabetikern übertragen werden kann. Mit dieser neuen Therapieoption könnte es erstmals gelingen den Diabetes mellitus bei einer großen Zahl von Patienten zu heilen und das Auftreten schwerer Folgeerkrankungen komplett zu verhindern.
Schematische Darstellung der Herstellung von Beta-Zellen aus adulten Stammzellen
Prof. Dr. Jochen Seißler, Klinikum der Universität München, Medizinische Klinik - Innenstadt Ziemssenstr. 1 80336 München E-Mail: jochen.seissler@med.uni-muenchen.de
Literaturauswahl:
Blyszczuk P, Asbrand C, Rozzo A, Kania G, St-Onge L, Rupnik M, Wobus AM. (2004) Embryonic stem cells differentiate into insulin-producing cells without selection of nestin expressing cells. Int J Dev Biol 48: 1095–1104
Bonner-Weir S, Taneja M, Weir GC, Tatarkiewicz K, Song KH, Sharma A, O'Neil JJ. (2000) In vitro cultivation of human islets from expanded ductal tissue. Proc Natl Acad Sci USA. 97: 7999–8004.
Dor Y, Brown J, Martinez OI, Melton DA. (2004) Adult pancreatic beta-cells are formed by self-duplication rather than stem-cell differentiation. Nature 429: 41–46.
Gao R, Ustinov J, Pulkkinen MA, Lundin K, Korsgren O, Otonkoski T. (2003) Characterization of endocrine progenitor cells and critical factors for their differentiation in human adult pancreatic cell culture. Diabetes 52: 2007–15.
Hao E, Tyrberg B, Itkin-Ansari P, Lakey JR, Geron I, Monosov EZ, Barcova M, Mercola M, Levine F. (2006) Beta-cell differentiation from nonendocrine epithelial cells of the adult human pancreas. Nature Med 12: 310-316
Hansson M, Tonning A, Frandsen U, Pedri A, Rajagopal J, Englund MC, Heller RS, Hakannson J, Fleckner J, Skold HN, Melton DA, Semb H, Serup P. (2004) Insulin release form differentiated embryonic stem cells. Diabetes 53: 2603-2609
Leon-Quinto T, Jones J, Skoudy A, Burcin M, Soria B. (2004) In vitro directed differentiation of mouse embryonic stem cells into insulin-producing cells. Diabetologia 47:1442–1451
Lumelsky N, Blondel O, Laeng P, Velasco I, Ravin R, MyKay R. (2001) Differentiation of embryonic stem cells to insulin-secreting structures similar to pancreatic islets. Science 292: 1389-1394
Ogata T, Park KY, Seno M, Kojima I. (2004) Reversal of streptozotocin- induced hyperglycemia by transplantation of pseudoislets consisting of beta-cells derived from ductal cells. Endocr J 51: 381–6.
Ramiya VK, Maraist M, Arfors KE, Schatz DA, Peck AB, Cornelius JG. (2000) Reversal of insulin-dependent diabetes using islets generated in vitro from pancreatic stem cells. Nature Medicine 6: 278- 282
Seaberg RM, Smukler SR, Kieffer TJ, Enikolopov, Asghar Z, Wheeler MB, Korbutt G, van der Kooy D. (2004) Clonal identification of multipotent precursors from adult mouse pancreas that generate neural and pancreatic lineages. Nat Biotechnol 22:1115-1124
Zulewski H, Abraham EJ, Gerlach MJ, Daniel PB, Moritz W, Muller B, Vallejo M, Thomas MK, Habener JF. (2001) Multipotential nestin-positive stem cells isolated from adult pancreatic islets differentiate ex vivo into pancreatic endocrine, exocrine, and hepatic phenotypes. Diabetes 50: 521–33.
Erstellt: September 2006 |