Leben, lachen, lieben: Auf diese Formel brachte Heike (31) ihr Erfolgsrezept in Sachen Motivation für ihren Diabetes. In einer Gesprächsrunde berichteten verschiedene Menschen mit Diabetes über ihre Gründe, sich um eine gute Diabeteseinstellung zu bemühen. Sie erlaubten unserem Autor Bernhard Kulzer, darüber zu berichten.
Um das Ergebnis der Gesprächsrunde vorwegzunehmen: Den Weg, sich zu motivieren, gut mit dem Diabetes zu leben, gibt es nicht. Jeder Mensch muß ihn für sich selbst finden. Und klar wurde auch recht bald, daß wir uns im Grunde über verschiedene Lebensentwürfe unterhielten und darüber, wie diese sich mit der Erkrankung Diabetes vereinbaren lassen.
Aus welchen Quellen schöpfen Sie Kraft für den Alltag? Viele Menschen lesen, treiben Sport oder wandern.
Foto: AOK-Bundesverband
Heike: "Balance ist wichtig"
Für Heike (31) ist es ein wichtiges Lebensziel, eine innere Balance zu finden. In ihrem Beruf ist sie sehr eingespannt und muß viel reisen. Da sei es nicht immer leicht, ihre beruflichen Wünsche, Partnerschaft, Hobbys und regelmäßige Besuche bei den Eltern unter einen Hut zu bekommen. In den ersten Jahren der Berufstätigkeit sei der Diabetes auch öfters richtig unter die Räder gekommen - vom Stellenwert eindeutig hinter den Anforderungen ihres Jobs und dem Wunsch nach einer lebendigen Partnerschaft. Mittlerweile hat sich das geändert: "Mein Diabetes ist fast wie eine Kompaßnadel, die mir zeigt, wie es mir geht", äußert sie. Schon oft habe sie die Beobachtung gemacht, daß es dem Diabetes gut ging, wenn es auch ihr gut ging - und umgekehrt. Heute achtet sie daher viel mehr darauf, wenn ihre Blutzuckerwerte über eine längere Zeitspanne nicht stimmten: Anstatt wie früher ärgerlich zu werden, faßt sie dies heute eher als ein Signal auf, zu überlegen, wie sie es im Moment schafft, mit allen Anforderungen zurechtzukommen. "Statt mich über den Diabetes aufzuregen, überlege ich mir heute eher, was ich tun kann, um mir selbst etwas Gutes zu tun. Ich habe die Erfahrung gemacht: Je weniger verbissen ich auf Blutzuckerentgleisungen reagiere, desto eher habe ich Erfolg. Wenn ich mit mir selbst, meinem Partner und meiner Umgebung im reinen bin, komme ich auch am besten mit meinem Diabetes zurecht."
Hartmut: "Diabetes als Fußabstreifer"
Diese Erfahrung kann auch Hartmut (43) bestätigen: Sehr oft habe der Diabetes als eine Art "Fußabstreifer" herhalten müssen, wenn es in seiner Ehe und im Beruf gekriselt habe. Erst seine Scheidung habe ihm die Augen geöffnet - daß er mit betonter Lockerheit immer versucht habe, allen weiszumachen, daß sein Diabetes kein Problem sei. Nach außen hin habe er immer das Bild eines perfekten Menschen abgegeben, der glänzend mit allen Problemen des Diabetes zurechtkomme. "Aber gestimmt hat das nicht: Manchmal habe ich einfach nur eine Rolle gespielt, denn es gab immer wieder Zeiten, in denen ich mit meinem Diabetes auf Kriegsfuß stand. Vor allem auch dann, wenn ich privat oder beruflich unter Dampf stand." Erst in seiner neuen Beziehung habe er langsam gelernt, mit seiner Partnerin darüber zu reden, wenn ihn etwas bedrückt: "Mittlerweile kann ich auch sagen, daß der Diabetes für mich eine große Kränkung bedeutet hat, als ich ihn am Ende meines Studiums mit 28 Jahren bekommen habe."
Das Scheitern der Ehe und der Diabetes waren die beiden entscheidenden Einschnitte in seinem Leben: "Ich bin mir sicher, ich habe aus beiden Ereignissen für mein weiteres Leben gelernt. Als meine zweite Frau bei unserem letzten Hochzeitstag gesagt hat, sie würde bewundern, wie sorgsam ich mit meinem Diabetes neuerdings umgehen würde, habe ich mich sehr gefreut. Und im Stillen gedacht: "Das bin ich nicht nur mir, sondern auch ihr und den Kindern schuldig."
Paula: "Diabetes kostet Kraft"
"Ich weiß, daß der Umgang mit Diabetes Kraft kostet", sagt Paula (38), "ich habe ihn schließlich schon 34 Jahre. Leider habe ich auch schon bereits Folgeerkrankungen. Früher bin ich alle zwei bis drei Jahre in eine Diabetes-Fachklinik gegangen, um mich wieder neu einstellen zu lassen und neue Energie für den weiteren Umgang mit dem Diabetes zu tanken. Ich hatte das Gefühl, das war sehr gut für mich." Mit Mitte zwanzig habe ein Stationsarzt zu ihr gesagt, was sie denn überhaupt hier wolle: Schließlich gäbe es doch bessere Orte als ein Krankenhaus, um sich für den weiteren Umgang mit ihrem Diabetes zu motivieren. Er selbst würde lieber in Urlaub fahren, das wäre doch erholsamer. In den Urlaub sei sie dann nicht gefahren, sondern im gleichen Jahr zu einer religiösen Woche in ein Kloster. Hier habe sie für sich herausgefunden, daß sie einfach akzeptieren müsse, daß sie nicht so belastbar sei wie andere. "Ich bin etwas langsamer als andere Menschen, das war schon immer so. Mit dem Diabetes hat das wahrscheinlich gar nichts zu tun. Aber ich muß einfach darauf achten, daß ich nicht aus meinem Rhythmus komme, denn sonst leidet auch mein Diabetes sehr darunter." Ihr Erfolgsrezept für den Alltag heißt: immer wieder Kraftquellen zu suchen, um die Ängste wegen des Fortschreitens der Folgeerkrankungen nicht übermächtig werden zu lassen. "Mein Garten, Lesen und Malen sind für mich Dinge, die mir Kraft spenden. Ich gehe heute viel besser mit mir um als früher und spüre auch viel eher, wenn ich mich überfordere oder durch den Diabetes überfordert bin."
Torsten: "mit Tod konfrontiert"
Für Torsten (59) war die Erfahrung, daß sein bester Freund, der auch Diabetes hatte, plötzlich am Herzinfarkt verstarb, ein Schlüsselerlebnis: "Es ist etwas ganz anderes, ob man abstrakt von irgendwelchen Risiken aufgrund des Diabetes weiß oder plötzlich selbst damit konfrontiert wird." In den nächsten Wochen habe er sich überlegt, was er noch im Leben erreichen möchte. Ihm sei bewußt geworden, daß er noch viele Ziele für sein Leben hat. "Ich bin plötzlich ins Grübeln gekommen und habe mir überlegt: "Ich bin doch ein Idiot - schufte und arbeite, um vor der Rente mein Häuschen abzubezahlen, um im Berufsleben noch mithalten zu können und vernachlässige darüber meinen Diabetes. Mein Leben lang habe ich immer viel getan, um die Zukunft von mir und meiner Familie abzusichern. Nur an meine gesundheitliche Zukunft habe ich dabei komischerweise nie richtig gedacht." Der erste Schritt von Torsten war, daß er dem Drängen seines Arztes, mit dem Insulinspritzen anzufangen, nachgegeben hat. Den zweiten Schritt hat er gemeinsam mit seiner Frau gemacht - zu überlegen, was sie sich beide noch vor seinem 60. Geburtstag gönnen könnten. Das war vor drei Jahren. Mittlerweile war er bereits jedes Jahr mindestens viermal im Gebirge. Im letzten Jahr sogar zur Trekking-Tour im Himalaja: "Das spornt mich an, mich auch weiter um meinen Diabetes zu bemühen."
Hans: "wieder Bestzeiten!"
Hans (19) hat den Diabetes noch nicht lange. Er ist ein guter Schwimmer und trainiert fast jeden Tag. Am Anfang dachte er, eine Welt geht unter, als er Diabetes bekam. Dann las er, daß es Weltklasseschwimmer gibt, die auch Diabetes haben. Schon bald machte er die Erfahrung, daß er mit einer guten Blutzuckereinstellung schnell wieder an seine alten Bestzeiten herankam. Von da an war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, sich um eine sehr gute Blutzuckereinstellung zu bemühen: "Ich versuche Top-Leistungen zu bringen. Da ist es für mich völlig klar, daß ich versuche, alles zu optimieren, was meine Leistung fördert, und alles zu minimieren, was mich wertvolle Sekunden kostet. Es wäre doch Blödsinn, wenn ich jeden Tag hart trainiere, im Wettkampf aber wegen schlechter Zuckerwerte dann meine Leistung nicht bringen kann."
Klaus: "wegen meiner Söhne"
"Wenn ich ehrlich bin, habe ich angefangen abzunehmen und mich mehr um meine Gesundheit zu kümmern, als meine Söhne immer sportlicher, ich aber um so unsportlicher wurde", meint Klaus (48). Über die Jahre hat sein Gewicht immer mehr zugenommen und er wurde immer bequemer: "Erst als meine Kinder mich beim Fahrradfahren richtig abgehängt haben und ich total aus der Puste kam, hat mich mein Ehrgeiz gepackt. Ich fand es nicht gerade lustig, wenn sie mich lächelnd daran erinnert haben, daß ich früher ein sehr aktiver und erfolgreicher Sportler war."
Renate: "Erfolge im Blick"
Renate (51) hatte in ihrer Firma an einem Seminar teilgenommen, bei dem es unter anderem auch um positives Denken ging: "Obwohl ich nicht mit allem einverstanden war, was dort gesagt wurde, habe ich mir eines gemerkt: Du darfst nicht immer nur die Probleme sehen, sondern mußt auch die Erfolge im Blick haben." Übertragen hat sie dies auf die Protokollierung ihrer Blutzuckerwerte. Ihr war nämlich aufgefallen, daß sie in ihr Tagebuch vor allem immer die Gründe für Blutzuckerentgleisungen eingetragen hat. "Auch mein Arzt hatte immer nur die schlechten Werte im Blick - das hat mich geärgert. Ich habe deshalb angefangen, auch hineinzuschreiben, was mir gut gelungen ist: also zum Beispiel eine ungeplante Wanderung, die ich mit sehr guten Blutzuckerwerten hinbekommen habe, ein Sonntag, an dem ich lange ausgeschlafen habe und meine Werte beim Aufstehen traumhaft gut waren; oder einfach irgend etwas, was mich an diesem Tag gefreut hat."
Holger: "noch nie Gedanken gemacht"
Holger (48) war der Schweigsamste der Runde. "Eines ist mir bewußt geworden während des Gesprächs", lautete sein Resümee: "Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir noch nie richtig Gedanken gemacht, wofür ich mich mit meinem Diabetes anstrenge —, um Folgeschäden zu vermeiden hätte ich wahrscheinlich geantwortet. Aber das ist ja eigentlich kein richtiges Lebensziel, oder?"
Dipl. Psychologe Bernhard Kulzer, Diabetes-Zentrum Mergentheim, Bad Mergentheim
Mitglied des Fachbeirats von www.diabetes-deutschland.de
aus: Diabetes-Journal 11/2001 S. 19-21