Kohlenhydrate oft falsch bewertet
In den neuesten Ernährungsempfehlungen für Diabetiker 2000 wurden gegenüber 1995 bedeutende Änderungen vorgenommen. Der Grund: neue Erkenntnisse aus diabetologischer Forschung und Klinik. Dr. Monika Toeller, Deutsches Diabetes Forschungsinstitut an der Heinrich-Heine Universität und Deutsche Diabetes-Klinik in Düsseldorf, erläutert die Details.
Der Fettstoffwechsel ist bei Diabetes mellitus in den letzten Jahren in den Vordergrund gerückt. Was gibt es Neues?
Toeller: Wir wissen heute, dass nicht nur die gesättigten Fettsäuren, sondern auch die Trans-Fettsäuren negative Effekte auf die Lipoproteine haben — zum Anstieg des LDL-Cholesterins und zur Senkung des HDL-Cholesterins beitragen. Die Trans-Fettsäuren entstehen in der Fetthärtung oder bei der Hydrolisierung von Fetten und kommen in vielen Fertigprodukten vor wie Back- und Süßwaren, Produkten mit Schokoladenüberzügen oder in Fertigsuppen und -soßen. Die Trans-Fettsäuren werden aber in Deutschland auf den Lebensmittelpackungen nicht deklariert. Allenfalls findet sich der Zusatz "Enthält gehärtete Fette, gehärtete Öle". Die Zutaten sind dabei in der Reihenfolge nach ihrem Gehalt aufgeführt. Je weiter demnach die gehärteten Fette oben auf der Liste stehen, um so mehr ist davon in dem jeweiligen Lebensmittel enthalten. Gesättigte und Trans-Fettsäuren gilt es also besonders zu meiden; zusammen sollten sie weniger als 10% der Gesamtenergie ausmachen.
Welchen Stellenwert haben ungesättigte Fettsäuren?
Toeller: Es hat sich herausgestellt, dass mehrfach ungesättigte Fettsäuren nicht unbegrenzt positiv zu bewerten sind, wie es lange Zeit propagiert wurde. Auch die mehrfach ungesättigten Fettsäuren sollen unter 10% der täglichen Energieaufnahme bleiben. Eine höhere Menge führt zu erhöhter Lipidoxidation und damit zu reduzierten HDL-Cholesterin-Spiegeln. Positiv wirken die einfach ungesättigten Fettsäuren, die etwa im Rapsöl und im Olivenöl enthalten sind, aber auch z. B. in Nüssen. Diese Fettsäuren dürfen 10 bis 20% der Kalorienmenge liefern. Auch die Omega-3-Fettsäuren spielen eine wichtige Rolle in der Regulation des Lipidstoffwechsels und damit in der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie sind nicht nur in fettem, öligem Fisch enthalten — dessen Verzehr zweimal pro Woche empfohlen wird — sondern es gibt dafür auch pflanzliche Quellen wie das Rapsöl, Sojaöl, Nüsse oder viele grüne Gemüse.
Was bedeutet ein hoher glykämischer Index?
Toeller: Zunehmend wissen wir mehr über die Blutzucker-Wirksamkeit kohlenhydrathaltiger Lebensmittel. Es gibt inzwischen genügend Belege dafür, dass ein bevorzugter Verzehr von Speisen mit geringer Blutzucker-Wirksamkeit, also einem niedrigen glykämischen Index, sich langfristig positiv auf das HbA1c und damit auf die Langzeitkontrolle des Glukose-Stoffwechsels auswirkt. Auch die Lipoprotein-Werte werden günstig beeinflusst. Nahrungsmittel mit rasch aufspaltbaren Kohlenhydraten besitzen einen hohen glykämischen Index und die sollten bei Diabetes-Patienten nicht im Vordergrund der Ernährung stehen. Dazu gehören z. B. Minutenreis, Kartoffelbrei, Weißbrot oder zuckerhaltige Getränke. Während Haushaltszucker, Honig oder Graubrot einen mittel hohen Index aufweisen, zählen Hülsenfrüchte, Gemüse, viele Obstsorten oder Pasta aus Hartweizengries zu den Lebensmitteln mit niedrigem Index, die bevorzugt verzehrt werden sollten.
Was haben Antioxidanzien speziell mit einer Diabetes-Diät zu tun?
Toeller: Beim Diabetiker ist das Gleichgewicht zwischen Pro- und Antioxidanzien gestört. Es kommt zum oxidativen Stress mit der Bildung von schädlichen freien Radikalen. Es gibt aber Stoffe, die die schädlichen freien Radikale abfangen können und so eine Schutzfunktion vor Herz-Kreislaufschäden übernehmen. Viele Nahrungsbestandteile enthalten solche Schutzfaktoren, wie z. B. Obst und Gemüse mit den Vitaminen C und A oder Vitamin E in Pflanzenöl. Karotinoide, Tocopherole und Flavonoide sowie Folat aus Zitrus- und Hülsenfrüchten schützen ebenfalls vor Herz-Kreislauferkrankungen. Allerdings ist dieses Gebiet noch nicht abschließend untersucht. Bisherige Daten lassen jedoch bereits die Aussage zu, dass es wichtig ist, mit der Nahrung möglichst viel von den antioxidativen Stoffen aufzunehmen. Dies hat auch zu der Empfehlung geführt, mindestens fünfmal am Tag frisches Obst und Gemüse zu essen.
Was sagen die neuen Empfehlungen zur Protein-Zufuhr?
Toeller: Es geht darum, nicht zuviel Proteine aufzunehmen, weil Eiweiße die Niere des Diabetikers belasten können. 10 bis 20% der Energie können auf Proteine entfallen. Dabei sollten pflanzliche Eiweiße bevorzugt werden, die wahrscheinlich weniger nierenbelastend sind. Zu wenig Proteine — unter 0,6 g/kgKG (Kilogramm Körpergewicht) — zu essen, ist aber nicht sinnvoll. Pflanzliche Protein-Lieferanten sind vor allem Gemüse und Getreideprodukte. Tierische Eiweiße kommen in Milchprodukten, Fleisch und Fisch vor. Von Milchprodukten sollten die fettarmen gewählt werden und bei Fisch und Fleisch sollten die Portionen nicht zu groß sein — eine vernünftige Portion Fleisch liegt bei 100 g pro Person — möglichst nicht täglich. Besonders die Patienten mit Bluthochdruck sollten eine hohe Proteinzufuhr meiden.
Welche Rolle spielt körperliche Aktivität für den Diabetiker?
Toeller: Körperliche Aktivität ist besonders effektiv für Typ 2 Diabetiker, die in der Regel übergewichtig sind und eine verminderte Insulin-Sensitivität haben. Denn mit körperlicher Aktivität kann man die Gewichtsabnahme unterstützen und die Insulin-Empfindlichkeit wieder erhöhen. Kein Gewichtsreduktions-Programm führt langfristig zum Erfolg, wenn nicht Ernährungsumstellung und gesteigerte Aktivität parallel laufen. Einige Studien belegen, dass Bewegung sogar die größere Rolle spielt. Ein Diabetiker sollte mindestens 2-mal pro Woche mindestens eine halbe Stunde körperlich trainieren; wenn er es jeden Tag schafft, ist es noch besser: Radfahren, Schwimmen, Treppensteigen, rasches Gehen.
Wie viel Energie darf sein?
Toeller: Wir machen dem Diabetiker keine engen Vorschriften, wenn er Normgewicht hat, mit einem Body Mass Index zwischen 18,5 und 25. Wer übergewichtig ist oder sehr übergewichtig mit einem BMI von über 30, bekommt genaue Empfehlungen für seine Kalorienzufuhr. Viele Menschen sind mit 1.800 bis 2.000 Kalorien pro Tag gut bedient, Frauen mit weniger als Männer.Wer abnehmen will, muss die Kalorienzahl reduzieren. Von der Gesamtenergie sollten normalerweise 60 bis 70 g aus Fett kommen, im Vordergrund die einfach ungesättigten Fette.
Eiweiß rechnet sich nach Körpergewicht: ca. 1g/kg KG ist noch akzeptabel. Wenn jemand 70 kg wiegt, sollte er nicht viel mehr als 70 g Eiweiß am Tag aufnehmen. Bei den Kohlenhydraten braucht man dann nicht eng zu rechnen, im Gegenteil, dazu sollte man die Menschen ermutigen.
Denn viele Diabetiker knapsen an den Kohlenhydraten und nicht an den anderen Bestandteilen. Sie fürchten immer noch, dass die Kohlenhydrate den Blutzucker zu sehr erhöhen. Aber das ist nicht der Fall, wenn genügend Ballaststoffe dabei sind und wenn Lebensmittel ausgewählt werden, die einen niedrigen glykämischen Index haben wie Gemüse, Obst, Vollkorngetreide.
Stimmt der Slogan noch: Lieber eine Scheibe Brot mehr als eine Scheibe Wurst?
Toeller: Letztlich gehen die Empfehlungen immer in die Richtung: Fettreduktion, bewusste Fettauswahl, viel pflanzliche Kost, Obst und Gemüse reichlich, möglichst in frischer Form. Die Deutschen essen viel Brot, aber das Brot ist weniger problematisch als der Belag, wie Streichfett, Wurst und Käse. Also: Lieber mehr Brot und weniger Belag! — Das ist schon eine gute Empfehlung.
Interview: Dr med. Dagmar van Thiel aus: "Ärzliches Journal" Sonderheft 2002
Erstellt: März 2002 Aktualisiert: September 2002
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