Diabetische Netzhauterkrankung (Retinopathie)
In diesem Beitrag werden Ihnen anläßlich des Weltdiabetestages 2002 allgemeine Fragen zum Weltdiabetestag beantwortet. Sie erfahren Vieles über die Geschichte, das Logo, die Organisation des Weltdiabetestages sowie über die Internationale Diabetes-Federation und über andere Interessante Fragen.
Prof. Dr. med. Hans-Peter Hammes, V. Med. Klinik, Sektion Endokrinologie, Klinikum Mannheim, Uni- versität HeidelbergHier eine Übersicht über diesen Beitrag:
Stadien der diabetischen Netzhauterkrankung (Retinopathie)
Tatsächlich hat bis vor ca. 20 Jahren fast jeder Patient mit einem Typ 1 Diabetes, und etwa 80 % der Patienten mit dem Typ 2 Diabetes eine diabetische Netzhauterkrankung (Retinopathie) entwickelt. Nicht jedes Stadium der diabetischen Netzhauterkrankung (Retinopathie) ist gleich bedrohlich für den Verlust des Augenlichtes.
Man unterscheidet folgende Stadien: 1. das Stadium der nichtproliferativen diabetischen Retinopathie (ohne Gefäßwachstum in den Glaskörper); unterteilt in mild, mäßig und schwer 2. das Stadium der proliferativen diabetischen Retinopathie (mit Gefäßwachstum in den Glaskörper). 3. weiterhin gibt es eine diabetische Makulopathie. Hier ist die Makula, die Stelle des schärfsten Sehens, von einer Flüssigkeitsansammlung im Gewebe (Ödembildung) betroffen, die auf einer krankhaften Durchlässigkeit der Haarnadelgefäße (Kapillaren) beruht. Auch hier werden verschiedene Stadien unterschieden.
Für interessierte Experten: eine Übersicht über die Stadieneinteilung der diabetischen Retinopathie geben die Internetseiten der "Initiativgruppe Früherkennung diabetischer Augenerkrankungen" www.die-ifda.de und www.med.uni-giessen.de/agda.
Die proliferative diabetische Retinopathie (diabetische Netzhauterkrankung mit Gefäßwachstum) ist die häufigste Erblindungsursache im Erwachsenenalter bis ca. 70 Jahre. Danach übernehmen altersabhängige Erkrankungen die erste Stelle in den Erblindungsstatistiken.
Art und Entstehen der diabetischen Netzhautveränderungen Die frühen Stadien der diabetischen Retinopathie machen keine Symptome, d.h., dass der Patient die Entstehung erster Veränderungen nicht bemerkt. Daher muss der (Augen-)Arzt gezielt nach diesen Veränderungen suchen.
Wie sehen diese Veränderungen aus und wie entstehen sie?
Einigkeit herrscht in der Fachwelt darüber, dass Erweiterungen der Haarnadelgefäße (Mikroaneurysmen; Aneurysmen der Kapillaren) (s. Abbildung) die ersten erkennbaren Veränderungen in der Netzhaut von Patienten mit Diabetes sind. Sie sind aber nicht die ersten Veränderungen überhaupt. Bevor Erweiterungen der Haarnadelgefäße (Aneurysmen der Kapillaren, Mikroaneurysmen) entstehen, kommt es nämlich zum Verschluss dieser Haarnadelgefäße. Mikroaneurysmen sind bereits die Reaktion auf diese Gefäßverschlüsse. Zellbiologisch ist damit die diabetesbedingte Schädigung der Zellen, die die Haarnadelfäße (Kapillaren) auskleiden (Endothelzellen) und die die Haarnadelgefäße begleiten (Perizyten), von überragender Bedeutung. Alle weiteren Veränderungen an der Netzhaut, wie Punktblutungen, harte Exsudate (Ablagerung von Blutfetten im Netzhautgewebe), perlschnurartige Aussackungen der Venen (Perlschnurvenen) und Abnormalitäten der kleinsten Blutgefäße in der Netzhaut IntraRetinale Mikrovaskuläre Abnormalitäten (IRMA)) sind bereits Reaktionen auf den Kapillarverschluß. Auch die Gefäßaussprossung aus der Netzhaut (proliferative diabetische Retinopathie) ist die letzte Folge der zunehmenden Gefäß- und damit Sauerstoffverarmung in der Netzhaut.
Erforschung der Ursachen der diabetischen Netzhauterkrankung (Retinopathie) Diesen zellbiologischen Veränderungen wendet sich auch die Forschung verstärkt zu. Nachdem experimentelle und klinische Untersuchungen als wichtigsten auslösenden Faktor die dauerhafte Erhöhung des Blutzuckers identifiziert haben, hat man versucht, die, biochemischen Prozesse zu entschlüsseln, die zur Schädigung von Zellen in Blutgefäßen und in Zielorganen der diabetischen Folgekrankheiten beitragen. Aktivierung von Enzymen (verdauende Eiweiße) mit Anhäufung schädigender Stoffwechselprodukte, verstärkte Bildung von Folgeprodukten der Zuckerspeicherbildung und die Mehrbildung eines Stoffwechselzwischenproduktes, das Signalwege in der Zelle ungünstig beeinflusst, wurden als mögliche biochemische Störungen gehandelt. Neuesten Erkenntnissen zufolge gibt es einen gemeinsamen Weg der Störung, der durch hohe Glukose in der Zelle hervorgerufen wird, und der alle drei genannten biochemischen Änderungen zur Folge hat. Dabei scheint die verstärkte Bildung von Sauerstoffradikalen in den Kraftwerken der Zelle, den Mitochondrien, eine Schlüsselrolle zu spielen.
Behandlung und Vorbeugung der diabetischen Netzhauterkrankung (Retinopathie) Auch wenn eine neue Behandlungsform, die auf den genannten Störungen aufbaut bzw. dort eingreift, sicher noch Zukunftsmusik ist, gibt es schon eine Reihe von Möglichkeiten, eine diabetische Netzhauterkrankung (Retinopathie) zu verhindern, oder ihr Auftreten hinauszuzögern. An allererster Stelle steht dabei eine dauerhaft gute Blutzuckereinstellung. Ein Patient, dessen HbAlc unter 7.1% bleibt, wird deutlich seltener eine Retinopathie entwickeln, als ein Patient mit einem HbAlc über 8 oder 9 %. Eine wichtige Rolle spielt auch der Blutdruck, besonders bei Patienten mit Typ 2 Diabetes. Daher ist die regelmäßige Kontrolle des Blutdrucks und die entsprechende Therapie eines hohen Blutdrucks (Hypertonus) von großer Bedeutung. Da eine Netzhauterkrankung (Retinopathie) im nicht-proliferativen Stadium (Gefäßwachstum) keine Symptome macht, hilft nur der regelmäßige Besuch beim Augenarzt, Veränderungen zu erkennen, und durch internistische Behandlung darauf zu reagieren.
Da die Netzhauterkrankung (Retinopathie) ein Risikofaktor für Herzkrankheiten ist, sollten Patienten mit Netzhauterkrankung (Retinopathie) als kardiovaskuläre Hochrisikopatienten betrachtet werden, wenn die Retinopathie früh im Verlauf des Diabetes erkannt wurde.
Neue Therapieprinzipien sind in der Experimentierphase und werden bald in klinischen Studien überprüfbar sein. In Deutschland besteht der große Nachteil, dass für Studien geeignete Patienten immer wieder neu gesucht werden müssen. Daher denkt man an die Schaffung einer zentralisierten Datenbank, in der sich Patienten freiwillig erfassen lassen können, wenn sie eine Retinopathie gleich welchen Stadiums haben. Es würde uns sehr interessieren, wie Sie als Patient, als betreuender Hausarzt oder als Diabetologe über ein solches Vorhaben denken. Schreiben Sie uns, damit wir die Aussichten eines solchen Unternehmens besser abschätzen können.
Autor: Prof. Dr. med. Hans-Peter Hammes, V. Med. Klinik, Sektion Endokrinologie, Klinikum Mannheim, Universität Heidelberg Redaktion: Dr. med. Melanie Stapperfend, Prof. Dr. med. W. Scherbaum
Stand: November 2001 |