Typ 2 Diabetes: Gedächtniseinschränkungen durch gestörte Stress-Antwort
(14.09.2007) Forschungsarbeiten haben in der Vergangenheit gezeigt, dass Störungen der Gedächtnisfunktion und eine Überaktivität des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindensystems (sog. HPA-Achse) häufige Befunde bei einer Diabeteserkrankung sind. Ob und wie die Gedächtnisfunktion mit der HPA-Achse bei Menschen mit Typ 2 Diabetes verknüpft ist, haben jetzt Wissenschaftler von der New York University of Medicine untersucht.
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Das Erleben von Stress aktiviert beim Menschen die HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-System): Der Hypothalamus – ein kleiner Bereich im Zwischenhirn – setzt vermehrt den "Corticotropin releasing factor" (CRF) frei. Der CRF wiederum wirkt auf den Hypophysenvorderlappen im Gehirn, der daraufhin verstärkt ACTH (Adreno-Corticotropes-Hormon) ausschüttet. ACTH gelangt über das Blut zur Nebennierenrinde, wo es die Cortisolfreisetzung stimuliert – entsprechend resultiert aus der im Gehirn ankommenden Information „Stress“ schließlich eine Erhöhung des Cortisol-Spiegels im Körper.
Eine Gehirnregion, die eng mit der HPA-Achse in Verbindung steht und außerdem die Verarbeitung und Speicherung von Gedächtnisinhalten reguliert, ist der Hippocampus. Diese Gehirnstruktur weist eine der höchsten Konzentrationen von Cortisol-Rezeptoren im Gehirn auf. Aus Untersuchungen ist bekannt, dass dauerhaft hohe Cortisol-Spiegel die Struktur und Funktion des Hippocampus beeinflussen und für den Untergang von Neuronen verantwortlich sein können. Die Neuronen im Hippocampus sind jedoch wichtig für die Gedächtnisbildung, das heißt für die Übertragung von aufgenommenen Wissensinhalten zu anderen Regionen des Gehirns.
Die Wissenschaftler um Antonio Convit führten ihre Untersuchungen mit 30 erwachsenen Typ 2 Diabetikern mittleren Alters durch. Die durchschnittliche Diabetesdauer (Zeitspanne seit Erstdiagnose) betrug 7,5 Jahre. Convit und seine Kollegen prüften die Funktion der HPA-Achse mit Hilfe des kombinierten Dexamethason-CRH-Tests. Zusätzlich bestimmten die Forscher den Cortisol-Ausgangswert sowie den Blutzuckerlangzeitwert HbA1c und führten verschiedene neuropsychologische Tests zur Gedächtnisfunktion durch.
Die Ergebnisse aller Untersuchungen wurden mit den Befunden einer Kontrollgruppe verglichen. Dabei zeigte sich, dass Personen mit Typ 2 Diabetes im Durchschnitt höhere Cortisol-Spiegel aufwiesen. Dies traf für den Cortisol-Ausgangswert, den Cortisol-Spiegel nach dem Dexamethason-CRH-Test und die Antwort auf das CRH zu (p < 0,005). Dabei kletterten die Cortisol-Werte umso stärker, je höher der Blutzuckerlangzeitwert HbA1c lag, und zwar unabhängig von anderen möglichen Einflussfaktoren wie Alter, Body Mass Index, Bluthochdruck oder Lipidstörungen. Parallel zur Erhöhung der Cortisol-Spiegel stellten die Forscher auch Störungen des Langzeitgedächtnis – genauer des Wissensgedächtnis (deklaratives Gedächtnis) – bei den Typ 2 Diabetikern fest.
Die Wissenschaftler schließen aus ihren Ergebnissen, dass dauerhaft überhöhte Blutzuckerspiegel, eine Hyperaktivität der HPA-Achse und Störungen der Gedächtnisfunktion bei Menschen mit einem Typ 2 Diabetes eng miteinander verknüpft sind. Weitere Untersuchungen sollen nun klären, ob umgekehrt eine bessere Diabeteseinstellung die Cortisol-Spiegel verringern und eine Verbesserung der Gedächtnisleistung bewirken kann.
Dr. med. Anja Lütke, freie Mitarbeiterin der Deutschen Diabetes-Klinik des Deutschen Diabetes-Zentrums an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Leibniz-Zentrum für Diabetes-Forschung
Quelle: Bruehl H, Rueger M, Dziobek I et al. Hypothalamic-pituitary-adrenal axis dysregulation and memory impairments in type 2 diabetes. Clin Endocrinol Metab 2007; 92: 2439-45 |